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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 6.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Das Capital.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


9.

Sie gingen der Bank zu, auf der sie sich niederließen. Rudolph nahm seinen Hut ab und wischte sich die von Schweiß perlende Stirn; aus seinen Zügen sprach dieselbe hastige Erregung, die in seiner stoßweisen Art zu reden lag.

„Was ich Ihnen zunächst zu erzählen habe, ist eine Geschichte, die sich vor mehreren Jahren abgespielt hat. Damals war ich Kaufmann, Commis in einem Hause der Residenz, das sehr große und sehr verschiedenartige Geschäfte, eigentlich Korn- und Oelhandel, aber auch Banquiergeschäfte betrieb. Meine Cousine Malwine glänzte als Stern am dortigen Theaterhimmel; sie sang erste Rollen auf der königlichen Hofbühne. Man schwärmte für ihre Stimme, bewunderte ihre Schönheit, und die, welche sie persönlich kannten, verehrten sie wegen ihres durchaus achtungswerthen Charakters, ihrer reservirten Haltung, ihrer von jeder Gefallsucht freien Natürlichkeit, die sie in einer Welt wie die, worin sie stand, zu einem Phönix machte. Wer sie am meisten verehrte, am meisten für sie schwärmte, war ein liebenswürdiger ältlicher Herr, ein unbeschäftigter Junggeselle, der seine Winter in der Hauptstadt verlebte und ein leidenschaftlicher Theaterfreund war, ein Herr von Haldenwang. Es war ihm leicht geworden, sie persönlich kennen zu lernen, da er aus derselben Gegend war, aus der Malwinens Vater stammte, da er ihren Oheim und Vormund, den Onkel Gottfried, sehr wohl kannte. Und dann verliebte er sich in sie, machte ihr Heirathsanträge, wurde abgewiesen, hielt sich damit doch nicht für geschlagen und – siegte endlich. Sie reichte ihm ihre Hand, und hat diesen Schritt auch nicht bereut; ihre aristokratische, oder wenn Sie lieber wollen, echte und solide Natur paßte besser in den Edelhof von Haldenwang hinein, als in die Leinwandlappen, welche die Pagode der Selika oder die Burg der Prinzessin Bertha in der ‚Undine‘ darstellen. Sie achtete und verehrte ihren Gatten. Wenn sie ihn nicht leidenschaftlich liebte – nun, ich glaube, das Bedürfniß zu lieben ist in Malwinen nie stark ausgebildet gewesen, und genug, sie willigte ein, Baronin Haldenwang zu werden.

Ich war um jene Zeit, wie gesagt, Commis in der Hauptstadt, verkehrte von Zeit zu Zeit mit Malwinen, erhielt durch sie freien Eintritt in’s Theater, so oft ich wünschte, fand sie überhaupt immer von der größten und treuherzigsten Liebenswürdigkeit für den armen, so tief unter ihr stehenden Vetter. Und da ich dazu die ganz besondere Gunst meines Principals genoß, so war ich ein glücklicher Mensch, so glücklich, wie je einer am Abend, wenn die Bureaustunden zu Ende, mit der feinen Havanna im Munde, den Hut schräg auf dem Ohre, die breiten Trottoirplatten der Hauptstraßen hinuntergeschritten ist oder gar vom Klange seiner Sporenrädchen hat wiederklingen machen, wie ich, wenn ich eine meiner zwei wöchentlichen Reitstunden zu nehmen ging. Selige Tage das! Das Vertrauen meines Principals gründete sich hauptsächlich darauf, daß ich der Neffe von Malwinens Vater war. Dieser, ein ausgezeichneter Arzt, hatte den alten Herrn einst in einer schweren Krankheit behandelt und ihm, wie er glaubte, das Leben gerettet. Er war deshalb voll Aufmerksamkeiten für die Tochter seines Lebensretters und glaubte für den Neffen desselben nicht genug thun zu können, um ihn in seiner Laufbahn zu fördern. Der gutmüthige Mann ahnte nicht, was aus seinem unglücklichen Vertrauen zu einem unberathenen leichtsinnigen jungen Menschen entstehen sollte. Das Unglück wollte, daß er sich von einem Cassirer betrogen sah, einem älteren Manne, dem er völlig vertraut hatte; in seinem Aerger machte er mich zum interimistischen Cassirer; einem, wenn auch noch nicht geschäftserfahrenen, aber ehrlichen Menschen aus so guter Familie, sagte er, wolle er sich vorläufig lieber anvertrauen, als einem alten, von der heutigen Verdorbenheit angesteckten Prakticus. So wurde ich verantwortlicher Hüter von Geldern, die sich an manchen Tagen auf zwanzig- oder dreißigtausend Thaler und mehr beliefen.

In dieser Zeit sitze ich eines Tages, während das übrige Personal zum Frühstücken gegangen ist, allein in meinem Cassenzimmer, da ich noch einzutragen und zu ordnen habe, als, ein wenig erregt und rascher in seinem Wesen und seinen Bewegungen wie gewöhnlich, Herr von Maiwand bei mir eintritt. Er war damals Officier, und als ein entfernter Vetter des Herrn von Haldenwang hatte er sich durch diesen bei Malwinen einführen lassen, wo ich ihn mehrmals gesehen hatte und mit vorzugsweiser Höflichkeit von ihm behandelt war; ein Gimpel, wie ich, der sich in seiner Commisrolle in Malwinens glänzendem Salon sehr demüthig und bescheiden fühlte, weiß so etwas zu würdigen. Herr von Maiwand also trat zu mir ein und eröffnete mir ohne Umschweife, ich habe ihm sofort und rasch neuntausendfünfhundert Thaler aus meiner Casse zu geben. Herr von Haldenwang, der Verlobte meiner Cousine, habe sie gestern Abend im Spiele verloren und sei durch sein Ehrenwort gebunden, sie im Laufe des Tages zu bezahlen; er habe an seinen Rentmeister telegraphirt, ihm die Summe sofort zu beschaffen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_089.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)