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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


oben, bald von unten ertönte der ängstliche Lockton der kleinen befiederten Mutter. Wie schwer hält es doch, solch eine zahlreiche, unbesonnene, kaum dem Neste entwichene Nachkommenschaft vor den tausend drohenden Gefahren zu warnen und all’ das ungeschickt umherflatternde Gesindlein in dem dichteren Gebüsche des Wildgartens in bessere Sicherheit zu bringen!

„Was hat nur die Nachtigall?“ sagte der Jagdjunker Kurt von Holderbusch zu der jungen Dame, die neben ihm auf dem grasbewachsenen und feuchten Fußpfade dahinschritt. „Ist etwa eine Katze oder ein Iltis in der Nähe?“

„Es wird doch kein Lauscher sein, Kurt?“ entgegnete das Mädchen in ängstlich besorgtem Tone. „Ich wäre des Todes, wenn meine Tante erführe, daß ich ohne ihr Wissen mit Ihnen zusammengetroffen bin. Sie hat strenge Ansichten.“

„Wer sollte jetzt und an diesem stillen Orte lauschen und vor Allem, wer sollte uns überraschen, Fräulein Hartmann?“ entgegnete Kurt mit einem munteren und ermuthigenden Lächeln. „Sie wissen ja, daß hoch über uns eine ganz specielle Vorsehung in Gestalt unseres treuen Christian Blümchen wacht. Uebrigens darf auch Ihrer Tante unser Verhältniß nicht allzulange mehr verhohlen bleiben. Ich bin so wenig ein Freund der Heimlichkeit wie Sie und ersehne herzlich den Tag, wo alle Welt wissen darf, wie wir zu einander stehen.“

„Wird dieser Tag jemals kommen?“

„Zweifelst Du – – zweifeln Sie daran noch, liebe Anna? Es giebt keinen Widerstand für einen festen Willen. Ihr Vater namentlich ist ein viel zu aufgeklärter Mann, als daß eitle Hirngespinnste ihn hindern sollten, unser Glück allen etwaigen Ränken zum Trotze zu begründen. Er wird uns auch treu zur Seite stehen, wenn er nur selbst an meinen Willen und meine Kraft ein wenig glaubt.“

„Sie wissen, daß er dies thut und daß er Sie ganz besonders hochschätzt, Kurt.“

„Was aber könnten wir zu fürchten haben, wenn ein Mann wie der Domänenrath Hartmann auf unserer Seite steht?“

„Sie vergessen Ihre Mutter, Kurt.“

Der junge Mann schüttelte leise lächelnd seinen hübschen Lockenkopf.

„Meinen Vater erwähnen Sie gar nicht,“ bemerkte er dann mit seinem muntersten Lächeln. „Ei, ei, wenn er das erführe!“

„Ich habe nun einmal keine Furcht vor dem Herrn Oberlandjägermeister,“ entgegnete das Mädchen gleichfalls mit dem leisen Anfluge eines Lächelns. „Ihr Herr Vater hat an so viele wunderbare Dinge zu denken, daß ihm für solche Kleinigkeiten wahrlich keine Zeit bleibt.“

„Sie haben ganz Recht, der Widerstand droht in unserem Hause nur von meiner Mutter,“ bestätigte der Junker. „Sie hat allerdings ihr gut gemessenes Theil von jenem Adelsstolze erhalten, der in unseren Tagen leicht eine komische Färbung erhält, aber ich bin glücklicher Weise ihr einziger Sohn, und sie liebt mich sehr. Auch sie wird, ja, sie muß nachgeben, wenn sie mich so fest entschlossen sieht, mein Glück nicht ihren Vorurtheilen zu opfern. Sie kennt mich und meinen ernsthaften Willen.“

„Aber Sie haben mir selbst gesagt, daß wir an Ihrem Hofe auch noch andere feindliche Strömungen zu besiegen haben,“ wandte das Mädchen ein. „Herr Präsident von Straff zum Beispiel wird mir die Ablehnung seiner Werbung niemals verzeihen, und er ist hier allmächtig.“

„Ja, leider, aber es giebt eine Macht, welche die Bäume nicht in den Himmel wachsen läßt.“

„Um Gotteswillen, Kurt! wenn man Sie hörte!“

„So käme vielleicht etwas früher der Tag, wo ich dem glänzenden Elende eines gräflichen Jagdjunkers entränne. Oder glauben Sie nicht, liebe Anna, daß ich Kraft und Muth genug in mir fühle, um auch ohne meinen Gehalt von dreihundert blanken Thalern Sie und mich über den Wassern zu erhalten?“

Das Mädchen antwortete auf die Frage nur durch einen vertrauensvollen Blick in die feurig blitzenden Augen des Junkers.

