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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

als Fürst Wladimir Prinz von Montenegro. Er wollte in Brüssel zehntausendfünfzig Stück Gewehre angekauft haben, und sobald sie angekommen wären, ein Corps werben, mit Hülfe dessen er seinen Bruder vom Throne zu stoßen hoffe. Angeblich verfolgt, reiste er rasch ab und verwechselte bei der Abreise seinen Paß mit dem eines französischen Sprachlehrers, mit dessen Firma er sich wahrscheinlich fortan begnügte, da die Geschichte nichts weiter von ihm meldet. Erst ganz neuerdings hat sich in Wien wieder ein falscher Demetrius, ein Prinz Dimitry, gezeigt.

Ist die Polizei daran, ihm die vorgesteckte Maske abzureißen, so steckt der Gauner rasch eine andere vor. Diese oft mit hoher Virtuosität durchgeführten gaunerischen Metamorphosen erschweren die Entdeckung der wahren Person ungemein. Sie beziehen sich nicht blos auf die Wechsel der Namen, sondern auch auf die Wechsel der Berufsarten und – Gesichter.

So erscheint der Gauner heute in rothem, morgen in schwarzem Haare, heute trägt er eine grüne, morgen eine blaue, andern Tags gar keine Brille; bald erscheint er einäugig mit schwarzer Augenbinde à la Murray in Gutzkow’s Rittern vom Geiste, heute mit vollem Barte, morgen bartlos. Wahrhaft erstaunlich aber ist die Verschiedenheit der Rollen, in denen ein routinirter Gauner sich auf der Bühne des Lebens zu bewegen versteht, die doch weit erhöhtere Schwierigkeiten bietet als die Bretter-Bühne. So trat z. B. ein gewiser W. von T. nach einander auf als Geometer, Oekonomie-Inspector, Forstgehülfe, Schauspieler, Handelsgehülfe und Maler. Noch wandelbarer sind Namen und Titel. Vor der Polizei und dem Gerichte erklärt ein solcher Gauner gewöhnlich, daß Familienrücksichten ihn verhinderten, seinen wahren Namen anzugeben.

Sehr ausgebildet ist bei den Gaunern auch die Kunst des Nachmachens von Pässen, deren Jeder mehrere bei sich zu tragen pflegt. Zur Zeit des Paßzwanges war dies für ihn sehr wichtig. Bald erkennbar ist der Gauner an seiner Art zu leben. Der Gauner kennt keinen Etat, wie der Mann der bürgerlichen Ordnung. Hat er gute Geschäfte gemacht, so lebt er verschwenderisch, so spielt er den Baron; hat er Unglück im Gewerbe, so sinkt er in das alte Nichts zurück und wird eine Zeitlang kleinbürgerlich im Namen, Titel und Beruf. Dies giebt seiner ganzen Erscheinung einen kometenartigen Charakter.

Ist er der menschlichen Gesellschaft für immer entzogen? Wird sie ihn nie wieder aufnehmen können? Mit dieser Frage eilen wir zum Schlusse unserer Skizze. Wenn auch die Philosophie des Pessimismus jetzt wieder neuen Umfang gewinnt, der Glaube an die Rettung der Menschenseele darf und soll uns doch nicht verlassen, wenn er uns selbst hier und da zu Opfern eines gaunerischen Spiels macht. Selbst nach dem tiefsten Falle findet der Geist noch die Schwingen, sich wieder zu erheben. Und so haben es oft auch Diejenigen, welche bereits aus den schwarzen Blättern unserer Polizei-Anzeiger verzeichnet standen – ganz abgesehen natürlich von den dort fälschlich verzeichneten Politikern – vermocht, sich zu rehabilitiren, nicht blos damit, daß sie den Wanderstab ergriffen – auf fremder Erde in harter büßender Arbeit, auch selbst noch auf altem deutschem Boden. Es stünden uns Beispiele zu Gebote. So wollen wir nicht gnadelos über sie den Stab brechen. Ist es doch oft nur eine einzige unbewachte Stunde, ein einziger Schritt vom Wege, der zum Verhängniß wird für ein ganzes zu reichem Glücke und hohen Ehren angelegtes Leben.




Winzige Verderber.

