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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Der katholische Schiller.
Von Robert Keil.

Als vor einiger Zeit durch die deutsche Presse die Kunde lief, daß gewisse süddeutsche Blätter die Behauptung aufstellten, Schiller sei zum Katholizismus übergetreten und deshalb um Mitternacht ehrlos von bezahlten Schneidern zu Grabe oder vielmehr in eine Kalkgrube getragen worden, wäre man geneigt gewesen, das Ganze für einen unwürdigen, frivolen Scherz zu halten, wenn nicht das Motiv dieses Geschwätzes dem letzteren eine ernstere Bedeutung gegeben hätten. Es war die ultramontane Presse: die in Passau erscheinende „Donauzeitung“, der in München erscheinende „Volksfreund“, das in Würzburg erscheinende „Fränkische Volksblatt“, durch welche jene Lüge in die Welt gesandt wurde, und diese Lüge war nichts anderes, als ein jesuitisches Bubenstück.

In Veranlassung des Glaubenswechsels der Königin Mutter von Bayern hatten jene Blätter die Hoffnung ausgesprochen, „daß auch in Deutschland wieder Ein Hirt und Ein Schafstall sein werde – daß Alle, die vor dreihundert Jahren ausgezogen, wieder heimkehren werden in’s Vaterhaus, einig nicht à la Bismarck, sondern à la Königin Marie von Baiern“; sie hatten wider den intoleranten Sectenhaß gegen die Convertiten geeifert und als eines der „allerflagrantesten Beispiele von Verfolgungssucht gegen große Convertiten“ den Namen Schiller’s genannt. Zur Rechtfertigung dessen stellten sie die Behauptung auf, „Schiller, der Lieblingsdichter der Nation, sei katholisch gestorben und dafür in eitler Nacht von bezahlten Schneidergesellen ehrlos zu Grabe getragen worden, Oberconsitorialrath Günther in Weimar habe sich allen Bitten für eine würdige Bestattung widersetzt; Goethe, der damals allmächtige Minister des Herzogthums, habe nichts für seinen ehemaligen Freund gethan; Schiller habe in einer Kalkgrube gelegen“. Sie druckten, ohne die Quelle zu nennen, Mittheilungen des ehemaligen Bürgermeisters von Weimar Carl Leberecht Schwabe (aus dem Werke „Schiller’s Beerdigung und die Aufsuchung und Beisetzung seiner Gebeine, nach Aktenstücken und authentischen Mittheilungen aus dem Nachlasse des Hofraths und ehemaligen Bürgermeisters von Weimar Carl Leberecht Schwabe von Dr. Julius Schwabe, Leipzig, Brockhaus 1852“) über die Abholung der Leiche, über den nächtlichen Zug durch die Stadt zum alten Kirchhofe vor der St. Jakobuskirche und über den die Wolken auf einen Augenblick durchbrechenden Mond wörtlich ab, aber verschwiegen, daß nach eben diesen authentischen Mittheilungen Schwabe’s

1) die Wittwe des Dichters stille Beerdigung des Dahingeschiedenen wünschte;

2) daß nur dieses Wunsches der Familie wegen der Oberconsistorialrath Günther, welcher alles deshalb Nöthige zu besorgen übernommen hatte, auf die Bitte Schwabe’s, des warmen Verehrers des Dichters, an die Stelle der nach damaliger Weimarischer Sitte zu Trägern des Sarges bestimmten Handwerker Freunde Schiller’s treten zu lassen, anfangs die ablehnende Antwort gab. „Ja, lieber Freund, das geht nun nicht mehr; es ist schon alles geordnet, alles soll in der Stille geschehen; auch sind bereits die Träger bestellt;“

3) daß aber von Günther auf weitere dringende Vorstellung Schwabe’s für diesen und seine Freunde das Versprechen ertheilt wurde, daß sie Schiller’s Leiche zur Todtengruft tragen sollten;

4) daß denn auch die Handwerker wirklich abbestellt wurden und Schiller’s Leiche nicht von Schneidern, sondern von Gelehrten, Beamten und Künstlern, welche Schwabe namentlich aufführt, von Schiller’s Wohnung zum Friedhof getragen wurde;

5) daß endlich die Ruhestätte, wo der Sarg beigesetzt wurde, nicht eine Kalkgrube, sondern das der Landschaftscasse gehörige sogenannte Cassengewölbe war, in welches fast alle Leichen vornehmer Personen beigesetzt wurden, welche keine eigenen Erbbegräbnisse besaßen und deren Angehörige sie nicht auf dem allgemeinen Todtenacker begraben lassen wollten.

