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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


ungeachtet seiner schweren Wunde: „jo warrle, mer hawn einander zug'rufe: Um's Verrecke lenn mer die Kerl' nett in unser schön badisch Ländle nei. Die solle unser bad'sche Maidle nett kriege.“

Ein französischer Schriftsteller, Edmond About, wagte es, die Turcos zur Berserkerwuth aufzustacheln, indem er ihnen die blonden Frauen Deutschlands als Siegesbeute anbot. Die Straßburger hingegen ließen in den Zeltreihen der afrikanischen Armee Tractate austheilen, in welchen die unbändigen Kriegsgesellen ermahnt wurden, im deutschen Quartiere an ihre Mütter und Schwestern zu denken. Nach den Kämpfen bei Belfort fragte ein elsässischer Prediger, Max Reinhard, in einem öffentlichen Vortrage: „Was wäre aus dem Elsaß geworden, wenn Bourbaki’s Horden gesiegt hätten?“ Unter dem Drucke des allgemeinen Unwillens fühlte sich der kecke Redner bewogen, Straßburg und das Elsaß zu verlassen, nicht weil er als ehemaliger Feldprediger seine französischen Waffenbrüder mit so herben Worten gekennzeichnet, sondern weil er es erst nach der Niederlage Frankreichs gethan. Die Straßburger selbst sagten im Hinblicke auf die Disciplin in der kaiserlich französischen Armee: „Alles mit Lumpen gefüttert!“ Die Zuaven und die Turcos nannte man geradezu Wakes (vagabonds), und der Straßburger Historiker August Schneegans schrieb beim Auszuge der französischen Garnison: „Nein, diese trunkenen Landsknechte sind nicht mehr die Franzosen von 1798.“ Nach der Rückkehr der Kriegsgefangenen hörten wir die Straßburger sagen: „Sie haben nichts gelernt und nichts vergessen. Betrunken sind sie ausgezogen und betrunken kehren sie zurück.“ Welches das Loos der süddeutschen Nachbarstaaten im Falle einer feindlichen Invasion gewesen wäre, das zeigten uns die französischen Freischaaren, welche als Vortrab Bourbaki's über die „Schlucht“ hereinbrachen, die Stadt Münster mit dem Rufe „Vive Marie!“ durchzogen und sogleich die evangelischen Dörfer des Münsterthales anzünden wollten, weil sie glaubten, eine Provinz Deutschlands erobert zu haben.

Es liegt uns ein Theil eines Régistre des punitions vor, welches von der vierten Compagnie des ersten Bataillons des dreiundfünfzigsten französischen Infanterie-Regiments stammt und auf dem Schlachtfelde von einem als Mitglied eines Hülfscomités beschäftigten Engländer gefunden wurde. Dieses Buch oder, richtiger gesagt, dieser Theil desselben enthält die Namen von zweiundsiebenzig Soldaten und bildet einen ungemein lehrreichen und interessanten Beleg für die bei Mac Mahon’s Prätorianern waltende Disciplin. Wir begegnen in diesem Register vier Strafarten, nämlich Consigne, Salle de police, Prison und Cachot (Stubenarrest, – im deutschen Strafmaß unübersetzbar – Mittel-Arrest, strenger Arrest). Außer den Arreststrafen aber sind verschiedene Degradationen von Unterofficieren zu Gemeinen und auffallend viele Rückversetzungen von Soldaten aus der ersten in die zweite Classe angeführt. Unter den zweiundsiebenzig Mann sind nur sieben unbestraft; neunzehn Mann haben zwischen zwei bis zwanzig Tagen Arrest gehabt, zwanzig zwischen zwanzig und fünfzig, sechszehn zwischen fünfzig und hundert. Jetzt aber kommt die Elite des Falstaff’schen Corps, vermuthlich die Freude und der Stolz ihres Compagnieführers. Die würdigen zehn Söhne der grande nation, worunter sich drei Unterofficiere befinden, haben zusammen während ihrer Dienstzeit 2311, sage und schreibe zweitausenddreihundertundelf Tage Arrest gehabt. „Das ist ja ganz unmöglich,“ wird mancher Leser, namentlich ein Militär, der diese Zeilen liest, ausrufen. Und doch ist es die nackte Wahrheit, wir haben eine Thatsache schwarz auf weiß vor uns.

Wir würden die Namen dieser „letzten Zehn vom 53. Regimente“ der Nachwelt überliefern, wenn wir nicht fürchten müßten, unsere Leser durch ein solches Register zu langweilen. Als Ursachen der Bestrafungen werden vorwiegend Ungehorsam, unbotmäßige Antworten gegenüber den Vorgesetzten, Ausbleiben über die Retraite und Trunkenheit angegeben. Der Ausdruck „a été ramassé dans la boue, dans un état d'ivresse complète“ kommt sehr häufig vor.

Es sei noch Ihrem elsässischen Correspondenten erlaubt, die Thatsache hervorzuheben, daß unter den zweiundsiebenzig Mann sich sieben Elsaß-Lothringer befinden, von denen drei zu den oben angeführten sieben Unbestraften gehören; drei sind wenig bestraft worden und einer mit insgesammt vierundzwanzig Tagen. Es beweist dies auch hier, daß, was Fürst Bismarck in einer Parlamentsrede betonte, Elsaß-Lothringen die bestgeschulten Soldaten Frankreichs stellte. Aus ihnen rekrutirte sich hauptsächlich das Unterofficiercorps, schon weil sie viel besseren Schulunterricht genossen hatten. In den militärischen Kreisen Frankreichs und Algeriens hörten wir öfters die Bemerkung: „Die Elsässer, die Gascogner und die schwer zu drillenden Bretagner bilden den Kern der französischen Infanterie.“ Daß einst unsere Rekruten mit derselben Treue dem Kaiser und dem Reiche dienen werden, dafür bürgt die Ehrfurcht, mit welcher sie in ihren Privatbriefen von ihrem Fahneneide sprechen, wie die freudige Aeußerung unserer Freiwilligen und unserer Reservisten: „Wir haben unseren ‚congé‘ in Preußen gemacht, ohne ein einziges Mal gestraft zu werden.“




Blätter und Blüthen.


