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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Staaten, was sich aus der Länge der Postrouten und den großen Kosten des Seetransports erklärt; denn allein die Linie San Francisco–Yokuhama erfordert fast eine Million Dollars Zuschuß aus dem Schatz der Vereinigten Staaten.

Wir wenden uns nunmehr zur zweiten Gruppe der statistischen Ergebnisse, welche den Verkehr Deutschlands umfaßt und bemerkenswerthe Grundlagen für Vergleiche zwischen der Entwickelung der einzelnen Landschaften und Gaue unseres Vaterlandes gewährt. Für das Jahr 1874 beläuft die Anzahl der im Reichspostgebiete beförderten Briefe sich auf 531,202,896 Stück. Davon sind auf einen Bewohner zu rechnen: im Bezirke (d. h. Ober-Postdirectionsbezirk) Berlin jährlich 64,6 Briefe, Frankfurt am Main 29,6 Briefe, Hamburg 26,9, Lübeck 26,2, Karlsruhe 19,1, Köln 18,7, Düsseldorf 18,6, Arnsberg 18,5, Dresden 17,3, Leipzig 16,3, Hannover 15,9, Bremen 15,3, Darmstadt 14,7, Magdeburg 14, Breslau 13,8, Erfurt 13,1, Constanz 12,4, Stettin 12,2, Kiel 12,1, Straßburg im Elsaß 11,9, Coblenz 11,9, Halle 11,8, Kassel 11,7, Schwerin in Mecklenburg 11,6, Oldenburg 11,2, Liegnitz 11,1, Metz 10,8, Frankfurt an der Oder 10,5, Münster 10,2, Königsberg in Preußen 10,1. In allen übrigen Bezirken wird die Briefziffer 10 nicht erreicht. Am niedrigsten ist sie im Bezirke Oppeln mit 8,0, im Bezirke Trier mit 7,8, Cöslin mit 7,6 und im Bezirke Gumbinnen mit 7,0 Briefen.

Eine nähere Betrachtung dieser Zahlen zeigt uns sogleich die Ursachen der überraschenden Unterschiede der Verkehrsgestaltung in den einzelnen Theilen Deutschlands. Wenn von dem deutschen Vororte Berlin abgesehen wird, zu dessen raschem Aufblühen staatliche, gewerbliche und commercielle Factoren gemeinsam beitragen, und der daher eine sehr hohe Briefziffer aufweist, so bewahrheitet sich auch hier das Gesetz, welches in der ganzen Entwickelungsgeschichte der Menschheit eine bedeutsame Rolle spielt: es ist das Vorwiegen der Cultur im Westen, und deren fortschreitendes Abnehmen, je weiter man nach Osten kommt. In Bezug auf den Briefverkehr stehen die Bezirke Frankfurt am Main, Köln, Karlsruhe, Düsseldorf, Arnsberg oben an; die ersteren haben außer den Hülfsquellen eines milderen Klimas noch den Vorzug der günstigen Lage an Verkehrsstraßen, die seit Jahrtausenden die Bewegung des internationalen Güteraustausches an sich gezogen haben; die Bezirke Düsseldorf und Arnsberg sind das deutsche Birmingham und Sheffield mit riesigen Puddelwerken, Schornsteinen und Fabriken.

Mit ihnen stehen in gleicher Linie und zum Theile voran die alten Hansestädte Hamburg, Lübeck und Bremen; in Bezug auf Bremen müssen die Ergebnisse der Statistik mit Vorbehalt aufgefaßt werden; dieselben sind nicht dahin zu deuten, daß Bremen etwa Lübeck an Ausbreitung und Zahl des Briefverkehrs nachsteht. Die Ziffern sind in diesem Punkte vielmehr durch den Hinweis darauf zu ergänzen, daß bei der Zählung der ganze Bezirk Bremen mit verschiedenen Ortschaften der Provinz Hannover in Berücksichtigung gezogen worden ist, weil dies durch die administrative Abgrenzung geboten war. In Wirklichkeit folgt Bremen gleich hinter Hamburg. Ein ähnliches Verhältniß waltet bei Leipzig ob, dessen Ziffer durch Hinzuziehung des ganzen Bezirks Leipzig herabgedrückt wird, das aber in der That mit Frankfurt und Köln erfolgreich wetteifert und das bei seinem blühenden Meß-, Producten- und Buchhändler-Verkehr als eins der bedeutendsten östlichen Binnen-Handelsplätze Mittel-Europas anzusehen ist.

Die Zahlen in Mitteldeutschland: Magdeburg, Kassel, Erfurt und Halle entsprechen dem Gesammtdurchschnitt der Briefziffer Deutschlands fast genau. Stettin und Kiel erreichen dieselben nahezu, was von der Blüthe ihres Handels ein bemerkenswerthes Zeugniß ablegt, da ihre Hinterlande nur geringen Verkehr besitzen. Straßburg im Elsaß mit 11,9 und Metz mit 10,8 Briefen erreichen den Durchschnitt noch nicht, es ist aber zu hoffen, daß die bedeutend entwickelte Textil-Industrie und der Weinbau des Elsaß, sowie das Bergwerks- und Hüttenwesen und die Eisen- und Plüsch-Industrie Lothringens bei der Fortdauer friedlicher politischer Verhältnisse den neuen Reichslanden bald eine neue wichtigere Stelle in der Scala des Verkehrs verschaffen werden. Königsberg und Danzig figuriren trotz ihres bedeutenden Seehandels nur mit 10,1 und 8,9 Briefen, da der geringe Verkehr der Provinz die Ziffer der Hauptorte herabdrückt. Die Bezirke Cöslin mit spärlicher Bevölkerung, Oppeln und der äußerste Grenzdistrict gegen Osten, Gumbinnen, weisen kaum 7,0 Briefe auf, ein sprechendes Zeugniß für das Walten des oben angedeuteten Gesetzes der Culturverbreitung.

