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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Firdusi nicht nur durch die hohe Anschaulichkeit der Erzählung, die Bilderpracht der Sprache und den Wohllaut des Verses die einzelnen Lieder, sondern auch die ganze Sammlung zum Kunstwerk zu erheben verstanden durch das einzige Mittel, welches der kunstwidrige Auftrag gestattete: Einen und denselben Grundgedanken läßt er gleichmäßig hell als Thema hervorleuchten aus jeder der vielen Erzählungen, in denen uns Jahrtausende und ganze Reihen von Königen und Geschlechtern vorüberziehen. Wie das ganze Schiff sich emporbaut auf dem einen Kielbalken, so ist der tragende und verbindende Pfeiler des Schahnameh der Kampf des Lichtreichs mit dem Reiche der Finsterniß. Die Helden Irans sind die Vorkämpfer der guten Götter, ihre Zöglinge und Verwandten; die Turanier sind die Streiter und Günstlinge Ahriman's und seiner bösen Geister, ja, deren Verleiblichung; wie z. B. dem Sohak, als er sich dem Bösen ergeben hat, von dessen Kuß aus beiden Schultern Schlangen hervorwachsen, die er mit Menschenhirn füttern muß. Auch hier also haben wir wieder die Gegenstellung der Kuruinge und Pandu des Mahabharata, der Wölsunge und Nibelunge des germanischen Epos.

Keine Dichtung, und am wenigsten ein Epos, kann man anders als aus ihr selbst wahrhaft kennen lernen. Ein Auszug des Inhalts bleibt immer ein dürftiger Behelf, ein farbloser Schattenriß. Von Firdusi's kolossalischem Werke würde für diese Blätter auch der allergedrängteste viel zu lang ausfallen. Glücklicher Weise ist er in diesem Falle auch überflüssig; denn sein Schahnameh ist auch unser. Wir besitzen das Werk des „Paradiesischen“ in einer deutschen Nachbildung, die sowohl durch ihren Gegenstand, als durch die hohe Vortrefflichkeit ihrer Ausführung eines Platzes würdig ist neben den besten Originalschöpfungen unserer besten Dichter. Sie ist von Friedrich v. Schack und hat für uns nicht verloren, sondern gewonnen durch ihre Beschränkung auf eine wohlverbundene Auswahl der schönsten Erzählungen.

Aber das persische Epos ist unser auch in einem zweiten und tieferen Sinne. Nach dem Zeugnisse der vergleichenden Sprachkunde sind aus den Hochländern an den Quellen des Dschihun, mit den Persern zugleich und ursprünglich mit ihnen vereinigt, auch unsere Vorfahren herabgestiegen. In jenen Saken und Massageten, bei deren Bekämpfung der große Cyrus den Tod fand, hat Jakob Grimm aus guten Gründen die Stammväter der Germanen zu erkennen geglaubt. Zahlreich sind denn auch die Anklänge zwischen der persischen und germanischen Sage. So weisen unverkennbar auf ein gemeinsames Urbild zurück unser Sigfrid und der gefeite Isfendiar, der nur mit dem Pfeile von einem Zweige der Schicksalsulme erlegt werden kann, gerade wie Balder, der in unserem Helden vermenschlichte Gott, nur durch einen Mistelzweig tödtbar ist. Ferner erzählt unser altes Lied von Hildebrant und Hadubrant, selbst in Einzelnem zusammentreffend, ganz die Geschichte vom Kampfe Rustem's mit seinem Sohne Sohrab, wenn auch, nach meiner Ueberzeugung, zu anderem Ausgange gemodelt. Und noch ein Größestes hat nur die iranische Sage mit der unsrigen gemein: daß die Liebe zwischen Mann und Weib nicht wie von der späteren romantischen Poesie als höchste Lust und Gefühlswonne des Einzelnen und um ihrer selbst willen gefeiert wird, sondern das Recht der Darstellung nur erhält für edle Frucht, als Ursprungsquelle höchster Menschenkraft, als Erzeugerin herrlicher Helden. So wird in einer überaus anmuthigen Episode des Schahnameh die Jugendliebe des Sal und der Rudabe zwar mit kräftigen Farben gemalt, aber über der sinnlichen Gluth der Schilderung wallet dennoch die edelste Keuschheit; denn ihr Dienst ist lediglich der, aus der Höhe der auflodernden Entstehungsflamme die wunderbare Größe des bevorstehenden Sohnes Rustem ahnen zu lassen. So dürfen wir in der That in den Stoffen Firdusi's zugleich älteste Denkmale unserer eigenen Urzeit begrüßen.




