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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

die Hände der Häscher. So wurde auch sie vor Gericht geführt und verurtheilt. Sie war außerordentlich fest und ruhig; als ihr das Urtheil verkündet wurde, erhob sie sich zur Heldengröße einer Roland und sprach die stolzen Worte: „Ihr Feiglinge, die Ihr das Blut eines Weibes vergießt, wißt Ihr denn nicht, daß dasselbe einst den Tyrannen verhängnißvoll geworden ist, daß das Blut eines Weibes für immer die Tarquinier und die Decemvirn aus Rom verjagte? Freue Dich, mein Vaterland, und empfange mit Entzücken die Verheißung Deiner Rettung! Bald wird die Tyrannei enden, die auf Dir lastet.“

Im Gefängniß schrieb sie die folgenden Zeilen an ihre Mutter: „Gute Nacht, geliebte Mama! Meine Augen vergießen eine Thräne, und sie ist für Dich. Ich gehe schlafen in das Reich der Unschuld.“

Am Tage ihrer Hinrichtung schmückte sie sich mit besonderer Sorgfalt; ihr Kopfputz namentlich war eben so geschmackvoll wie elegant; ihr glänzender Teint wurde gehoben durch ein Tuch von blendend weißer Gaze, das sie über ihre schönen dunklen Haare warf. Wer sie so geschmückt und so anmuthig auf dem verhängnißvollen Karren sitzen sah, der mußte glauben, daß sie zu einem Feste sich begab. Bei der Fahrt zum Richtplatze unterhielt sie sich mit einem jungen Manne, der an ihrer Seite saß, und wie es schien, über sehr heitere Dinge, denn Beide lächelten öfters. während des Gesprächs. Am Fuße des Schaffots bewahrte sie dieselbe Ruhe, stieg allein hinauf und bereitete sich ohne jede Erregtheit auf den Todesstreich vor. Und doch wer dieses reizende Wesen aus dem Schooße des Glückes und aller Lebensfreuden zu so frühem und grausamem Tode kommen sah, hätte blutige Thrünen weinen müssen.

Lucile Desmoulins war dreiundzwanzig Jahre alt, als sie starb; ihre Grabschrift hatte sie sich selbst verfaßt in den folgenden anmuthig plaudernden und doch so sinnschweren Versen:

Und wollt ihr wissen, was mein Leben ist?
O, will es ein gelehrter Mann beschreiben.
Er braucht dazu, fürwahr, nur kurze Frist
Und wird doch nichts den Lesern schuldig bleiben.

Denn was ich denk’ und fühl’ in tiefster Brust,
Und alle meine Plane, meine Triebe.
Und meine Thaten, meines Lebens Lust
Umfaßt das eine kleine Wort: „ich liebe.“




Ein deutsches Polzeiblatt und dessen Ausbeute.
Von Fr. Helbig.

Das Verbrechen ist so alt wie die Menschheit. Seit der Schlange Eva’s und dem Brudermorde Kain’s irrt es wie ein nie sterbender Ahasver durch alle Lande. Die Zeit, wo es ganz aus der Welt hinausgedrängt ist, wird trotz aller utopistischen Hoffnungen unserer Humanisten schwerlich einmal kommen. Die fortschreitende Cultur wird es verfeinern, gleichsam raffiniren, nicht aber ganz ertödten.

Es dürfte von Interesse sein, einen Gang durch die um heimlichen Schleichwege des Verbrecherthums zu machen, soweit es sich auf deutschem Boden abspielt, und dasselbe in seiner eigenthümlichen Organisation, seinen Ränken und Schlichen zu belauschen. Die Geschichte des frühern Gaunerthums, die hier zu viel Raum einnehmen würde, hoffe ich den Lesern der Gartenlaube in späteren Schilderungen vorzuführen. Der heutige Artikel gilt lediglich dem modernen Verbrecherthum.

Nachdem die großen Räuberbanden des vorigen Jahrhunderts durch das Schwert des Nachrichters decimirt waren und sich sonst verzogen hatten, machte sich, als namentlich auch die Herz veredelnde Zeit der Freiheitskriege vorübergerauscht war, in den zwanziger und dreißiger Jahren das niedere herumstreifende Gesindel um so bemerkbarer, besonders in Mitteldeutschland, wo die vielen Territorialgrenzen die Verfolgung erschwerten. „Wie das Wild,“ sagt ein damaliger Polizeimann, „sein Revier beim Hörnerrufe des Jägers oder dem Knalle der Büchse wechselt, ebenso zieht der Gauner, den Heerd wechselnd, herum.“

Da begann die Polizei, dieser Vorposten der Justiz, den Kampf gegen das Gaunerthum im Wege der Schrift, durch Einrichtung ständiger Zeitungsorgane. Früher hatten nur einzelne Schriften die gegenspielerische Thätigkeit gegen das Unwesen durch actenmäßige Mitteilung seiner bündnerischen Geheimnisse, Schliche und Praktiken vorbereitet. Jetzt wurde die Verfolgung organisirt.