Aehnliche Verhältnisse zeigen auch die Zahlen der Postanlagen, verglichen mit der Bevölkerungsziffer. Im Bezirke Gumbinnen kommt ein Postamt erst auf 5305, in Constanz schon auf 2601 Einwohner; in Danzig ein Postamt auf 130,7 Quadratkilometer, in Königsberg auf 114 Quadratkilometer, in Köln dagegen auf 40,4, in Constanz auf 34, in Karlsruhe auf 27 und im Bezirke Düsseldorf schon auf 26,2 Quadratkilometer. Letzterer ist also, abgesehen von Berlin (mit 60 Postanstalten auf 59,50 Quadratkilometer) derjenige deutsche Bezirk, welcher die zahlreichsten Postanstalten besitzt. Dem denkenden Geiste sind diese an sich todten Zahlen der Reflex des rastlos pulsirenden Lebens; in der Art der Vermittelung des geistigen Verkehrs spiegelt sich der ganze Charakter einer Epoche wieder. Die Feuerzeichen Agamemnon’s, die an Schnelligkeit dem Fluge der Kraniche verglichenen Courierreiter der Perserkönige, die römischen Schnellposten, die Boten des Mittelalters, die Taxis’sche Schneckenpost, die schwimmenden Correos der südamerikanischen Ströme, Sibiriens Hundeposten und die fliegenden Bahnpostämter der Neuzeit, endlich die der Zeit und des Raums spottenden Telegraphen: – es sind Alles Phasen der Entwickelung, in der die Menschheit von Stufe zu Stufe fortschreitet; gemeinsam Allen ist das Bedürfniß der Mittheilung, der Nachrichtenverbreitung, des geistigen Zusammenhangs getrennter Personen und ganzer Völker.

So sehen wir das Postwesen auf’s Innigste mit den Lebensäußerungen der Menschheit verknüpft:

„Wie Alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem Andern wirkt und lebt,“

fanden wir schon bei flüchtiger Betrachtung dieses bedeutsamen Zweiges unserer Cultur in charakteristischen Zügen ausgeprägt. Die folgenden Darstellungen sollen die Organisation und den äußeren Betrieb der Postanstalten vorführen, welche, gleichviel ob bei Tage oder bei Nacht, im Dienste des deutschen Volkes mit einer Unermüdlichkeit und Sorgfalt thätig sind, welcher die gerechte Anerkennung von keiner Seite versagt werden wird.

G. T.




Blätter und Blüthen.


Otto Glagau sendet an den Redacteur dieses Blattes folgende Zeilen, deren Aufnahme wir selbstverständlich nicht verweigern wollen:

Berlin, April 1875.
Sehr geehrter Herr,

Sie erweisen mir die Ehre, meinen Artikel „Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin“ in Nr. 5 Ihres geschätzten Blattes einer Kritik, vom Standpunkte der Redaction, zu unterziehen, und dabei einen Punkt zu bemängeln. Ich weiß natürlich, daß Sie das aus Pflicht- und Billigkeitsgefühl, im Interesse der Sache thun, die Sie nicht einseitig, nicht parteiisch behandelt wissen möchten; ich glaube deshalb Ihrem Wunsche zu entsprechen, wenn ich meine Entgegnung gleichfalls an dieser Stelle abgebe. Ich habe diese Entgegnung absichtlich verzögert, um inzwischen noch einige Artikel mehr erscheinen zu lassen, und mir so die Antwort zu erleichtern.

Sie fechten den ersten, einleitenden Artikel namentlich in diesem Satz an:

„Die nationale Begeisterung, die heiligsten Gefühle eines Volkes wurden von der Speculation und von dem Schwindel für ihre schnöden Umtriebe, für ihre verbrecherischen Zwecke ausgebeutet.“

Sie bezweifeln das und fragen: „Was haben die ‚heiligen Gefühle‘ mit Strousberg’schen und Quistorp’schen Actien zu thun?“ –

Darauf muß ich nun antworten: Viel, sehr viel, geehrter Herr, nicht weniger denn Alles. Ohne den großartigen Aufschwung, den Preußen und Deutschland genommen, wären Strousberg und Quistorp bei uns gar nicht möglich gewesen, wären ihre „Gründungen“ nie zu Stande gekommen, wären ihre Actien nimmer an den Mann gebracht worden. Erst die Siegesfreude, die nationale Begeisterung, das so mächtig erwachende Selbstbewußtsein des deutschen Volks, seine heiligsten Gefühle – Sie sehen, ich halte jedes Wort aufrecht – mußten angerufen, mußten ausgebeutet werden, um all die zahllosen Actienunternehmungen verwirklichen, um den ganzen Börsen- und Gründungsschwindel in Scene setzen zu können. Allerdings haben nur Wenige aus reiner Begeisterung, aus bloßem Patriotismus gezeichnet und gekauft, aber Alle thaten es

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