Seite:Die Gartenlaube (1875) 021.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 2.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Das Capital.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


„Nun ja,“ sagte der Doctor, „Sie haben Recht; es liegt wirklich kein Grund vor, anzunehmen, Sie haben wegen der Frau von Haldenwang Ihre Schritte hierher gelenkt. Ob es aber nicht gewisse Leute giebt, die sich darin gefallen, hierin anderer Meinung zu sein, das will ich nicht untersuchen. Das ist dann aber nicht Ihre Schuld, denn Sie, was Sie angeht, thun Alles um zu beweisen, daß Ihnen bei Ihren hellenistischen Studien auch das Capitel von der Circe nicht entgangen ist, und daß Sie die Moral der Geschichte begriffen haben.“

„Vollständig, Doctor. Nur sehe ich hier nicht die Anwendbarkeit dieser Moral.“

„Sehen Sie die Circe nicht? Dann haben Sie das Wachs, welches sich Odysseus in die Ohren steckte, vor die Augen geklebt. Und sehen Sie auch nicht all’ das noch unverwandelte Borstenvieh?“

Der Doctor lachte laut über seinen Scherz und Landeck sagte kopfschüttelnd:

„Das, in der That, sehe ich nicht – ich sehe jetzt nur einen Menschen mit einer sehr boshaften Zunge.“

„Nun freilich,“ fuhr der Doctor fort, „Sie sind erst so kurze Zeit hier und kennen noch nicht den ganzen Hof von unnützen Junkern, Gutsbesitzersöhnen und Industrieprinzen, der die schöne Baronin zu umschwärmen pflegt.“

„Nein, und ich bin keineswegs begierig, die Bekanntschaft dieser, wie Sie behaupten, von der Verwandlung in eine sehr unliebenswürdige Thierspecies bedrohten Freierschaar zu machen – aber …“

„Freierschaar – verzeihen Sie, daß ich Ihnen bei diesem Worte in die Rede falle! – aber dieser Ausdruck ist nicht der richtige. Sie müssen wissen, daß unsere schöne Wittwe die Erbin des stattlichen Gutes Haldenwang nur so lange ist, wie sie sich nicht wieder verheirathet. Wenn sie eine zweite Ehe eingeht, verliert sie es. Unter solchen Umständen ist natürlich bei Leuten dieser Art von einem ernsten Werben nicht die Rede; es ist nur ein Spiel der Eitelkeit. Jeder will durch die Eroberung der schönen jungen Frau für sich einen Triumph feiern und den Andern ärgern. Das ist Alles.“

„Ach,“ sagte Landeck, bei dieser Erwähnung der Verhältnisse der Baronin wie erleichtert aufathmend, „und ist in diesem Wettkampf irgend Einer von ihnen dem Andern voraus?“

„Nicht im Mindesten. Wenn sie nicht so dumm wären, würden sie auch einsehen, daß sie durchaus keine Chancen haben. Die Baronin ist, unter uns gesagt, und nebenbei auch Ihnen ein wenig zur Warnung, das dünkelvollste Weib, das mir je begegnet ist; nicht dünkelvoll etwa à la Donna Diana, wo der Hochmuth doch nur eine arme Taube ist, die verloren, sobald ein anderer Hochmuth gleich einem Stoßfalken noch höher steigt als er – nein, bei ihr haben der Hochmuth der Baronin, der Hochmuth der berühmten Künstlerin und der Hochmuth der schönen Frau ein, sagen wir schonend, ‚Höhenbewußtsein‘ hervorgerufen, an das keines Falken Flügel hinantragen. Solch eine Frau ist durch nichts zu unterjochen, weder durch die geistige Bedeutung eines Mannes, die sie nicht versteht und nicht zu schätzen weiß, noch durch die Leidenschaft eines Mannes, in der sie nichts als einen ihr gebührenden alltäglichen Tribut erblickt. Was sie unterjochen könnte, wäre allerhöchstens die Gewohnheit und das Gewöhnliche, das durch Ausdauer, wie ein Tropfenfall einen Stein aushöhlt, zu seinem Ziele käme – solch ein Mensch z. B. wie dieser Herr von Maiwand, der ihr bereits ganz unentbehrlich geworden zu sein scheint.“

„Er hat, wie man sagt, aus nicht ganz ehrenhaften Gründen den Abschied als Cavallerie-Officier nehmen müssen?“ fragte Landeck.

„So sagt man, und er beutet jetzt den Umstand aus, daß ihm der verstorbene Baron von Haldenwang, mit dessen erster Frau er verwandt war, die Aussicht über die Verwaltung seines Gutes anvertraute, bevor er seine Orientreise antrat. Die Baronin hat ihn in der Stellung gelassen, und Herr von Maiwand ist nicht der Mann, der, wenn er im Rohr sitzt, sich nicht Pfeifen zu schneiden wüßte.“

„Und Sie glauben, er könne diesen stolzen Schwan mit dem souveränen ‚Höhenbewußtsein‘ berücken? Unmöglich!“

„Denken Sie an das, was ich von der Gewohnheit und dem Gewöhnlichen gesagt habe – über ein, zwei Jahre heißt das! Bis dahin wird Herr von Maiwand auch wohl Mittel und Wege entdeckt haben, jener verdrießlichen Testamentsclausel zu entgehen; er ist der Mann dazu. Dann also denken Sie daran!“

„Wenn mein Gedächtniß einer so außerordentlichen Leistung fähig sein sollte,“ fiel lächelnd Landeck ein, „will ich Ihnen den Gefallen thun, Doctor Iselt. Hier aber trennen sich wohl unsere Wege? Und deshalb guten Abend!“

„Guten Abend!“ sagte der Doctor, dem bisherigen Gefährten die Hand reichend und dann dem Wege, der links ab

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_021.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)