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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

nichts. Lieber Herr Rose, ich hab’ Ihnen einen Gruß zu bestellen, aber Sie werden nicht rathen, von wem. Ich hatte nämlich im alten Quartier mein kleines Messer vergessen und da sprach ich einmal an und wollt’ es in der Küche suchen, denn den Herrschaften ist es doch nichts nütz. Der Herr Blankschart ging im Garten herum und war ganz gelb im Gesicht wie ein alter Postwagen, und das kommt gewiß von dem vielen Aerger, daß wir Paris nun doch noch untergekriegt haben; der sah mich blos grimmig an und sagt’ kein Wort. Sie haben jetzt eine Magd, die machte mir die Thür auf und wunderte sich auf Französisch über mich, daß ich zum Besuch komme, was ich wohl verstand. Aber sonst war sie ganz sauber, und schade, daß nicht schon zu unserer Zeit eingetroffen. Die Madame Blankschart that sehr vornehm, die ich doch zusammen gekocht habe, und gab gar keine Rede und Antwort wegen dem kleinen Messer. Da kam das junge Fräulein dazu und verstand gleich und ging mit mir in die Küche, und richtig! da hatte die Magd schon das kleine Messer gefunden und eingesteckt. Und wie ich nun ganz vergnügt ‚merzi‘ sagte, kam sie mit hinaus und sagte: ‚wissen Sie schon, daß Ihr Herr Rose gut zu Hause angekommen sein?‘ Sagt’ ich: ‚Nein.‘ Sagt’ sie: ‚ich wissen von meinem Bruder.‘ Sagt’ ich darauf: ‚Das freut mich.‘ Besann sie sich ein Weilchen und sagte dann ganz kauderwälsch: ‚Wenn Sie fahren nach Hause, ihn viel grüßen.‘ Na, ich denk’, ich richt’s lieber gleich aus, und daß sie roth wurde im ganzen Gesicht und sah doch vorher ganz erbärmlich weiß aus. So bitt’ ich nun sehr um Entschuldigung, wegen diesen Brief, daß ich an Ihnen schreibe. Und lieber Herr Rose, wenn Sie wo meiner alten Mutter einen Vorschuß geben wollen, das zahl’ ich alles ab. Denn sie meinen wohl, die Post ist sicher mit dem Gelde, aber ich trau’ lieber nicht. Lieber Herr Rose, ich dank’ noch viel mal für alles Gute und schreibe hierunter für alle Fälle meinen Namen, daß Sie wissen, wer schreibt – Gottfried Kruttke.“

(Fortsetzung folgt.)




Menschliche Erbschaften aus dem Thierreiche.


„Weh Dir, daß Du ein Enkel bist!“ so rief der Dichter, der unter allen seinen Brüdern in Apollo den tiefsten Blick in die Natur gethan, seinen Mitmenschen zu, und wir Alle hätten Ursache, ihm das mit einem tiefen Seufzer nachzusprechen. Denn wenn wir, ohne etliche sehr ungeschlachte Ahnen zu bemühen, geraden Wegs aus der Hand eines allweisen Schöpfers hervorgegangen wären, so hätten wir ohne Zweifel einen vollkommeneren Körper erlangt, als derjenige ist, mit dem wir uns behelfen müssen, so gut es eben angeht. Während ich diese lästerlichen Worte niederschreibe, glaube ich von ferne die Töne des Chores eines classischen Oratoriums: „Steiniget ihn! Steiniget ihn!“ auf mich eindringen zu hören, denn die Vermessenheit, den Wunderbau des menschlichen Körpers zu leugnen, scheint sehr Vielen die passendste Gelegenheit für Anbringung eines augenblicklichen Strafgerichts an Stelle des unbegreiflicher Weise ausbleibenden Schlaganfalls oder Donnerkeils. Beruhiget Euch, Ihr Herren im schwarzen Gewande! Der Schreiber dieser Zeilen hat sicherlich die bewunderungswürdige und weise Organisation des menschlichen Körpers öfter und andächtiger studirt, als die Meisten von Euch, und wenn er das Werk der Hand eines schrankenlos schaffenden Demiurgos nicht völlig würdig findet, so erscheint es ihm doch wie ein stolzer Hymnus, ein Triumphgesang auf die Erfolge einer begrenzten, an Naturgesetze und deren Nothwendigkeiten gebundenen Schöpfermacht.

