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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

von der Federspitze anfangend, den halben freiliegenden Schnabel scheerenartig von der anderen Hälfte abwärts, und die Elasticität ist so groß, daß der niedergebogene, nunmehr abgespaltene Theil von selbst wieder in seine frühere Lage zurückspringt.

Das hierauf folgende Probiren und Sortiren erfordert die besten und geübtesten Arbeiterinnen. Jede Feder wird mit der Spitze auf ein Stückchen Elfenbein aufgedrückt und so die Güte ermittelt. Die fehlerfreien kommen nun zur Politur und zum letzten Schliff. Jenachdem die Feder nun als Goldspitz-, als Kupfer-, Silber-, Zinkcompositions- (Amalgama-), als Guttapercha- oder Cementfeder in den Handel kommen soll, wird sie galvanisch behandelt, oder mittelst Säure (Cyankali) gebeizt oder lackirt.

Für den Handel fertig werden die Federn erst durch die Verpackung in die Großschachteln, welche aus Pappe oder Metall hergestellt sind. Die Federn werden nicht hineingezählt, sondern großweise abgewogen, und selten wird sich eine Unrichtigkeit in der Zahl herausstellen, da das Cementstahlblech zu denselben vorher auf seine Stärke (0,20 bis 0,24 Millimeter) genau geprüft ist.

Die ersten und auch wohl besten, in Deutschland jedoch weniger bekannten, weil zu theuren Stahlfedern wurden von Joseph Gillott in Birmingham verfertigt. Derselbe lieferte schon in den vierziger Jahren jährlich gegen hundertfünfzig Millionen Stahlfedern, was ungefähr tausend Centner besten Stahls jährlich austragen würde. Gegenwärtig ist ihm der Rang von Josiah Mason ebenda abgelaufen worden, dessen Federn durch die Grossofirma A. Sommerville u. Comp. in Deutschland die weiteste Verbreitung gefunden haben. Mason ist durch seine menschenfreundlichen Stiftungen, welche wahrhaft fürstlich dotirt sind, auch über England hinaus berühmt geworden und hat sich von dem bescheidensten Arbeiterloose zu einem Millionär hinaufgearbeitet.

Von den vielen in Birmingham bestehenden, theilweise über fünfhundert Arbeiter beschäftigenden Fabriken ausgezeichneter Federn seien nur noch genannt die in Deutschland sehr verbreiteten Marken John Mitchell, ferner Ch. Brandauer, welche letztere unter dem Namen Kuhn u. Comp. von Wien aus in den Handel kommen, Leonhardt u. C. und Hinks Wells u. Comp. Aus Boulogne gelangen über Paris viele ganz gute französische Federn zu mäßigen Preisen in den Handel, und werden dieselben sogar in Säcken versandt, um in Deutschland und anderen Ländern eingeschachtelt und etiquettirt zu werden. Die bekannteste französische Marke ist Blanzy, Poure u. Comp.

Die einzige deutsche Stahlfederfabrik mit dreihundert Arbeitern in Berlin von Heintze und Blanckertz hat sonach gegen eine große Concurrenz zu kämpfen, welche um so gewichtiger ist, als den Engländern ein ganz besonders zur Federbereitung geeignetes, jetzt auch von der Berliner Fabrik benütztes Material, raffinirter Sheffielder Cementstahl, zur Verfügung steht, während in Berlin, früher, meist schwedisches Stahlblech zur Verarbeitung gelangte. Es ist gewiß, daß die deutsche Fabrikation in Betreff der Vollkommenheit der Maschinen und ihrer Benutzung ebenso ausgebildet ist, wie die englische, und daß deutsche Gründlichkeit größere Sorgfalt beim Probiren und Sortiren anwendet, aber ein gewisses Vorurtheil spricht, ähnlich wie bei den englischen Nähnadeln, für die englischen Federn, und es werden noch viele Jahre des angestrengtesten Fleißes vergehen müssen, um dasselbe zu besiegen.

Schließlich noch einige Winke für alle Schreibende.

Möchte doch Jedermann, sobald er eine Feder gefunden hat, die seiner Hand zusagt, nicht voreilig mit der Marke wechseln, selbst wenn er mehrere mangelhafte Federn in einer Schachtel vorfand. Muß man aber doch einmal wechseln, so hüte man sich vor den meist unreellen Fabrikaten angeblicher Fabrikanten und kaufe nie von Herumträgern, sondern nur aus einer Schreibmaterialienhandlung, wo beim Verkäufer einige Kenntniß der Originalfabrikmarken und Verpackungen vorausgesetzt werden kann. Eine Handschriftprobe wird zur passenden Auswahl einer Feder von großem Nutzen sein.

