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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Diese und andere Skizzen, welche nach Tausenden zählen, die mannigfachsten Seiten des Lebens berühren und in fast aller Herren Länder verstreut sind, sind mit wenigen Ausnahmen Naturstudien und das Ergebniß eines consequenten Fleißes, wie ich mit einiger Genugthuung verzeichnen darf.

Die Hauptaufgabe, die ich mir gestellt, ist jedoch, unsere Zeit in ihren frappantesten Situationen und Figuren zu schildern, eine Aufgabe, die mir wichtig genug erscheint, um die ganze Arbeitskraft, die mir noch beschieden ist, daran zu setzen. Mit meiner vierten Ausstellung, die ich im Mai dieses Jahres in Dresden zu eröffnen gedenke, wage ich mich noch einmal auf’s Eis, wohl wissend, daß, wer wiederholt seine, und seien es auch immer wieder neue, Geistesproducte dem Publicum vorführt, das öffentliche Urtheil herausfordert und sich nicht wenig exponirt.

Ich entbehre als Autodidakt jeder akademischen Schule, und zwar einfach deshalb, weil dies zur Zeit meine Verhältnisse veranlaßten. Ich habe mühsam nachgeholt, was nachzuholen möglich war, und thue dies noch jetzt in meinem fünfundfünfzigsten Jahre.

Ich bin im strenge Sinne des Wortes weder ein besonderer Zeichner noch ein besonderer Maler, sondern vielleicht eher, wie mir Karl von Holtei in ein Buch schrieb, das er mir schenkte: „Ein Poet mit Griffel und mit Feder“. Ich arbeite das Geringste mit einem guten Theil Herzblutes, gestützt auf eine reiche Vergangenheit, auf Erfahrungen, welche ich in der großen Schule des Lebens gesammelt habe. Und da es auch solche Käuze geben muß, so nehme man sie hin, wie sie sind, ohne die Lupe vor’m Auge, ohne das Secirmesser in der Hand. Für Leute von Gemüth sei noch erwähnt, daß ich seit Jahren auf dem Lande in der reizenden Niederlößnitz bei Dresden wohne, und zwar, was mich in den Augen rangirter Leute hochstellen wird, als Haus- und Grundbesitzer. Hier habe ich mir auch ein Atelier gebaut. Und so oft ich durch das große Fenster auf die idyllische Landschaft hinausblicke, denke ich mit Wehmuth meiner geplagten Freunde in den Städten, die im Winter Steinkohlenrauch schlucken und im Sommer Staub fressen, „wie meine Muhme die Schlange“.

H. K.




Hanne.
Zur Beherzigung für Viele.


Am Himmel ballten sich Gewitterwolken, und auf den Wipfeln der Linde waren sämmtliche Spatzen aus den benachbarten Gärten zu jenem eifrigen überlauten Concert versammelt, welches sie nur zu geben pflegen, wenn ein Regenschauer droht. Ihre hellen Stimmen begleiteten andere, die drinnen im Zimmer hinter den weißen Vorhängen hörbar wurden.

Am Fenster stand ein junges Mädchen und sah unverwandt hinaus, als fessele etwas ganz besonders Interessantes ihre braunen Augen, in denen es äußerst trotzig funkelte. Die Arme waren verschränkt und die Haltung der kleinen, etwa achtzehnjährigen Dame mindestens sehr selbstbewußt.

Jetzt sprach sie auch. „Das ist Thorheit, Georg,“ sagten die frischen Lippen. „Du bist eigensinnig.“

Vom Sopha im Hintergrunde des Zimmers erhob sich ein junger Mann und nahm seinen Platz neben der erzürnten Schönen, aber er hütete sich, ihr in’s Gesicht zu sehen, wahrscheinlich aus schlimmer Erfahrung von den Resultaten solches Unterfangens, vielmehr wählte er für seine Blicke eine der ihrigen entgegegesetzte Richtung des Gartens und studirte nun emsig, wie es schien, die Architectur eines Taubenschlages, der in geringer Entfernung den gefiederten Bewohnern zum Asyl diente.

Die junge Daune ließ ihn ruhig gewähren.

„Du bist eigensinnig, Georg,“ wiederholte sie mit sehr entschiedener Betonung.

„Aber Du, Mathilde – Du bist immer nachgiebig, immer freundlich und sanft, nicht wahr? – Besonders heute ist Deine Stimmung unvergleichlich.“

Die hübschen Schultern zogen sich ein wenig empor, und der Mund nahm ganz matronenhafte Falten an.