Der Polizeirath Friedrich Eberhard, Chef der Landespolizei im Herzogthum Gotha, ließ zunächst im Jahre 1835 einen „Polizeianzeiger für Thüringen, Franken und Sachsen“ erscheinen, der sich im zehnten Jahre seines Erscheinens zu einem „Allgemeinen Eberhard’schen Polizeianzeiger“ erweiterte. Eberhard, ein gewiegter, auch schon schriftstellerisch thätig gewesener Polizeimann, ging dabei von der Voraussetzung aus, daß nur ein festes, organisirtes Zusammenwirken der Polizeibehörden gegen das Gaunerwesen etwas ausrichten könne. Alles der Polizei Wissenswerthe, die Geheimnisse, Schliche, Schlüpfe, die Stammbäume, Spitznamen, Schlupfwinkel, Herbergen der Gauner, sowie die Mittel und Wege, ihnen beizukommen, sollte darin zur Kenntniß der Polizei gebracht werden. Namentlich sagt er jener Classe von Gaunern Fehde an, die bei „einem nicht unbedeutenden Grade von äußerer Bildung eine solche raffinirte Gewandtheit an den Tag legen, daß ihre Entlarvung schwer wird, insbesondere auch deßhalb schwer wird, weil sie in den gebildeten Kreisen Zuflucht finden“.

Eberhard hat sein Programm redlich durchgeführt. Er hat der deutschen Polizei die wichtigsten Dienste geleistet und ist wohl der bedeutendste Gegenspieler geworden in dem Drama des Kampfes wider die deutsche Gaunerwelt und ihre verbrecherischen Ziele. Seine bedeutende polizeiliche Befähigung bewirkte später seine Berufung in’s sächsische Ministerium. Vielleicht wäre sein Ruf noch ein nachhaltigerer geblieben, wenn er nicht in den letzten Jahren seines Lebens – er starb 1852 – sein Talent und sein Organ von der reaktionären Verfolgungswuth hätte benutzen oder, wollen wir sagen, mißbrauchen lassen. Es macht wenigstens heutzutage einen eigenthümlichen Eindruck, wenn man die Blätter des Polizeianzeigers aus den Jahren 1849 bis 1852 durchmustert und darin mitten unter Mördern, Dieben und Hochstaplern die Namen von Männern signalisirt findet, welche theilweise jetzt hohe staatliche und nationale Aemter bekleiden oder in Wissenschaft und Kunst höchste Ehrenplätze einnehmen.

Nach Eberhard’s Tode wurde der Anzeiger gleichzeitig von Coburg und Dresden aus fortgesetzt. Dort von den Eberhard’schen Söhnen – jetzt dem Kreisgerichtsrath Karl Eberhard – hier von den Polizeiräthen Picard, Müller und Andern. Beide Organe bestehen noch jetzt. Ihre Mitarbeiterschaft setzt sich aus fast allen deutschen Sicherheits- und Gerichtsbehörden zusammen, die dort ihre Bekanntmachungen erlassen, ihre Erfahrungen austauschen.

Wer von den vielen verkappten Hochstaplern und sonstigen Gaunern in den Bannkreis eines dieser Blätter geräth, dem ergeht es wie der Fliege im Spinnennetze. Von allen Seiten werden die Fäden herangetragen, ihn zu umschlingen. Ob er sein Gesicht auch durch immer neue Masken zu verdecken weiß, ob er selbst durch viele Nummern, ja ganze Jahrgänge unentdeckt hindurchgeht – seine Entlarvung bleibt schließlich doch nicht aus. Besondere Dienste leistete in dieser Richtung die Lithographie und später die Photographie. Sie ersetzten mit Erfolg die immer unsicheren Personalbeschreibungen.

Ein Blick in diese „Anzeiger“ ist auch für den Nicht-Fachmann von hohem Interesse. Dem Auge des Psychologen eröffnen sich hier Einblicke in die Menschenseele, die ihm die Oberfläche des Lebens selten wiederspiegelt. Wenn er auf der einen Seite sich mit Ekel und Abscheu abwendet von diesem stetigen Herauskehren der dunkeln Seiten der menschlichen Natur, kann er doch andererseits ihrer gerade hier am sichtbarsten hervorspringenden Mannigfaltigleit und Beweglichkeit, der Summe von Schlauheit, Witz, Willenszähigkeit, Geistesschnelle und kluger Berechnung seine Bewunderung kaum versagen. Wie oft drängt sich ihm da der Ausspruch Opheliens auf die Lippen: „O, welch ein edler Geist ging hier zu Grunde!“ und dann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_028.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)