Was die Firmenstempel der Federn betrifft, so ist die Bemerkung nothwendig, daß die meisten Fabriken ihren guten Producten auch ihren eigenen Namen aufprägen und nur bei den geringeren Sorten mit gedrückten Preisen denselben weglassen. Mehrere Fabriken befassen sich überdies nicht mit der Etiquettirung und Verpackung, sondern überlassen den ausschließlichen Vertrieb bestimmten Grossohäusern, welche letztere solchergestalt, dem Publicum gegenüber, als Fabrikanten gelten können, weil sie nur diese Fabrikmarke führen, ohne die Fabrik zu besitzen. Man merke deshalb auf die stetig wiederkehrende gleiche Verpackung, welche nicht nachgeahmt werden darf, aber häufig gefälscht wird, um geringere Fabrikate für bessere Marken anzubringen. Was nun die Zeitungsankündigungen neuentdeckter Federn etc. anlangt, so giebt es bis jetzt, und wenn hunderte von Annoncen Aehnliches zusagen sollten, keine Federn, die von selbst schreiben.

Der Verfasser des „papiernen Zeitalters“.




Das Berliner Künstlerfest.


Es war am Abend des 20. Februars, als sich in Berlin eine unabsehbare Wagenreihe über die Gertraudtenbrücke und den Spittelmarkt an dem Abgeordnetenhause vorüber in langsamstem Tempo zu den „Reichshallen“ bewegte, einem jener großartigen neuen Etablissements, welche gleich der Passage die Metropole des deutschen Reichs als werdende Weltstadt erscheinen lassen. Sobald sich vorn ein Wagen von der Kette gelöst hatte, schloß sich hinten ein neues Glied wieder an. Vorüber an dem unausbleiblichen Publicum, das vor den Reichshallen zu beiden Seiten des Trottoirs Spalier bildete und die bunten Insassen der herrschaftlichen Equipagen und bescheideneren Lohnfuhrwerke nicht ohne kritische Glossen im Stil des Berliner Schusterjungenhumors Revue passiren ließ, gelangte man auf rücksichtsvollen Fußdecken zur blumengeschmückten Treppe, welche in die Garderoben mündete.

Hier fielen die Hüllen. Aus dem Ballaste der Plaids, der Mäntel, der Tücher und der Pelze sah man die vielgestaltigen Phönixe empor- oder vielmehr heraussteigen und nach ihrer in Folge des immer neuen Andrangs nicht ohne Schwierigkeit vollzogenen Metamorphose den Festsaal betreten. Welch’ überraschender Anblick! Vor den Eintretenden ein Wallen und Wogen, ein buntes Durcheinander, ein vielfarbiges Massenbild, das sich wirksam von einem colossalen, rothen, goldbefranzten Vorhang abhob, der, in pompöser Drapirung niederfallend, die Bühne bedeckte, welche im Hintergrunde des mächtigen Saals auf dem sonst für das Orchester bestimmten Platze erbaut war. Zu beiden Seiten der Bühne erhoben sich improvisirte Treppen, welche, mit dunkelrothem Stoffe bezogen und mit frischen Gewächsen geschmackvoll decorirt, die Galerien des Saals mit seinem unteren Raume verbanden. Das beständige Auf- und Niedersteigen, die zum Theil auf den Stufen sitzenden, zum Theil sich über das Geländer beugenden Gestalten gaben Anlaß zu wahrhaft malerische Gruppirungen. Die Balustraden der durch ihre Bogen und Säulen ohnehin künstlerisch schönen Galerien waren mit prächtigen Teppichen behangen, deren übereinstimmende, sanft gedämpfte Färbung einen wohlthuenden Gegensatz zu der blendenden Farbenpracht der Costüme bildete.

Das diesjährige Fest hatte die gewohnte Physiognomie verändert. Es hatte sich sonst dabei ausschließlich um ein Herrenfest gehandelt. Zum ersten Male war die Damenwelt hinzugezogen worden. Die bisherige Exclusivität war innerhalb der Künstlerkreise längst auf Opposition gestoßen; die Anwälte des schönen Geschlechts trugen endlich den Sieg davon; die alte Tradition wurde gebrochen und dem Feste die Gestalt eines Costümballes gegeben.

Die Costüme selbst in ihren Details auch nur annähernd zu beschreiben, würde das stärkste Gedächtniß zu schwach sein. Der Eindruck einer Schilderung all’ der glanzvollen Erscheinungen mag sich zu dem ihres Anblicks verhalten, wie sich eine gemalte Landschaftsdecoration zu einem Licht, Luft und Leben athmenden wirklichen Naturbilde verhält. Das Einzelne zudem, das am lebhaftesten in der Erinnerung haften geblieben ist, wird, zurückgenommen aus dem Rahmen des Ganzen, an Wirkung verlieren. Vornehmlich in der Beweglichkeit des Gesammtbildes lag für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_255.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)