Wenn du, der Verkünder einer gedankenlosen Schöpfungsmythe, einmal von den Südabhängen der Alpen in die Paradiese der alten Welt hinabgestiegen bist, so hast du vielleicht vor den Thüren der Bauernhäuser einen thierartig verkommenen Menschenschlag mit langen Wülsten und Beuteln am Halse hocken sehen, so grauenhaft häßlich und gottunähnlich, daß es nie ein Maler wagt, ihn zu malen, und daß dich schaudert, nur daran erinnert zu werden. Jener Auswuchs ist eine Wucherung der sogenannten Schilddrüse am Kehlkopfe, die nur dazu da zu sein scheint, arme Menschen zu verunzieren und zu ihrer Verthierung beizutragen, denn weiter hat das Ding keinen Zweck und Niemand hat bis jetzt einen Nutzen von derselben verspürt. Der Volksmund nennt die Hervorragung Adamsapfel und behauptet, gestützt auf den Umstand, daß sie beim Manne etwas stärker hervortritt, Adam habe den Apfel nicht willig nehmen wollen, da habe ihn Eva ihm mit Gewalt in den Schlund gestopft und schließlich sei das Kernhaus stecken geblieben. Nun, etwas Wahrheit ist in der Volksdichtung gewöhnlich verborgen, und etwas Erbsünde ist diesmal wirklich im Spiele; das Organ gehört nämlich zu den unnützen Erbschaften, die der Mensch von einigen Urahnen überkommen hat, welche die Anlage desselben beim Ernährungsprocesse sehr nothwendig gebrauchten.

Gar häufig bleibt dem Meisterwerke in jener kritischen Halsgegend wirklich ein Speiserest stecken, wenn er in die sogenannte „unrechte Kehle“, das heißt in die Luftröhre statt in die Speiseröhre, gerathen ist, und wenn dann die Natur sich nicht schleunigst selber hilft, kann der Herr der Schöpfung in wenigen Minuten das Opfer seines Wunderbaues geworden sein. Sehr zweckmäßig kann die Einrichtung, welche solche Verirrungen eines unbehülflichen Bissens möglich macht, kaum genannt werden, aber Denen, die da wissen, daß sich die Athmungsorgane der höheren Thiere durch allmähliche Umbildung eines oberen Theiles des Speiserohrs der niederen Thiere entwickelt haben, ist sie sehr begreiflich. Auch wenn die Speise glücklich den Magen passirt hat, sind nicht alle Gefahren überstanden. Wir haben als Anhängsel des Dickdarms eine kleine Sackgasse, den sogenannten Blinddarm, ererbt, der unserm pflanzenfressenden Vorfahren, als er noch in unverkümmerter Größe erschien, gewiß beim Verdauungsgeschäfte sehr nützlich war, dem Menschen aber nicht nur nie etwas nützt, sondern zuweilen Tod und Verderben bringt, wenn sich in dieser engen Sackgasse irgend ein harter Speiserest, ein Rosinenkern oder dergleichen, verrennt.

Ich könnte noch lange fortfahren in der Aufzählung solcher unnützen Erbstücke, die, wie wir sagen, oft wahre Danaergeschenke sind, aber ich ziehe vor, dieses Capitel mit der Erwähnung eines harmloseren Andenkens an den thierischen Ursprung, der menschlichen Ohrmuskeln, zu beschließen. Nach der gewöhnlichen Redeweise der Völker spitzen wir allerdings noch zuweilen die Ohren, in Wirklichkeit haben wir uns aber diese Gymnastik, in welcher die meisten Säugethiere so geübt sind, und das edle Pferd die ganze Scala seiner Seelenzustände ausprägt, völlig abgewöhnt. Aber die Muskeln dazu besitzen wir noch, und der Schreiber dieser Zeilen erfreute sich eines Schulcameraden, der sich dieses Besitzes sehr bewußt war und manchmal Prügel dafür bekommen hat. Er hatte die Fähigkeit, seine Ohren ohne Mithülfe des Stirnmuskels lebhaft hin und her zu bewegen, durch Uebung zu einem erstaunlichen Grade herausgebildet, und oft, wenn wir trostlos in langweiliger Schulstunde dasaßen, begann er wie der Hase im Kohlbeete seine Männchen zu machen, so daß es mit aller Andacht vorbei war. Auch ihm brachte das Erbstück nichts als Schaden, denn er konnte nicht von seinen Productionen lassen, und wenn der gestrenge Herr Lehrer auch die ersten Male mitlachte, so gab es doch später harte Hiebe und zuletzt wurde der fähige Junge auf die letzte Bank verwiesen, damit ihn Keiner sehen konnte.

Indessen diese unnützen Organe des menschlichen Wunderbaues haben trotz alledem einen großen Nutzen: sie bringen den vorurtheilsfreien Kopf zum Nachsinnen und die Zweckmäßigkeits-Riecher, das heißt die Leute, welche in der ganzen Welt nur planmäßige Schöpfungsideen verwirklicht sehen möchten, zur Verzweiflung. Wenn etwas damit auszurichten wäre, würden sie den Teufel zu Hülfe rufen, um ihm wie die Erschaffung der Schlangen, Fliegen und des schädlichen Gewürms, auch die Kropfdrüse, die Schwanz-Rudimente des Menschen, sammt ihren auf Wartegeld gesetzten Bewegungsmuskeln, den Blinddarm und ähnliche Anhängsel aufzuheften. Diese neuerdings aufgekommene Disciplin der Dysteleologie oder Unzweckmäßigkeitslehre ist, wie gesagt, ein rechtes Martergebiet und Kreuz für Teleologen, denen dabei nichts übrig bleibt, als sich auf ihre Unwissenheit zu berufen, indem sie vorgeben: man könne nicht wissen, wozu die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_266.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2016)