Manches Gute hat die neue Welt der alten geschenkt zum Danke für ihre Civilisation, und viele ihrer Erzeugnisse möchten wir heute um keinen Preis mehr missen. Aber auch andere Gaben hat uns Amerika gesandt, für welche wir ihm weniger dankbar sind. Von der entsetzlichen Bettwanze nicht zu reden, deren transatlantischer Ursprung – sie soll mit canadischen Hölzern nach dem großen Brande vom Jahre 1666 in London eingeschleppt worden sein – in der neueren Zeit erfolgreich bestritten worden ist, auch der Muskito’s nicht zu gedenken, welche im Sommer 1874 plötzlich in Darmstadt aufgetreten sind, wahrscheinlich mit Droguen für eine dortige große chemische Fabrik über das Meer gebracht, so bleibt noch eine ganze Reihe von gefährlichen Eindringlingen aus dem Thier- und Pflanzenreiche aufzuzählen, die voraussichtlich sogar noch auf zahlreichen Zuwachs zu rechnen hat, so daß in dieser Hinsicht stete Vorsicht anzuempfehlen sein wird. Welche Gefahren hier drohen, wie außerordentlich die Verluste sind, die dem Nationalvermögen durch das massenhafte Auftreten eines kaum sichtbaren kleinen Insects zugefügt werden können, davon hat die Gegenwart ein betrübendes Beispiel erhalten durch die Verbreitung der Wurzellaus des Rebstockes, Phylloxera vastatrix. Da dieselbe trotz aller Gegenmaßregeln von Jahr zu Jahr in rapidem Maße zunimmt und zu einer allgemeinen Plage für die Länder des edlen Weinbaues zu werden droht, so wird eine kurze Nachricht über das Wesen, die Naturgeschichte und die Schädlichkeit der neuen Geißel des Rebstockes den Lesern der Gartenlaube wohl nicht unwillkommen sein.

Es sind erst zwölf Jahre her, daß man in Südfrankreich auf eine eigenthümliche, vordem unbekannte Krankheit der Weinreben aufmerksam wurde. In früheren Zeiten hätte man dieselbe Gott weiß welchen Ursachen zugeschrieben, in denen der wissenschaftlichen Forschung und des Mikroskopes fand man aber bald aus, daß die Wurzeln der Pflanze von zahllosen Schmarotzern aus der Familie der Aphiden oder Blattläuse besetzt seien, welche derselben den Saft entzögen und sie somit zum Absterben brächten. Anfangs nahm man die Sache leicht, allein schon nach wenigen Jahren gewann sie ein sehr bedenkliches Aussehen. Mit reißender Schnelligkeit, die man auf fünfundzwanzig Kilometer von einem Infektionsherde aus im Laufe eines Sommers schätzt, schritt das Uebel nach allen Richtungen hin vorwärts; es überfiel die gesegnetsten Weindistricte Frankreichs einen nach dem andern. Binnen zehn Jahren hatte es sich über eine Million Hectar erstreckt und einen Schaden von dreißig Millionen Franken angerichtet. Weite Flächen, sonst übergrünt vom fröhlichen Rebenlaube, standen jammervoll verdorrt, und Tausende von fleißigen Winzern rangen die Hände über den räthselhaften Entgang ihrer Ernten. Im Auslande aber, namentlich überall dort, wo Weincultur florirt, blickte man mit Spannung nach dem Nachbarlande, in steter Erwartung, daß doch endlich der eingebrochenen Noth ein Damm gesetzt und dadurch das eigene Rebengebiet vor der Einschleppung behütet werde. Vergeblich, die Hiobsposten mehrten sich von Jahr zu Jahr. Schon 1870 wurde bekannt, daß auch in Portugal, namentlich am Douro, dem Districte der berühmten Portweine, die Reblaus verheerend aufgetreten sei; ganz gewiß ist sie auch schon bei den Spaniern eingekehrt, allein diese haben bekanntlich gegenwärtig keine Zeit, sich um dergleichen Bagatellen zu kümmern. In Oesterreich wurde sie im Jahre 1872 aufgefunden, bisher nur an einer Stelle, in der Schweiz im Herbste 1874 und endlich auch schon am deutschen Rheine, in einem Weingarten bei Bonn. So werden denn die winzigen Verderber, wie es scheint, die Rundreise machen durch alles Weinland, gleich als wollten sie die hochgerühmte Intelligenz und Thatkraft des Menschengeschlechts herausfordern zum Kampfe gegen eines der unbedeutendsten Wesen der Schöpfung.

Sobald man ein Uebel mit Erfolg bekämpfen will, muß man es möglichst genau kennen zu lernen suchen. An Bestrebungen dazu hat es, trotz zu bewältigender großer Schwierigkeiten, gegenüber der Wurzellaus des Weinstockes nicht gefehlt; die hervorragendsten Gelehrten, wie Balbiani, Lichtenstein, Dumas, Rösler, Vogt und Andere, haben sich eingehend damit beschäftigt, aber noch sind nicht alle Räthsel gelöst. Man hat es hier mit einem Thiere zu thun, das einer ganz absonderlichen Gruppe angehört, deren Lebensmetamorphosen den Forschern schon vieles Kopfzerbrechen gemacht haben. Was wir über seine Naturgeschichte mit Bestimmtheit wissen, ist das Folgende.

Die Reblaus oder Wurzellaus des Rebstocks, Phylloxera vastatrix (von φύλλον, Blatt und ξηραίνειν vertrocknen) ist eine Blattlausart, deren nächste Verwandte auf den Blättern der Eichbäume (daher der griechische Name) leben, während sie selber ein unterirdisches Dasein an den Wurzeln des Weinstocks führt. Das Insect ist mikroskopisch klein, nur punktgroß, vereinzelt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_080.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)