Blätter und Blüthen.


Ein Beispiel des alten Volksglaubens. Was ich in nachfolgenden Zeilen mittheile, ist ein Erlebniß, dessen strengste Wahrheit ich verbürge; es soll einen eclatanten Beweis dafür liefern, wie noch vor dreißig Jahren in Hinterpommern vielfache Spuren von dem altgermanischen Wunderglauben vorhanden waren und die Gemüther erfüllten.

Im Sommer des Jahres 1846, wo ich als Hauslehrer auf einem Gute Hinterpommerns fungirte, meldete mir eines schönen Tages der Diener der Gutsherrschaft, daß mich zwei fremde Männer zu sprechen wünschten. Ich sagte ihm, daß ich bereit sei, dieselben zu empfangen; er möge sie nur herführen. Zwei stattliche Männer des Bauernstandes in den besten Mannesjahren traten ein und eröffneten mir, daß sie von dem Lehrer K. in Horst bei Wangerin am Woidschwinsee an mich gewiesen seien, damit ich ihnen die Zauberformeln in dem Buche, das sie mir überreichten, aus dem Lateinischen in's Deutsche übersetze; ich würde das wohl können, da ich ja nach Versicherung des Lehrers in Horst, der übrigens ein Jugendgenosse von mir war, ein sprachenkundiger Mann sei, und wenn ich ihnen diesen Gefallen erwiese, so solle das mein Schade nicht sein. Ich nahm das Buch zur Hand und sah, daß dasselbe sogenannte Zauberformeln von Paracelsus, Doctor Faust und anderen berühmten Magikern, wie wenigstens der Titel berichtete, enthalte, die zu allerlei Zwecken nützlich zu verwenden seien. Gedruckt war das Buch Anno 1682 zu Frankfurt am Main, der Form nach klein Octav und in Druck und sonstiger Ausstattung den Volksbüchern ähnlich, die ehedem auf Jahrmärkten verkauft wurden und die Geschichte der Genoveva, des Doctor Faust, der schönen Melusine und dergl. enthielten. Als Charakteristicum stand auf allen Exemplaren solcher Bücher, die ich gesehen habe: „gedruckt in diesem Jahre“.

Zunächst richtete ich die Frage an die Männer, welchen Zweck sie denn versorgten, wozu sie die Sprüche und Zauberformeln, die das Buch enthalte, verwenden wollten? Treuherzig, aber mit der Bitte, ihr Geheimniß nicht zu verrathen, eröffneten sie mir, sie seien Schatzgräber, die zufällig in der Nähe von Wangerin an den Ufern des Woidschwinsees, wo einst zahlreiche Raubritter gehaust hätten, einen großen Schatz entdeckt, dem sie bereits bei mehrfachem Nachgraben auf der Spur gewesen seien, der aber bisher ihnen immer durch den Erdgeist entrückt worden sei; einmal seien sie ihm sogar so nahe gewesen, daß sie die Geldstücke beim Fortrücken hätten klingen hören. Wo der Schatz jetzt ruhe, habe ihnen die Wünschelruthe, die sie einem alten Schäfer in Stramehl bei Labes für schweres Geld abgekauft hätten, angezeigt, aber den Schatz zu heben, werde Ihnen erst gelingen, wenn sie im Stande wären, den Erdgeist zu bannen, daß er hinfort den Schatz nicht mehr fortrücke. Dies aber würden sie können, sobald sie die in dem Buche enthaltene Bannformel besäßen, und zu diesem Besitze möchte ich ihnen nun verhelfen. Auf meine weitere Frage, wie sie denn zu diesem seltsamen Buche gekommen seien, theilten sie mit, daß sie es von einem alten Feldscheer, der in Marienfließ bei Freienwalde in Pommern durch seine Mixturen und Salben von weit und breit Kranke an sich zöge und überhaupt einen gewissen mysteriösen Nimbus um sich verbreitet hätte, für fünf Thaler gekauft hätten; es zu verdeutschen, sei er außer Stande gewesen, da er nur „Apothekerlatein“ verstehe. Ihm hätten sie aber außer seinem Preise für das Buch noch eine bestimmte Quote vom Schatze versprechen müssen.

