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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Gruß zur Schiller-Feier“, obwohl die herbstliche Natur ihm schon die trüben Todesgedanken erweckte:

Die letzte Schwalbe flog vorüber
Und rief: „Komm mit, Du kranker Mann!
Wir ziehen in ein Land hinüber,
Wo Dich der Frühling heilen kann.“
Vom Baum die letzten Blätter sanken
Und riefen: „Komm, Du kranker Mann!
Wir ziehen hin, wo allen Kranken
Die Mutter Erde helfen kann.“
Was Schwalbe mir und Blätter sangen –
Verklungen ist’s, ich bin noch hier.
Wollt’ doch, ich wäre mitgegangen,
Es stünde besser wohl mit mir.

Von diesem Schmerzenslager aus sandte er auch seinem geliebten Jena noch seinen letzten Neujahrsgruß. „Liebet Euch einander in Frieden!“ So lautete der Schlußreim. Es war die Parole seines ganzen Lebens gewesen. Aber der Tod kam auch jetzt noch nicht. Es geschah dies wohl auf die Fürbitte des Frühlings. Er, den er stets so hoch gefeiert und warm besungen hatte, er wollte ihm noch einmal die Gnade seines Anblicks gönnen, den Reichthum seiner Gaben zeigen. Aber der müde kranke Dichter begehrte nicht mehr nach seinem Glanze, wies die Gaben von sich.

Ach, Mutter Erde, schicke mir
Nicht deiner Blumen Frühlingsgabe!
Gieb lieber mir ein Stück von dir,
Ein Stückchen nur zu einem Grabe.
Ein Grab! Dann werden Blumen auch
Auf des Erlösten Hügel blüh’n,
Und ruhig wird der Wehmuth Hauch
Der treuen Lieben um ihn zieh’n.

Nach diesen Lauten der Wehmuth verstummte der Mund des Dichters, und als der Frühling gegangen war, gab ihm die mütterliche Erde das begehrte letzte Geschenk, das schmale Stückchen Raum, in dem sie ihn bergend aufnahm, sie, die ewig reiche – den armen kranken Poeten.

Fr. Helbig.




Prachtstück altdeutscher Architectur im Norden.


Im vielgerühmten und mehr noch geschmähten Danzig wird sich ein Fremder heute vergebens nach mancher ihm als charakteristisch genannten Eigenschaft der alten Stadt mit Aug’ und Nase umthun. Keine unschönen Vorbauten engen mehr die Straßen ein. Die tiefen, mit Bohlen bedeckten Drummen und grabenartigen Rinnsteine, deren Miasma, in Verbindung mit dem berüchtigten schlechten Wasser, die Einwohnerschaft allsommerlich decimirte – der Schrecken Aller, die geliebter Schlendrian nicht daran gewöhnt hatte –, haben der Canalisation weichen müssen. Trottoirs durchziehen die sauberen Straßen, zu denen reine Luft jetzt ungehindert Zutritt hat; wüste Plätze sind zu Gartenanlagen umgewandelt, und statt der altem Pumpen spenden gußeiserne Ständer mittelst Röhren von Prangenau hergeleitetes krystallklares Quellwasser, das in den Häusern durch natürlichen Druck bis zu den höchsten Stockwerken hinaufsteigt. Seitdem dieses reine, köstliche Wasser der Stadt zugeführt ist, hat sich ihr Gesundheitszustand bedeutend gehoben. Keine Epidemie, selbst nicht die Cholera, fand auf diesem ihrem alten Lieblingsplatze seitdem eine Stätte, so drohend sie auch zu wiederholten Malen herangezogen kam.

Diese Wasserleitung und die Canalisation sichern dem Oberbürgermeister von Winter vor allen anderen humanen Einrichtungen seiner Verwaltung ein dankbares Andenken in Danzig für alle Zeiten. Sie sind sein eigenstes Werk, das er unter tausendfältigen Schwierigkeiten und Hindernissen, mit jener eisernen Willenskraft und Ausdauer, die man auch in weiteren Kreisen an ihm kennt, vollführte. Neue, hohe, helle Schulhäuser in allen Stadttheilen legen zugleich Zeugniß davon ab, daß des meisterhaften Organisators Walten sich nicht mit der Förderung des materiellen Wohls der Stadt allein begnügte, sondern ihrem intellectuellen Gedeihen die gleiche Sorgfalt widmete. Unter ihm hat Danzig eine neue, intelligentere Physiognomie erhalten.

