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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 18.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Ein kleines Bild.
Von Ernst Wichert.
(Fortsetzung.)


Das Mädchen hob rasch den Kopf und musterte ihn mit einem Blicke sprachlosen Erstaunens. Er wiederholte die letzten Worte, als wollte er jeden Zweifel beseitigen und nickte dabei freundlich. Ihm war eine Last vom Herzen. Juliette fand sich nicht sogleich in das ganz Unerwartete. „Sie, mein Herr …“ sagte sie mit ängstlich verhaltenem Tone; „Sie haben mein Bild –“

„Es war ein Zauber darin, den keine Philosophie ergründet. Und wenn alle Schätze der Welt dort oben aufgehäuft gewesen wären, sie hätten mich nicht verlockt. Aber dieses Bild … Ich wußte ja selbst nicht, was ich that, als ich es nahm. Die merkwürdigen Augen fesselten mich, diese lachenden Augen, die zu sprechen schienen: ‚ich bin das Glück; halte es fest!‘ Und als mir’s dann gehörte, das kleine Bild, da wurde es meine Unruhe. Es trieb mich zurück in dieses Haus, es zwang mich, hier Quartier zu nehmen; es gab mir den Rath ein, Ihren Vater zu begleiten, als er Sie aus der Pension abholte, es sprach mir Muth zu, wenn Ihr patriotischer Eifer meine freundschaftliche Annäherung verletzend zurückwies; es ließ mich selbst in jener traurigsten Stunde des Abschiedes nicht ganz trostlos; es begleitete mich in die Heimath und lachte mir auch dort glückverheißend zu. Und daß ich nun wieder vor Ihnen stehe, Juliette, auch das ist sein Werk. Sie ahnten nicht, welche Bedeutung Ihre Worte hatten, als Sie dem unbekannten Entführer eine unlöschliche Sehnsucht in’s Herz wünschten, als Strafe seiner Vermessenheit. Ihr Richterspruch hatte sich schon erfüllt.“

Juliette stand da, wie in tiefes Nachdenken versunken. Sie hatte die rechte Hand auf’s Herz gelegt und faltete mit der herabhängenden Linken mechanisch den Mantel, um ihn gleich wieder herabsinken zu lassen und das Spiel von Neuem zu beginnen. Sonst schien in der ganzen Gestalt keine Bewegung zu sein. Erst als er schwieg, hoben sich ihre langen Augenwimpern ein wenig, als erinnerte sie sich nun wieder an sich selbst. Er glaubte einen leisen Seufzer zu vernehmen, und die Lippen schienen etwas sprechen zu wollen. Er beugte sich vor und horchte gespannt; ihm war, als müßte die nächste Secunde über Sein und Nichtsein entscheiden. „O, das ist ein schweres Schicksal …“ hörte er sie fast tonlos hauchen.

„Ein Schicksal,“ berichtigte Arnold, „ohne Zweifel ein Schicksal. Aber warum ein schweres? Sind wir nicht seiner Herr, wenn wir uns ihm beugen? Und weshalb Widerstand versuchen? Ich bekenne mich machtlos, Juliette, und Sie – sprechen Sie, theuerste Juliette! – empfinden nicht auch Sie diesen Zwang wie etwas Unabwendliches, Unaufhaltsames –“

Unter ihren Wimpern stürzten die hellen Thränen hervor.

Sie wandte sich rasch ab und ging einige Schritte vor. „O, warum thun Sie mir das?“ sagte sie mit bebender Stimme. „Es kann – es darf ja nicht sein.“

Arnold folgte ihr. „Wenn Sie, wie ich, entschlossen sind –“

„Aber Sie sind ein Mann,“ unterbrach sie, „und Sie haben nicht einen Vater …“

„Ihr Vater wird sich bewegen lassen –“

„Nie, nie würde er einwilligen – glauben Sie mir: nie!“

„Wenn ich ihm sagen darf, daß Sie mich lieben –“

„Das wäre sein Tod. Nein, Sie dürfen nicht … O, mein Gott, wie kann ich Sie überzeugen …? Ich – ich – ich liebe Sie nicht.“

„Juliette –!“

„Ich liebe Sie nicht.“

„Und Ihr Bild ruft mir zu: ‚laß dich nicht beirren – du bist doch geliebt.’“

„Es ist Täuschung, mein Herr, Täuschung. Geben Sie das Bild zurück, und Sie werden wieder frei sein in Ihrem Gefühle –“ Sie eilte mit schnellen Schritten fort, der Ecke des Hauses zu, um welche der Weg nach dem hinteren Theile des Gartens führte.

„Ich trenne mich nicht mehr von ihm,“ rief er; „es ist mir ein Talisman, und ich gebe keine Hoffnung verloren, so lange ich ihn besitze. Beantworten Sie mir nur noch eine Frage: ist es wahr, daß Ihr Vater bereits über Ihre Hand verfügt hat?“

„So weit geht seine Macht nicht,“ entgegnete sie, sich stolz aufrichtend. „Ich werde nie einem Manne die Hand reichen, den ich nicht liebe.“

„Und dem Manne, den Sie lieben –“

„Nie ohne meiner Eltern Zustimmung.“ Das sagte sie zwar ohne Zögern, aber nicht mit derselben Sicherheit und Schärfe. Bildete er sich’s nur ein, daß ihre thränenfeuchten Augen dabei sprachen: aber du bist der Mann, den ich liebe!? Sie grüßte mit der Hand, kehrte sich rasch ab und entschwand ihm hinter dem Hause. Er wagte nicht, ihr nachzugehen.

Arnold hatte sich’s ja selbst nie anders gedacht, als daß er sein geliebtes Mädchen mit der Eltern Zustimmung heimführen wolle; nun aber gefiel es ihm doch wenig, daß Juliette das volle Gewicht darauf legte und der Hauptfrage auswich. Sich geliebt wissen, schien seinem Herzen ein so starkes Bedürfniß, daß dagegen der praktische Zweck der Werbung weit zurücktrat. Zwei Menschen, die ihrer Liebe gewiß seien, meinte er, könnten nicht unglücklich sein, auch wenn ein äußeres Hinderniß ihrer Vereinigung entgegentrete; gerade im gemeinsamen Kampfe werde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_293.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)