„Wie man in’s Holz ruft, Georg, so schallt es zurück.“

Er wandte sich schnell herum und ein Streifblick traf die verschlungenen Arme, höher hinauf wagte er sich offenbar nicht. „Machen wir es kurz, Mathilde! Du willst mir also den Gefallen nicht thun? – Du liebst in der That Dein neues Kleid mehr, als Deinen Verlobten?“

Die Spatzen auf der Linde hüpften vor Schreck hoch empor, als diese Gewissensfrage und diese eilige Bewegung so unerwartet zusammentrafen. Ihr Zwitschern verdoppelte sich.

„Georg,“ versetzte das junge Mädchen, „Du bist – ja, ja,“ unterbrach sie sich dann, „es ist so, wie Du sagst. Ich liebe mein Kleid mehr. Das schwarze Seidencostüm will ich anziehen oder wir bleiben zu Hause; mein neues blaues soll nicht im Regen verdorben werden.“

„Aber ich mag Dich nicht wie eine Matrone gekleidet sehen; ich kann schwarze Anzüge nicht leiden. Mir zu Liebe mußt Du das blaue nehmen.“

„Nimmermehr!“

„Mathilde, wenn ich Dich bitte – –“ sagte er zärtlich, fast weich. „Es ist mir jetzt schon nicht mehr des Kleides wegen, aber daß Du so entsetzlich widerspruchsvoll bist, so – –“

Ein leises Lachen trennte die Rosenlippen. „So unausstehlich!“ ergänzte die junge Dame den Satz. „Warum Du wohl eine so hausbackene, ganz prosaische Braut gewählt hast, die nicht einmal ein Kleid, das nur zwölf Thaler kostet, aus purer Verliebtheit im Regen anziehen will? – Warum doch eigentlich, Georg?“

„Ja,“ seufzte er, „warum? Vielleicht solltest Du derartige Worte nicht sprechen, Mathilde. Aber laß uns zu Ende kommen, – gehen wir, oder gehen wir nicht?“

„Im schwarzen Kleide, recht gern.“

„Adieu!“ antwortete er verstimmt. „Ich komme heute nicht wieder, Mathilde.“

„Adieu, Georg!“

„Und Du willst mich nicht einmal ansehen, mir keinen Kuß geben?“

„Zur Belohnung für alle Deine Galanterien vielleicht? – Es beginnt zu regnen; ich will den Teppich vom Balcon nehmen und die Rosenstöcke in Sicherheit bringen – hörst Du wohl? Auch diese sollen nicht zu Grunde gehen, ebenso wenig wie das blaue Kleid.“

Und mit diesen Worten ergriff die junge Dame den offenstehenden Fensterflügel, um ihn zu schließen. Die Spatzen schwirrten in eiliger Flucht davon.

Als sie sich umwandte, war Georg verschwunden.

Der trotzige Zug des hübschen Gesichtchens verstärkte sich womöglich noch, obgleich ein dunkler Purpur die Wangen überflog. Mathilde mochte geglaubt haben, daß Georg nicht den Muth finden würde, wirklich ohne einen Abschiedskuß fortzugehen.

„Einerlei,“ dachte sie jetzt, „Unrecht hatte er, und – und – nachgeben ist gar nicht meine Art.“

Dann aber, als sie in das Nebenzimmer trat, schien ein plötzliches Erschrecken ihre hübschen Züge zu überfliegen. „O, Tante,“ sagte sie verwirrt, „Du hier?“

Eine alte Dame mit schneeweißem Haare und magerem, blassem Gesichte streckte ihr, im Lehnstuhle sitzend, beide Hände entgegen. Als Mathilde näher trat, sah sie, daß in den Augen der Greisin klare Thränen perlten.

„Großtante,“ rief sie bestürzt, „bist Du krank?“

Die Alte zog das hübsche trotzige Kind an ihre Seite, und streichelte ihm die glühenden Wangen. Eine Pause folgte dieser Bewegung, dann erst antwortete sie:

„Vergieb mir, Kind, daß ich – zum ersten Male im Leben horchte. Ich that es aus Liebe für Dich.“

Das junge Mädchen küßte zärtlich die weiße, durchsichtig magere Hand der Achtzigjährigen.

„Großtante, wie Du nur sprichst!“ flüsterte sie beschämt. „Georg war so eigensinnig heute. Ich konnte doch unmöglich das neue Kleid im Regenwetter anziehen.“

Die Greisin lächelte freundlich. „Wäre das wirklich so schlimm gewesen, mein Herz? – Ein paar Fältchen oder ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_305.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)