Die deutsche Presse beachtete erst nach und nach dieses neue Erzeugniß ultramontaner Heimtücke und Frechheit. Die „National-Zeitung“ wies auf die frivole Gewissenlosigkeit hin, mit der jene Blätter ihrem Publikum derartige Lügen vorzusetzen wagen, und stellte Erklärungen der Weimarischen Gemeindebehörde und des Schiller’schen Enkels in Aussicht, die „Gartenlaube“ hob mit kurzen schlichten Worten den wahren Sachverhalt hervor, der ja dem gebildeten Theile der Lesewelt längst bekannt ist. Die Pfaffenblätter aber, aller Scham über ihre dreiste Lüge bar, erhielten sie (wie sie sich auszudrücken belieben) gegen die „Bismarckischen Sauhirten“ und gegen „die anrüchige Gartenlaube und deren liberale Unverschämtheiten“ aufrecht, indem sie die Berichtigung der städtischen Behörde und des Schiller’schen Enkels Freiherrn von Gleichen-Rußwurm herausforderten. „Schiller,“ schrieben sie, „würde sich noch im Grabe umkehren, wenn er ein Grab gefunden hätte. Aber er hat keines gefunden! Kommt nur mit eurem Certificat vom Weimarer Stadtmagistrat! Alles halten wir aufrecht.“

Es erfolgten darauf die beiden Proteste von Seiten des Gemeindevorstands von Weimar und des Enkels Schiller’s, des Freiherrn von Gleichen-Rußwurm, welche in den letztvergangenen Monaten ihren Weg durch die gesammte deutsche Presse genommen haben. Dank der Vorschrift des Reichsgesetzes über die Presse, waren auch jene ultramontanen Blätter genöthigt, beide Berichtigungen zum Abdruck zu bringen. Man hätte nun glauben können, daß damit die Discussion geschlossen wäre. Aber weit gefehlt! Mit wahrhaft unbegreiflicher Dreistigkeit haben jene Blätter sogar den Beweis ihrer Behauptungen pomphaft angekündigt, und in der That unternommen. Mit größter Aufmerksamkeit sind die Verehrer des großen Dichters, die Freunde historischer Wahrheit, diesem Beweisversuche gefolgt – mußte man doch vermuthen, daß irgend ein bisher unbekannt gebliebener Umstand aus Schiller’s Leben existire, welcher Mißverständnisse hervorgerufen und jene Märchen veranlaßt habe. Wie sehr ist man aber auch in dieser Hinsicht getäuscht worden! Nicht einen einzigen tatsächlichen Umstand, nicht den geringsten Anhalt für ihre Behauptungen haben die Blätter beibringen können!!

Gehen wir auf ihre sogenannte Beweisführung näher ein.

Nach der schönen Versicherung, auch ihnen sei es nicht um die Verdunkelung der geschichtlichen Wahrheit, sondern um deren Feststellung und Beleuchtung zu thun, und nach der aus solcher Feder doppelt bedenklichen Betheuerung: „Das Andenken Schiller’s sei ihnen nicht minder heilig; sie gehörten zu des großen Todten eifrigsten Verehrern; die Mitlebenden seien dem großen Dichter nicht immer gerecht geworden – um so gerechter müsse ihm die Nachwelt werden etc.“, deduciren sie (vgl. Donau-Zeitung, 1874, Nr. 298; 1875, Nr. 2)

I. den Schiller’schen Glaubenswechsel so: „Schiller habe sich während der Jahre seines Lebens und Schaffens aus der Nacht zum Licht emporgearbeitet; er habe eine vollständige Metamorphose durchgemacht und sei aus einem Ungläubigen ein Christ geworden, indem er durch alle sein Volk und ihn selbst beherrschende Verblendung hindurch den Rückweg zum Positiven, das heißt zur katholischen Kirche gefunden habe; mit Schiller’s Werken in der Hand könne man seinen Geistesgang Schritt für Schritt nachweisen; man könne sehen, wie er sich aus dem Leichtsinn und der Leidenschaft der Jugend zur Klarheit und Tiefe der männlichen Ueberzeugung durchgearbeitet; um es kurz und prägnant zu sagen: man könne sehen, wie er zur katholischen Kirche geht, mit Karl Moor habe er begonnen, mit dem Tell habe er geschlossen, der Tell aber enthalte nicht ein einziges Wort, das nicht auch von einem ganz entschiedenen Katholiken gesagt sein könnte, somit sei er ausweislich seiner Schriften gegen

Ende seines Lebens an dem Thore der katholischen Kirche angelangt.“[1] Dies ist zunächst die Deduktion, für welche sich jene

  1. An zwei andere bedeutende Werte Schiller’s scheinen die Herren nicht gedacht zu haben; oder gehören seine „Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung“ und seine „Geschichte des dreißigjährigen Kriegs“, Werke seiner ernstesten Manneszeit, für ihr Urtheil auch „dem Leichtsinn und der Leidenschaft der Jugend“ an? – Aussprüche. wie „Der Mensch oder das Volk, die durch eine glückliche Staatsverfassung mit Menschenwerth einmal bekannt geworden, die das Gesetz, das über sie sprechen soll, einzusehen gewöhnt worden sind etc., ein solches Volk und ein solcher Mensch werden sich schwerer, als andere, in die blinde Herrschaft eines dumpfen, despotischen Glaubens ergeben, und sich früher als andere wieder davon emporrichten“, oder „Die Geistlichkeit war von jeher eine Stütze der königlichen Macht, und mußte es sein. Ihre goldene Zeit fiel immer in die Gefangenschaft des menschlichen Geistes, und wie jene sehen wir sie vom Blödsinn und von der Sinnlichkeit ernten“ – sind schwerlich Zeugnisse für einen „ultra-montanen Schiller“; ebenso wenig werden sie seine Charakteristik eines Philipp des Zweiten, Alba, Granvella, oder die Ferdinand’s des Zweiten, Tilly’s oder Gustav Adolf’s in ihre Geschichts-Schulbücher aufnehmen.
    D. Red.
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