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verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 11.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Die Kaiserin von Spinetta.
Eine italienische Dorfgeschichte. Von Paul Heyse.
(Schluß.)


So waren einige Monate ins Land gegangen. Der Sommer neigte sich zu seinem Ende; die einsame Braut dachte wohl mit stillem Seufzen daran, was im rauhen Winter aus dem gejagten Wild in den Bergen werden würde, und ihre Zuversicht auf Maino’s Stern fing an wankend zu werden. Da saß eines Abends, als der Mond eben über dem Dache des Kirchleins heraufglänzte, der Pfarrer von Spinetta in der Küche, wo er seine Mahlzeiten an einem Tischchen nahe beim Herde einzunehmen pflegte; die alte Magd hatte ihm das Schüsselchen mit Polenta aufgetragen, dazu den Teller mit Brod und Oliven und wollte nur noch in den Keller, um unten die Flasche mit rothem Landwein zu füllen, als die Thüre sacht aufgemacht wurde und mit einem „Guten Abend, Herr Pfarrer!“ ein Mann in wunderlichem Aufzuge über die Schwelle trat. Er glich in der That den phantastisch aufgeputzten Räuberfiguren, wie sie in Italien sonst nicht zu finden sind, außer auf Opernbühnen, wenn „Fra Diavolo“ in Scene geht. Ueber der Schulter hing eine treffliche englische Doppelbüchse; in dem großen rothseidenen Shawl, der die Hüften umgürtete, steckten zwei silberbeschlagene Pistolen. Gesicht und Hände zeigten sich wohlgewaschen, und das krause Lockenhaar war glänzend von wohlriechendem Oel. Der Pfarrer, der sofort den berühmten Helden von Spinetta erkannt hatte, erschrak trotz alledem und starrte die Erscheinung stumm mit großen Augen an, während die alte Magd sich schreiend hinter den Herd flüchtete. Maino aber trat mit einem zutraulichen Kopfnicken näher, nahm den breiten Hut mit der wallenden Feder ab, daß die lange goldene Kette daran klirrend die Steinfliesen streifte, und bat den hochwürdigen Herrn, ganz unbesorgt zu sein, er habe nichts Böses gegen ihn im Sinne, wolle ihn auch nicht länger incommodiren, als bis er den Zweck seines Besuchs erreicht habe, der kein anderer sei, als daß die Trauung, die neulich so unliebsam gestört worden, nunmehr in aller Form zu Ende gebracht werde.

Hiermit winkte er nach der Thür zurück, und Pia trat schüchtern herein, im Brautstaate, wie damals, nur daß man ihr ansah, wie wenige Minuten sie auf ihren Putz hatte verwenden dürfen. Hinter ihr sah man im Hausflur allerlei dunkle Gestalten mit blitzenden Gewehrläufen, und vor dem Hause schien die ganze Bevölkerung von Spinetta in athemloser Aufregung der Dinge zu harren, die da kommen sollten.

Der Pfarrer, der um Vieles beherzter war als sein berühmter College Don Abbondio, sah dennoch ein, daß hier von Widerspruch keine Rede sein konnte, und da alle üblichen Präliminarien schon vor dem ersten Hochzeitstage ins Reine gebracht waren, konnte auch sein geistliches Gewissen nichts gegen die Einsegnung dieser Ehe einwenden. Nur erlaubte er sich die Frage, ob Maino auch ganz sicher sei, daß die Hochzeit nicht abermals durch einen Protest der weltlichen Macht unterbrochen werden würde, worauf der Bräutigam, der seit seiner Hauptmannswürde um ein paar Zoll gewachsen zu sein schien, mit einem überlegenen Schmunzeln erklärte: Bis an den andern Tag würden sie ganz traulich unter sich bleiben, da er Sorge getragen, die neidischen Störenfriede in einen sichern Gewahrsam zu bringen. Die beiden gottverdammten Hallunken, Barbone und sein schuftiger Kamerad, lägen mit neuen Stricken gebunden im Spritzenhäuschen, das zum Ueberfluß verschlossen sei und wohl bewacht werde. Diese Nacht gedenke er mit seiner jungen Frau in ihrem Hause zuzubringen, morgen aber seiner Heimath für lange, wo nicht für immer den Rücken zu kehren. „Ein Galantuomo, Herr Pfarrer,“ schloß er seine Rede und lachte dabei so freudig, daß all’ seine weißen Zähne im Herdfeuer blinkten, „ein Galantuomo findet sein Vaterland überall, wo es Galantuomini giebt, und in unserm benedeiten Piemont sind diese Früchte so selten, wie Feigen auf dem Kirchendach. Ich gedenke mit meiner Frau mich in Frankreich niederzulassen, oder auch in Spanien, da gilt Jeder nur was er ist. Das beste Gericht, Herr Pfarrer, ist nicht mehr schmackhaft, wenn es angebrannt ist, und meine Feinde hier im Lande haben einen Rauch und eine Stänkerei angestiftet, daß es einem in die Augen beißt. Uebrigens verlang’ ich nichts umsonst, Hochwürden, und hier sind die Traugebühren.“

Er trat an das Tischchen und zählte ein Dutzend blanker Goldstücke neben das Lämpchen hin. Dabei konnte der Pfarrer sehen, daß sein Gang schwankend war und seine Hände ein wenig unsicher. Er hatte offenbar stark gezecht, und das geringste Hinderniß, das seinen Willen kreuzte, konnte den treuherzigen Uebermuth seiner Weinlaune in wildesten Jähzorn verwandeln.

Also besann sich der Pfarrer keinen Augenblick, diese fürstliche Vorausbezahlung einzustreichen, und erklärte sich bereit, dem Paare in die Kirche voranzugehen.

Es war inzwischen aus Dämmerung Nacht geworden, aber die Straße zwischen dem Pfarrhause und der Kirche gleichwohl hell erleuchtet, von einer Menge Fackeln, die Maino’s zahlreiches Gefolge mitgebracht hatte, und überdies von den Lämpchen und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_173.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)