Seite:Die Gartenlaube (1875) 041.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 3.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Das Capital.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


5.

Als er das nächste Mal nach Haus Haldenwang hinübergegangen, fand er die junge Frau in ihrem Wohnsalon – es war ein zu kühler Abend, um ihn auf der mit Schlingpflanzen überwölbten Terrasse draußen zuzubringen. Außer dem Gesellschaftsfräulein fand er den unvermeidlichen Herrn von Maiwand anwesend; beide Letzteren waren bei einer Schachpartie beschäftigt, während Frau von Haldenwang in einer Fensterbrüstung saß und in einem Journale las. Bei Landeck’s Eintritt legte sie es wie widerstrebend aus der Hand.

„Ich störe Sie, gnädige Frau. Sie wünschen Ihre Lectüre fortsetzen zu können,“ sagte er. „Gestatten Sie mir, Ihnen vorzulesen, was Sie so zu fesseln scheint!“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, nein,“ versetzte sie. „Wer gute Augen hat, muß selbst lesen und nicht sich vorlesen lassen. Zwischen einem geistreichen Autor und mir ertrage ich keinen Dolmetscher. – Das Journal bringt eine Fortsetzung der Bilder aus unserem Griechenland, welche ich Ihnen schon neulich pries und zu lesen empfahl. Es hat mich seit langem nichts so angezogen. Der Verfasser nennt sich noch immer nicht, aber es ist ein Mann, dem meine ganze Seele zufliegt; so verwandt ist sein Denken und die Art, wie er die Dinge sieht, der meinigen, so sehr schreibt er mir aus dem Herzen. Wenn Sie so schreiben könnten, Herr Landeck – so – so würde ich Ihnen mit Freuden vorsingen, Ihnen allein.“

Landeck wechselte leicht die Farbe und biß sich auf die Lippen; er nahm das Journal und nachdem er den Titel näher angesehen, sagte er:

„Ich zweifle nicht, daß dieser Glückliche, wenn er erfährt, welcher Lohn ihn hier erwartet, sich von dem fernsten Weltende, oder wo er sonst stecken mag, hierher aufmachen wird, ihn in Empfang zu nehmen.“

„Das lautet sehr spöttisch und boshaft,“ versetzte sie, „und doch verletzt mich dieser Spott nicht. Denn ich weiß, er würde in der That einen Lohn darin finden; er würde meinen Gesang verstehen, wie ich das Gemüth, das sich in seinen Worten ausspricht, verstehe.“

„Und weshalb trauen Sie mir nicht zu, daß ich so schreiben könnte?“

„Weshalb nicht? Aufrichtig gesagt, es ist mir nicht im Entferntesten eingefallen, darüber nachzudenken. Und wozu auch? Begnügen wir uns mit der Thatsache. Auch will ich Sie dadurch nicht abhalten, wenn Sie einmal ein recht gründlich gelehrtes Buch über Ihre archäologischen Forschungen herausgeben werden, mir ein Exemplar davon zu überreichen, das ich mit dem größten Respect entgegennehmen werde, vorausgesetzt, daß ich es nicht zu lesen brauche. – Und nun reden wir von etwas Anderem! Weshalb bringen Sie mir nicht einmal Ihren Zögling mit herauf? Cousine Elisabeth hat mir gesagt, daß sie ihn mir heraufsenden werde.“

„Fräulein Elisabeth Escher hat mir nichts darüber mitgetheilt,“ entgegnete Landeck; „ich werde aber mit Herrn Escher von Ihrem Wunsche reden …“

„Bitte, thun Sie das! Ich muß doch sehen, ob mein kleiner Vetter Ihrer Erziehungsmethode Ehre macht.“

Landeck fühlte aus diesen Worten etwas Verletzendes heraus; es schien, die schöne Frau wolle ihn an seine Schulmeisterstellung erinnern und damit demüthigen.

„Ich hoffe, er wird es,“ antwortete er; „wenn man nichts anderes sein will, als was man ist, und dies ganz ist, leistet man ja am Ende immer etwas Befriedigendes. Aber wollen Sie mir nicht sagen, wie mein Zögling zu der Ehre kommt, Ihr Vetter zu sein?“

„Wie,“ entgegnete sie, „hat man Ihnen drüben die Verwandtschaft nicht auseinandergesetzt? Mein Vater war der Bruder des Herrn Escher. Es waren drei Brüder da. Der Onkel Gotthard, der Onkel Gottfried, in dessen Hause Sie wohnen, und mein Vater, alle Drei so verschiedene Charaktere, wie sich ihre Lebensstellung verschieden gestaltet hat.“

„Der Onkel Gotthard und der Onkel Gottfried haben sich doch demselben Berufe gewidmet und bewohnen einen und denselben Ort,“ bemerkte Landeck.

„Nun ja – aber welche Verschiedenheit ist doch in ihrer Lage! Der Onkel Gotthard ist Vorsteher der Schlosserwerkstätte in der Maschinenfabrik von – wie heißen die Leute, Maiwand?“ wandte sie sich an den am andern Ende des Salons in sein Schachspiel Vertieften.

„Der Herren Bartels und Söhne,“ antwortete Herr von Maiwand, flüchtig aufblickend.

Landeck sah aus dieser raschen Antwort, daß er dem ganzen Gange des Gesprächs gefolgt war, was Frau von Haldenwang ja auch nicht anders vorausgesetzt zu haben schien.

„Bartels und Söhne,“ fuhr sie fort, „was ihm eine sehr

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 041. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_041.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)