Zwei elende Steinchen. Ein lieber Freund war bei mir zu Besuch. Wir hatten uns seit zehn Jahren nicht gesehen, das letzte Mal an meinem Hochzeitstage. Dann war er in der Welt umhergereist; wir standen in regem Briefwechsel miteinander, und jeder Brief, den ich ihm sandte, enthielt eine herzliche Einladung mich zu besuchen, jeder Brief, den er mir sandte, ein Versprechen der Einladung zu folgen. Aber die Tage wuchsen zu Monaten heran; die Monate bündelten sich zu Dutzenden zusammen und nun lag schon ein Paket von zehn Dutzend hinter uns, ohne daß wir uns wiedergesehen hätten und ohne daß ich ihm eigentlich den Vorwurf der Vernachlässigung machen konnte. Das Geschäft, das leidige Geschäft erlaubte es nicht; o, dieses angebliche Geschäft, dem wir unseren ganzen Pflichteifer widmen und welches doch ebenso gut geht, wenn wir ihm einmal untreu werden!

Nun waren im Handumdrehen die zehn Jahre herumgegangen und mein letzter Brief lautete: „Ich habe Dir die traurige Mittheilung zu machen, daß meine arme Frau ihrem langjährigen Leiden endlich erlegen ist und daß sie mich allein gelassen hat auf dieser großen Welt. Ich bin recht allein und recht arm, denn ich habe nicht einmal ein Ohr, in das ich meinen Herzensjammer ausklagen konnte.“

Drei Tage darauf saß ich Hand in Hand mit meinem Freunde auf meinem Zimmer. Natürlich drehte sich unser Gespräch um Tod und Leben, um die sichere Aussicht auf ersteren, um die Nichtigkeit des letzteren, um das Ringen und Sorgen für Dinge, die wir hinter uns lassen, wenn der unvermeidliche Naturprocess uns kalt stellt. Und unsere Gedanken trieben weiter. Wir kamen auf die große Frage zu sprechen, die jetzt alle Kreise der gebildeten Menschheit bewegt, auf die Verbrennung der Leichen; wir wogen das Für und Wider. Mein Freund, hängend am Althergebrachten, erklärte sich entschieden dagegen, es erscheine ihm gegen alle Pietät, daß der Körper, das Gefäß alles dessen, was wir heiß geliebt haben, fast unmittelbar nach dem letzten Athemzuge vernichtet werden solle; es sei edler, den Proceß der Natur zu überlassen, als grausam und schnell ihr in die Hände zu arbeiten. Heilig und unantastbar müsse uns der Körper unserer lieben Angehörigen nach dem Tode sein.

Ich erwiderte ihm, daß er sich mit seiner Ansicht nicht nur gegen die Verbrennung, sondern auch gegen die Section entscheide, und er sagte:

„Ja, das thue ich auch; mir wäre es ein fürchterlicher Gedanke, den Körper eines theuren Angehörigen durch das Messer des Arztes verstümmeln zu lassen.“

„Wenn nun,“ sagte ich, „der Arzt Dich bittet, die Section vornehmen zu dürfen; wenn er, der jahrelang ein unerklärliches Leiden beobachtet hat, der rastlos, wenn auch ohne Erfolg, sich bemüht hat, dem armen Kranken Heilung zu schaffen, nun, wo es nicht mehr schadet, den Schleier zerreißen möchte: bist Du es nicht dem Arzte, bist Du es nicht der übrigen Menschheit schuldig, die Wahrheit erforschen zu lassen? Ich habe es gethan ohne Besinnen.“

„Du magst in Deinem kühlern Denken Recht haben; ich höre – mehr als billig kann wohl sein – auf die Sprache meines Herzens und möchte nicht zu wissenschaftlichen Experimenten meine lieben Todten hergeben. Ich würde es nur in einem Falle und auch dann nur mit Widerstreben thun, wenn nämlich der Angehörige es selbst gewünscht hat. Denn dessen Wille würde mir unter allen Umständen heilig sein.“

„Auch hier habe ich gegen Deine Ansicht gehandelt. Ich gab meine Zustimmung zur Untersuchung sogar gegen den oft ausgesprochenen Willen meiner Frau.“

Die Hand des Freundes, die in der meinen lag, zuckte merklich zurück.

„Sei ruhig und höre, was ich sage! Ich that's mit vollem Ueberlegen, und nicht eine Minute kam mein Herz – das auch mir warm schlägt – mit meiner Vernunft in Conflict. Ich würde es wieder thun im gleichen Falle, und nun es geschehen, bin ich glücklich darüber; ein Alp ist von mir genommen, und stände es in der Macht der lieben Todten, sie würde mir danken, daß ich ihren Willen nicht ehrte.“

Da sah mich mein Freund mit Kopfschütteln an, aber ich fuhr unbeirrt fort:

„Du wirst aus den kurzen Andeutungen meiner Briefe wohl schon geahnt haben, wie unsere Ehe verlief. Wenig zufriedenstellend vom Anfang an, allmählich sich zu großem Unbehagen steigernd, geradezu unglücklich in den letzten Jahren. Aeußerer Grund dazu war nicht vorhanden; des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_103.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)