„Sie sprachen früher auch von einer ungünstigen Stimmung, die in den höchsten Regionen gegen meinen Vater herrschte,“ sagte sie dann. „Womit kann mein Vater diese Ungunst verdient haben? Der Graf und seine Schwester, die Comtesse Charlotte, sollen so herzensgut sein und mein Vater ist, wie Sie wissen, eine so gerade, brave Natur, daß ich eine solche Abneigung im tiefsten Grunde verwandter Seelen durchaus nicht begreife.“

„Niemand geht genau den Weg durch’s Leben, den er sich vorzeichnet,“ entgegnete der Junker. „Am wenigsten vermögen dies unsere Fürsten. Sie messen ihre Kräfte zu wenig an Gleichgestellten, um sie zu kennen, und werden deshalb geschoben, wo sie zu schieben glauben. Unser Graf ist wirklich ein gutherziger Mensch, aber leider um fünfzig Jahre zu spät geboren. Er möchte sein Land nicht wie ein wahrer Fürst, sondern etwa wie ein großer Gutsbesitzer, der nebenbei ein wenig den Vater seiner Knechte und Tagelöhner spielt, regieren und verwalten und läßt sich doch selbst wie ein Kind am Gängelbande seiner blinden Leidenschaften vom Präsidenten lenken und leiten, insbesondere gegen Ihren Vater, dessen Fluren und Forsten recht unbequem zwischen den gräflichen Jagdrevieren liegen. Auch die Comtesse hat etwas von diesen patriarchalen Neigungen. ‚Immer gerade aus‘, ist ihr eigenes Motto, und deshalb bildet sich ihr erlauchter Stolz ein, unserem Hofe jede Intrigue fern halten zu können. Aber ich langweile Sie. Nicht wahr?“

„Durchaus nicht,“ versicherte die junge Dame. „Mir ist nur in diesen engen Laubgängen so seltsam beklommen zu Muthe. Hören Sie, wie ängstlich die Nachtigall von Neuem lockt? Ich fühle, es ist etwas Feindliches in der Nähe.“

„Ruhig, meine Theure! So lange wir nicht den Ruf des Kukuks hören – –“

„Aber mein Gott, er hat schon zweimal gerufen und, hören Sie? da kommt er wieder.“

„Dann allerdings wittert unser treuer Christian einen Feind. Zum Glücke sind wir unserer alten Walltreppe gerade gegenüber und mein Schlüssel steckt noch daran. Geschwind hinter den Holunderstrauch. Dort finden wir unsern alten Weg zur Pforte wieder.“

Hat der Leser jemals den Meister Reineke beobachtet, wenn er in der Abenddämmerung auf der Spur eines weidwunden Rehs oder eines jungen Hasen das Vorholz durchstreift? Die feine Nase an den Boden gesenkt, trabt der Schlaue bedächtig und vorsichtig daher und hebt nur manchmal den spitzen Kopf, um aus seinen schrägen Augen links und rechts rasche Seitenblicke in das Gebüsch nach einem niedrigen Vogelneste oder nach irgend einer Gelegenheitsbeute zu werfen.

Dem Bilde dieses schleichenden Räubers glich Johann Schnabel, der Diener des gräflichen Kammerpräsidenten, soweit wie nur irgend ein Mensch einem Thiere ähnlich sehen kann. Auch er kam mit leisen, kaum hörbaren Schritten auf dem schmalen und gewundenen Pfade daher, welchen das junge Paar vor wenigen Augenblicken verlassen hatte; auch sein in den unteren Theilen vorgezogenes und zugespitztes Gesicht war dem Boden zugekehrt, und auch seine schrägen, aber klugen Augen schauten vorsichtig bald rechts, bald links in das Gesträuch hinein.

Johann schien indessen mit den Erfolgen seines heutigen Spürganges nicht besonders zufrieden zu sein. Sein Schritt wurde immer langsamer und bedächtiger, jemehr er sich dem Ende des Gebüsches näherte, und als er endlich dort anlangte, blieb er kopfschüttelnd stehen.

„Da bin ich nun am Ende,“ murmelte er zwischen den spitzen Zähnen hervor. „Die Spuren kehren hier genau so um wie am anderen Ende des Gebüsches. Was also habe ich bis jetzt erlangt, als nasse Füße, die mir Zahnschmerzen oder einen Rheumatismus versprechen? Sonst weiß ich nur, daß sie allerliebste kleine Füßchen hat und daß an seinen Reiterstiefeln der linke Sporn etwas verbogen ist. Sie sind auch erst nach dem Regen hier gewesen – das beweisen diese Spuren deutlich. So weit also paßt Alles zu den Mittheilungen meiner braven Muhme. Aber wohin zum Kukuk sind sie von hier aus gegangen? Die alte Walltreppe ist seit vielen Jahren geschlossen und dem, der den letzten Schlüssel dazu gehabt hat, thut wohl längst kein Zahn mehr weh. Also wohin? Die Flügel der Liebe sollen über Berg und Thal tragen, aber ich habe dennoch niemals gehört, daß Verliebte über Mauern und Gräben geflattert wären.“

Johann liebte die offenen Wege nicht. Er verließ also, nachdem er noch einen letzten bedauernden Blick auf die geheimnißvoll in sich selbst zurückkehrenden Spuren geworfen hatte, den Pfad, auf dem er herangekommen war, um dicht an den feuchten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_346.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)