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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 17.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Ein kleines Bild.
Von Ernst Wichert.
(Fortsetzung.)


Also sie hatte seiner doch freundlich gedacht! Er steckte den Brief zu dem kleinen Bilde und wurde wieder an Juliette so lebhaft erinnert, daß er einige Tage ganz melancholisch herumging und seiner Mama große Sorgen machte. Daß er die Mutter des treuen Menschen aufsuchte und reichlich beschenkte, versteht sich von selbst. Er versprach ihr auch, den Sohn in’s Geschäft zu nehmen, wenn er Lust habe Comptoirdiener zu werden. Der „gelbe“ Herr Blanchard und die „vornehme“ Madame Blanchard gefielen ihm gar nicht. „Wir sind weit auseinander,“ gestand er sich.

Erst jetzt in der Heimath unter den Menschen, die von den Drangsalen des Krieges unberührt geblieben waren und ihre volle Freude an den großen Erfolgen unserer Waffen und an der Einigung des Vaterlandes zu einem deutschen Reich unter einem mächtigen Kaiser bei jeder Gelegenheit lebhaft aussprachen, lernte auch Arnold die Bedeutung dieser Errungenschaften recht würdigen. Aber so frei wurde seine Stimmung doch nicht, daß er sich mit rückhaltloser Begeisterung dem Festjubel hätte hingeben können. Er wußte ja, daß sich drüben der Horizont mehr und mehr verfinsterte, je glänzender hier die Glückssonne aufstieg, und daß sich eine immer höhere Schranke zwischen seinen Wünschen und der Hoffnung, sie erfüllt zu sehen, aufthürmte. Bei den Einzugsfeierlichkeiten war sein Haus nicht weniger geschmückt, als die anderen, und bei der Illumination hatte man Gassterne und Kerzen nicht gespart; er führte auch zu großer Befriedigung der Frau Mama Cousine Clara am Arm durch die Straßen und beantwortete Abends den Champagnertoast des guten Onkels Helmbach auf die friedlichen Streiter unter dem rothen Kreuz mit warmen Worten des Dankes, aber sein ganzes Herz war doch nicht dabei, und als er die Thür seines Schlafzimmers hinter sich geschlossen hatte, öffnete er die Brieftasche, nahm das kleine Bild heraus, hielt es lange vor sich hin und versuchte, ob es ihm nicht lebendig werden wollte. Das „erbärmlich weiß“ aus Kruttke’s Brief fiel ihm beim Anschauen der farblosen Photographie ein. Vielleicht dachte sie so schmerzlich an ihn, wie er an sie – vielleicht! Und sie hatte nicht einmal so viel von ihm zur Erinnerung.

Die Commerzienräthin ahnte nichts von alledem, was sein Herz beschwerte. Sie hatte den Lieblingsplan einer Verbindung ihres Sohnes mit seiner Cousine Clara nicht aufgegeben und versäumte nun keine Gelegenheit, ihn zu einem Entschluß zu drängen.

„Sprich nur ein Wort, daß Du einverstanden bist,“ sagte sie in einer vertraulichen Stunde gerade heraus, „und die Sache wird rasch in Ordnung gebracht sein. Ihr seid einander ja gut, so viel zu solchem Bunde nöthig ist, und daß Dir das treuherzige und bescheidene Mädchen eine brave Frau werden wird, ist außer jedem Zweifel. Worauf wartest Du eigentlich?“

„Du suchst Dir eine Frau für mich aus, beste Mama,“ antwortete er ausweichend, „und Cousine Clara, meinst Du, wird der Mutter ungefährlich sein. Aber ich denke noch gar nicht an’s Heirathen, und wenn einmal … Hoffentlich wirst Du meiner Wahl, wie sie auch ausfalle, Deine freundliche Zustimmung geben.“

Den Spätsommer brachte er in einem Bade zu, als dann aber wieder der Herbst herankam und sein Tagebuch vom vorigen Jahre immer wichtigere Daten in seine Erinnerung zurückführte, und nun auch jener Tag herankam, an dem er das kleine Bild aus der menschenverlassenen Villa entwendet hatte, wollte sich der Strom seiner Empfindungen nicht mehr niederdämmen lassen. Wie ein Träumender verrichtete er seine Arbeiten, genoß er seine Mahlzeiten, saß er am Familientisch. Seiner Mutter wurde er mehr und mehr ein Räthsel, und auch der Hausarzt wußte ihr dasselbe nicht zu lösen.

„Sage mir nur in aller Welt, was fehlt Dir, Kind?“ fragte sie ihn eines Tages mit Thränen in den Augen. „Du verkümmerst ja sichtlich! Willst Du mich um meinen einzigen Sohn, um meine ganze Lebensfreude bringen?“

Er faßte ihre Hand und drückte sie an sein Herz. „Versprichst Du mir, mich geduldig anzuhören?“ entgegnete er mit fester Stimme, nachdem er einen Entschluß gefaßt hatte. „Was ich Dir mitzutheilen habe, wird Dich in nicht geringe Verwunderung setzen, aber es darf Dich nicht erschrecken, nicht unwillig machen. Vergiß nicht, daß es Dein Sohn ist, der Dir sein Innerstes aufdeckt, und daß Du seinen Gefühlen auch dann Achtung schuldest, wenn Du sie nicht billigen kannst.“ Er öffnete die Brieftasche, nahm mit zitternder Hand Juliette’s Bild heraus und reichte es seiner Mutter.

Die Commerzienräthin warf einen neugierigen Blick darauf und erschrak, als sie das weibliche Portrait bemerkte, so heftig, daß sie kreidebleich wurde. Sie wußte in dem einen Moment Alles – Alles, worauf es ankam: Arnold liebte, und das war der Gegenstand einer Neigung, die ihn verzehrte.

Er erzählte nun seine Erlebnisse vor Paris mit aller Ausführlichkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_277.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)