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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

vollste Sicherheit gewonnen – „ich finde es nicht in der Ordnung, daß Sie ein Haus, in welchem Sie, trotz alledem, was geschehen ist, mit der alten Liebe wieder aufgenommen worden sind, tagtäglich mit Spott und Hohn überschütten. Wenn Ihnen dies Haus und diese Familie so sehr kleinlich und lächerlich erscheinen, so hat Sie ja Niemand hergerufen. Sie hätten draußen bleiben sollen in der Welt, von der Sie soviel zu erzählen wissen. Meine Eltern verdienen mehr Schonung und Achtung, selbst für ihre Schwächen, und unser Haus mag sehr einfach sein, aber es ist doch immer noch zu gut für den Spott eines – Abenteurers.“

Sie wandte ihm den Rücken und verließ das Zimmer, ohne ein Wort der Erwiderung abzuwarten. Hugo stand da und sah ihr nach, als habe sich soeben eine der unmöglichen Scenen aus seinen „Indianergeschichten“ leibhaftig vor seinen Augen ereignet. Es geschah dem jungen Seemanne wahrscheinlich zum ersten Male in seinem Leben, daß er mit der Geistesgegenwart auch die Sprache verlor.

„Das war deutlich,“ sagte er endlich, indem er sich ganz fassungslos niedersetzte, aber schon in der nächsten Minute sprang er wie elektrisirt empor und rief:

„Sie hat sie wahrhaftig – die schönen blauen Augen des Kindes. Und das muß ich erst heute und jetzt entdecken! Freilich wer hätte auch unter diesem Ungethüm von Haube diesen Blick gesucht. ‚Wir sind zu gut für den Spott eines Abenteurers!‘ Schmeichelhaft ist das gerade nicht, aber verdient war es, wenn ich es auch freilich aus diesem Munde am allerletzten zu hören erwartete. Also böse muß man Frau Ella machen, wenn man sie so sehen will? Das werde ich doch öfters probiren.“

Hugo machte eine Wendung, in das Besuchszimmer hinüberzugehen, aber auf der Schwelle blieb er noch einmal stehen und blickte nach der Thür hinüber, durch die seine junge Schwägerin sich entfernt hatte. Der Zug von Spott und Uebermuth in seinem Gesichte war völlig verschwunden; es hatte einen nachdenklichen Ausdruck angenommen, als er leise sagte: „Und da glaubt Reinhold nur, daß sie blaue Augen hat? Unbegreiflich!“




Der große Concertsaal von H. schien diesmal die Elite der ganzen Stadt in seinen Räumen zu vereinigen. Es handelte sich um eines jener Concerte, die, zu irgend einem wohlthätigen Zweck in’s Werk gesetzt, von den ersten Familien der Gesellschaft in Protection genommen wurden, und bei denen die Mitwirkung einerseits und das Erscheinen andererseits als Ehrensache galt. Das Programm wies heute nur Namen von Berühmtheiten auf, sowohl was die Musikstücke als was die Ausführenden betraf, und im Uebrigen hatte man durch möglichst hohe Preise dafür gesorgt, daß das Publicum vorwiegend, wenn nicht ausschließlich, den ersten Kreisen angehörte.

Noch hatte das Concert nicht seinen Anfang genommen, und die mitwirkenden Künstler befanden sich noch in einem neben dem Saale gelegenen Zimmer, das bei solchen Gelegenheiten als Versammlungsort diente, und zu dem nur einige besonders Begünstigte aus dem Publicum Zutritt hatten. Um so mehr fiel daher die Gegenwart eines jungen Mannes auf, der weder zu diesen Begünstigten, noch zu den Künstlern selbst gehörte und sich auch von Beiden fern hielt. Er war vor Kurzem eingetreten und hatte sich sofort an den Capellmeister gewandt, der ihn zwar auch nicht zu kennen schien, aber doch von seinem Kommen unterrichtet sein mußte, denn er empfing ihn äußerst artig. Die umstehenden Herren vernahmen nur so viel von dem Gespräche, daß der Capellmeister bedauerte, Herrn Almbach keine Auskunft geben zu können, es sei der Wunsch Signora Biancona’s gewesen; Signora werde sogleich selbst erscheinen. Die kurze Unterhaltung war bald zu Ende, und Reinhold zog sich zurück.