Es war für mich interessant, einmal zwei leibhaftige Schatzgräber vor mir zu sehen, deren Treiben auf der Feldflur meines Heimathdorfes mich als Knaben einst vielfach beschäftigt hatte. Ich hatte ja selbst die Gruben in einem Thale, welches die Hölle hieß und wo es, wie die Leute sagten, nicht ganz richtig war – es war dort der dreibeinige Hase gesehen worden – oft ganz frisch und nachdem sie erst in der vorhergehenden Nacht aufgeworfen, gesehen. Auf meine Aufforderung, mir doch genau mitzutheilen, wie sie denn zu der Gewißheit gelangt seien, daß dort ein Schatz verborgen liege, erhielt ich zur Antwort, sie selber seien einst bei einer Rückkehr in ihr Heimathsdorf um Mitternacht an der Stelle vorbeigekommen, wo der Schatz gebrannt habe, das heißt, durch einen hellen Schein über der Erde sein Dasein und den Wunsch zu erkennen gegeben habe, daß er gehoben sein wolle. Zwar sei der Schein plötzlich verschwunden, aber durch einen eingesteckten Stock hätten sie die Stelle genau bezeichnet und am nächsten Morgen auch richtig mit ihrer Marke wiedergefunden.

In der nun folgenden Nacht seien sie Beide mit Spaten und Schaufel, natürlich unter dem tiefsten Stillschweigen (dies müsse immer beobachtet werden, wenn das Unternehmen gelingen solle), an die bewußte Stelle gegangen und hätten um zwölf Uhr mit Eintritt der Geisterstunde ihre Nachgrabungen begonnen, und siehe da, als sie bereits auf den Deckel des Kastens aufstießen, donnerte es vom nächsten Kirchthurme Eins und unter Klingen und Rauschen habe der Erdgeist den Kasten an eine andere Stelle gerückt. Diese neue Stelle, an der sich der Schatz befand, wiederaufzufinden, sei ihnen mit Hülfe der Wünschelruthe gelungen, aber ihre Arbeit sei auch diesmal vergebens gewesen und den nächsten Versuch, da ihnen die Wünschelruthe bereits wieder die Stelle, wo der Schatz jetzt stehe, angezeigt habe, wollten sie erst machen, wenn sie durch mich in den Besitz der Bannformel gelangt seien. Sie bäten mich deshalb gar sehr, ihnen zu helfen, zumal es mein Schade nicht sein solle.

Auf meine Entgegnungen, daß ihr Vorhaben doch eigentlich auf crassem Aberglauben beruhe, gingen sie weiter nicht ein, erklärten mir aber offen, sie wüßten sehr wohl, daß wir studirten Leute an dergleichen nicht glaubten; das hätten sie auch von mir erwartet, sie indeß blieben bei ihrem Glauben, und sicherlich würden sie den Schatz heben, wenn ich sie mit meiner Hülfe nicht im Stiche ließe, und dann würden mich die harten Thaler, die sie mir bringen würden, eines Besseren belehren. Ich unterließ, meine Zweifel weiter auszusprechen, da es mir doch nichts geholfen hätte, weil ich sah, wie das Innere beider Männer von einem abergläubischen Wahne erfüllt war, den ich auszutilgen außer Stande war; ich gab das Versprechen, spätestens in vierzehn Tagen ihnen eine treue und wohlverständliche Uebersetzung durch den Lehrer K. in Horst zuzustellen, und es würde mich freuen, sie baldigst mit einem Klumpen Goldes bei

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