Aber dem Schaffen von Luft, Licht und Raum für den gewaltigen, drängenden treibenden Verkehr der Jetztzeit ist auch eine charakteristische Schönheit der Stadt zum Opfer gefallen. So schmerzvoll Danzig seine Beischläge mit den kunstvollen Balustraden von Stein und messinggezierten Eisengittern, den gewaltigen Löwen und Granitkugeln an den Ausläufern ihrer Steinstufen dem allgemeinen Interesse geopfert hat, so schmerzlich wird sie der Gast vermissen, der Auge und Verständniß für diese seltenen architektonischen Schätze hatte, die stolz-trotzig den Sinn des alten Danziger Patricierthums illustrirten, das gleich dem Sohne Alt-Englands sprach: „Mein Haus ist mein Schloß.“

Was in stilleren Straßen davon erhalten ist, genügt auch heute noch, das Auge des kunstverständigen Fremdlings zu entzücken, aber es kann ihm nur noch einen unvollkommenen Begriff von dem geben, was z. B. die Langgasse früher bot. In ihr, als der Hauptverkehrsader der Stadt, hat am Ersten gänzlich damit aufgeräumt werden müssen.

In seinem Franziskanerkloster zählt Danzig jedoch jetzt mit gerechtem Stolz einen architektonischen Kunstschatz mehr. Die majestätische Marienkirche, die sich wie eine Sphinx über das Häusermeer der Stadt erhebt und ihre zahlreichen kleineren, aber gleichfalls merkwürdigen Schwestern, das Rathhaus mit seinem schlanken Thurm, der gothisch aus der Hauptfaçade aufsteigt, und dann halmartig zur Spitze wächst, die zum Reizendsten und Anmuthigsten gehört, was der Styl der Renaissance geschaffen hat, der trotzige Stockthurm, das Zeughaus mit seinen Giebeln und reichgegliederten Façaden, die imposante Halle des Artushofes, das Hohe, das Langgasser-, das Grüne Thor, – das Alles ist dem Kunstverständigen in weitester Ferne, gleich den Monumenten Roms bekannt; von dem Franziskanerkloster in Danzig aber berichtete ihm bisher kein kunstgeschichtliches Werk. Und das ist natürlich, denn erst der neuen Zeit war die Entdeckung seiner kunsthistorischen Bedeutung, der allerneuesten sein Auferwecken aus Schutt und Graus zu verjüngter Schönheit vorbehalten.

Wohl nur wenige Fremde, die in den letzten Jahrzehnten Danzig besucht haben, entsinnen sich des armselig genug aussehenden ruinenhaften Gebäudecomplexes neben der Trinitatiskirche in der Fleischergasse, der an der Südseite von einem wüsten, trümmerbesäeten Platze begrenzt war, welcher bei dem großen Brande von 1857 seine Mauer eingebüßt hatte, und nur durch einen abscheulichen Bretterzaun von der Straße getrennt war. Es sei denn, ein glücklicher Zufall habe sie mit dem silberhaarigen kleinen freundlichen Manne bekannt gemacht, der seit 1845 sich darin mit den Anfängen eines Museums eingenistet hatte und der Genius loci der Klosterruine geworden war, wie Passarge ihn treffend in seinen Reiseskizzen „Aus dem Weichseldelta“ nennt. Dann freilich waren sie bereits eingeweiht in die Wunder, die jene altersschwarzen, geborstenen Mauern bargen, wußten sie von den Schätzen, die dort ihrer Hebung harrten, trugen sie wohl gar selbst zu dieser Hebung bei, indem sie auf des Genius Geheiß einige von den Ziegelsteinen mit sich fortnahmen, die der Unermüdliche von dem Mauerwerk losgebrochen hatte, wodurch Jahrhunderte die Gewölbe der Hallen und Kreuzgänge des Klosters entstellt hatten.

Blättern wir, ehe wir seine Hallen betreten, einen Augenblick in den geschichtlichen Aufzeichnungen dieses Klosters, welches im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts unter dem Erzbischof Theodorich von Köln von den Barfüßlern des Franziskanerordens gegründet wurde. Seine Geschichte ist die der meisten Klöster des Mittelalters: zuerst war es eine Pflanzstätte der Aufklärung und Bildung, dann ein Heerd der Entartung und des Lasters.

Die Mönche hegten und pflegten in der ersten Zeit Künste und Wissenschaften. In dem sogenannten Palatium, über dem Kreuzgange des nördlichen Flügels gelegen, hatten sie eine Zuchtschule gegründet, an der selbst der Guardian Nicolaus Lachmann unterrichtete und aus der bedeutende Männer hervorgegangen sind.

Aber die Blüthe des Klosters war nicht von Dauer. Die Mehrzahl der Brüder gab sich Ausschweifungen hin und fachte dadurch den stillen Groll der protestantisch gesinnten Bevölkerung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_271.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)