Der in lebhafter Unterhaltung begriffene Künstlerkreis stob urplötzlich auseinander, als die Thür sich öffnete, und die junge Primadonna erschien, die man noch nicht erwartet hatte, denn sie pflegte sonst stets erst im letzten Augenblicke vorzufahren. Alles kam in Bewegung. Man überbot sich in Aufmerksamkeiten gegen die schöne Collegin, aber diese nahm heute auffallend wenig Notiz von der gewohnten Huldigung ihrer Umgebung. Ihr Blick war schon beim Eintreten rasch durch das Zimmer geflogen und hatte sofort gefunden, was er suchte. Signora geruhte, die Begrüßungen nur sehr flüchtig zu erwidern, wechselte einige Worte mit dem Capellmeister und entzog sich dann sofort jeden weiteren Unterhaltungsversuchen der Herren, indem sie sich an Reinhold Almbach wandte, der sich ihr jetzt näherte, und mit ihm in eine der entferntesten Fensternischen trat.

„Sie sind wirklich gekommen, Signor?“ begann sie in vorwurfsvollem Tone. „Ich glaubte in der That kaum noch, daß Sie meiner Einladung Folge leisten würden.“

Reinhold sah auf, und die erzwungene Kälte und Fremdheit bei der Begrüßung begann bereits zu weichen, als er zum ersten Male wieder seit jenem Abende diesem Blicke begegnete.

„Also war es doch Ihre Einladung,“ sagte er. „Ich wußte in der That nicht, ob ich die mir in Ihrem Namen übersandte Aufforderung des Herrn Capellmeisters als eine solche betrachten durfte. Es lag keine einzige Zeile von Ihrer Hand bei.“

Beatrice lächelte. „Ich folgte nur einem mir gegebenen Beispiele. Auch ich habe ein gewisses Lied erhalten, dessen Componist seinem Namen kein einziges Wort hinzugefügt hatte. Ich übte nur Vergeltung.“

„Hat mein Schweigen Sie beleidigt?“ fragte der junge Mann rasch. „Ich wagte nichts hinzuzufügen. Was –“ sein Auge sank zu Boden – „was hätte ich Ihnen auch sagen sollen!“

Die erste Frage wäre wohl überflüssig gewesen; denn die Huldigung jenes Liedes schien verstanden worden zu sein, und Signora Biancona sah nichts weniger wie beleidigt aus, als sie erwiderte:

„Sie scheinen das Wortlose zu lieben, Signor, und durchaus nur in Tönen zu mir sprechen zu wollen. Nun denn, ich füge mich Ihrem Geschmack und habe beschlossen, Ihnen gleichfalls nur in unserer Sprache zu antworten.“

Sie legte einen leisen, aber doch bemerkbaren Nachdruck auf das Wort. Reinhold hob überrascht das Haupt.

„In unserer Sprache?“ wiederholte er langsam.

(Fortsetzung folgt.)





Gang zur Beichte.

Auch dem Frevler, der gesündigt,
Unser Heiland gern vergiebt,
Der vor Allen Gnade kündigt
Herzen, die zu heiß geliebt. –

5
Zaghaft, tiefgesenkten Blickes

Schreitet sie zum Beichtstuhl hin,
Einem Opfer des Geschickes
Gleicht die bleiche Büßerin.

Schön, trotz Kummer und Bedrängniß –

10
Ach! die Schönheit lockt den Schmerz,

Und das bitterste Verhängniß
Ist ein leidenschaftlich Herz,
Das sich einmal nur entzündet,
Einmal nur erschließt dem Licht,

15
Hier schon seinen Himmel gründet,

Oder in Verzweiflung bricht.

Ist es Sünde denn zu lieben?
Hat nicht eine höh’re Macht
Sie an seine Brust getrieben,

20
Der die Flamme angefacht?

Nun er treulos sie verlassen,
Meineid ward sein heißer Schwur,
Soll sie den Verruchten hassen –
Ach! ihr Herz liebt einmal nur.

25
Daß im Keim geknickt ihr Leben,

Hat sie liebend ihm verzieh’n;
Daß ihr selber sei vergeben,
Fleht sie weinend auf den Knie’n;
Ihre eig’ne Schuld zu büßen,

30
Flieht sie in des Herren Hut

Und verströmt zu seinen Füßen
Des gebroch’nen Herzens Blut.

„Nicht am Ird’schen sollst Du hangen –
Unschuld wahre Dir und Ruh’,

35
Und mit gläubigem Verlangen

Wende Dich dem Ew’gen zu!“
So sprach einst der Priester gütig,
Doch ihr Herz blieb wahnbethört,
Wehe, wenn er zornesmüthig

40
Heute sie auch nicht erhört!


Zage nicht – und wenn er Milde
Und Verzeihung dir versagt,
Blicke auf zu jenem Bilde!
Nicht umsonst hast Du geklagt:

45
Auch dem Frevler, der gesündigt,

Unser Heiland gern vergiebt,
Der vor Allen Gnade kündigt
Herzen, die zu heiß geliebt.

                         Albert Traeger.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_398.jpg&oldid=- (Version vom 26.11.2023)