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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

zu bewahren verstanden, um dieser „zwei Hirngestörten“ willen habe erdulden müssen. … Jeden drohenden Einwurf Mainau’s, jede Zurückweisung in die Schranken der Selbstbeherrschung belachte er verächtlich – was konnte ihm der erzürnte Mann anhaben, der unablässig, in höchster Aufregung das Zimmer durchmaß? Morgen mußte er Schönwerth verlassen, und wenn sie auch Beide gleiche Rechte an die Besitzung hatten, so war doch nach Allem, was die boshafte Zunge des Einen an Beleidigungen gegen den Anderen geschleudert, ein ferneres Zusammentreffen, ja auch nur das Athmen einer und derselben Luft Beiden für alle Zeiten undenkbar geworden. Und daß der Herr Hofmarschall, der Stolz des Hauses Mainau, das Feld nicht räumte, verstand sich von selbst.

Hanna hatte die Flechten ihrer Dame einigermaßen getrocknet und ihr ein schwarzes Hauskleid übergeworfen. Sie erschrak über diesen „Mißgriff in der Eile“ und bebte zurück, so entgeistert, so fahlweiß hob sich das Gesicht mit den bläulichen, krampfhaft zusammengezogenen Lippen von dem tiefen Schwarz.

„Gnädige Frau – nicht hinüber!“ bat sie angstvoll und griff unwillkürlich nach dem Kleide der jungen Frau, die auf die Salonthür zuschritt; heiße, zitternde Finger schoben die zurückhaltende Hand weg und zeigten nach der Thür, die in den Säulengang mündete. Die Kammerjungfer ging hinaus; sie hörte, wie hinter ihr der Riegel vorgeschoben wurde.

„Du wirst nicht leugnen, daß sich auch eine tüchtige Dosis dieses Narrenblutes bereits bei Leo geltend macht. Er nimmt leider, zu meiner Verzweiflung, nur allzu oft jenen ‚genialen Chic‘ an, der zum Fluch für unsere einst so respectable, ehrenfeste Familie geworden ist,“ sagte drinnen der Hofmarschall. „Nur eine strenge, vernünftige und gottesfürchtige Erziehung kann da helfen; ich sage nochmals, nur die großväterliche, nöthigenfalls eiserne Hand wird ihn retten – und das soll geschehen, so wahr ich dereinst auf einen gnädigen Richter hoffe. Und wenn Du Deine väterlichen Ansprüche von einem Gerichtshof zum andern schleppst, Leo ist mein! … Uebrigens hast Du ja einen Ersatz – Deinen Adoptivsohn Gabriel! Ha, ha, ha!“

Da wurde der Thürflügel zurückgeschlagen, und die junge Frau trat in den Salon. Sie stand dem in einen Lehnstuhl hohnlachend zurückgesunkenen alten Herrn gegenüber.

„Gabriel’s Mutter ist todt,“ sagte sie langsam vorschreitend.

„Mag sie zur Hölle fahren!“ schrie der Hofmarschall wie wüthend.

„Sie hatte eine Seele so gut wie Sie, und Gott ist barmherzig,“ rief Liane. Das Blut kehrte in ihre Wangen zurück. „Sie sind strenggläubig, Herr Hofmarschall, und wissen, daß er ein unbestechlicher Richter ist. … Mögen Sie auch in die eine Wagschale den ‚stetsbehaupteten‘ Nimbus des Edelmannes, die strenge Ausübung der Standespflichten werfen, sie wird dennoch zu leicht befunden. … Wo ein Richter zu entscheiden hat, da müssen auch Ankläger sein, und sie steht jetzt vor ihm und zeigt auf die Fingermale an ihrem Halse.“

Der Hofmarschall hatte sich anfänglich scheinbar galant vorgebeugt und die Sprechende unbeschreiblich malitiös angelächelt. Bei den letzten Worten fiel er zurück; als ihm der Unterkiefer vor sprachlosem Schrecken herabsank und den meist so impertinent zugespitzten Mund weit offen erscheinen ließ, da sah es aus, als berühre ihn die überraschende Hand des Todes. … Mainau aber, der bei Lianens Eintreten am entgegengesetzten Ende des Salons gestanden, kam jetzt auf sie zu; er schien kaum gehört zu haben, was sie gesprochen; er vergaß den verzweifelten Kampf, den er eben um sein Kind kämpfte, den beispiellosen Zorn, der in ihm kochte, über dem Anblicke der Frau, die, so seltsam verändert an Stimme und Erscheinung, wieder eingetreten war. … Er schlang den Arm um sie und zog sie näher an das Lampenlicht; er wollte ihr den Kopf in den Nacken biegen, um das Gesicht von beleuchten zu lassen, und legte die Hand auf ihren Scheitel – entsetzt fuhr er zurück.

„Was ist das?“ schrie er auf. „Dein Haar trieft von Nässe. Was ist mit Dir vorgegangen, Liane? Ich will es wissen.“

Krank ist die Gnädige!“ rief der Hofmarschall mit klangloser Stimme herüber; er saß bereits wieder aufrecht und legte mit einer ausdrucksvollen Geberde den Zeigefinger an die Stirn. „Ich sah es sofort an ihrer gespreizten, theatralischen Haltung, und ihre letzten Worte bestätigen vollkommen, daß die Dame an Nervenaffectionen, respective Visionen leidet. Lasse den Arzt holen!“

Liane wandte die Augen mit einem kalten verächtlichen Lächeln von ihm weg und ergriff Mainau’s Hand. „Du sollst Alles erfahren – später, Raoul. … Ich habe Dir schon heute einmal angedeutet, daß ich Dir Schweres mitzutheilen habe. Die Todte im indischen Hause –“

„Ah, da ist ja wohl die Erscheinung wieder!“ lachte der Hofmarschall heiter auf. „Wo haben Sie denn eigentlich das Phantom gesehen, meine Gnädigste?“

„Vor der Thür des rothen Zimmers, Herr Hofmarschall. Ein Mann schlang die Hände um den kleinem Hals der armen Bajadere und drückte ihr die Kehle zu, bis sie für todt auf den Boden niedersank.“

„Liane!“ rief Mainau in leidenschaftlicher Angst. Er zog sie an sich und zog ihren Kopf beschwichtigend an seine Brust; er glaubte immer noch eher an eine plötzliche Geistesstörung dieses geliebten Wesens, als – an einen Mordversuch in „dem höchst ehrenhaften Schönwerth“.

Der Hofmarschall erhob sich in demselben Augenblicke. „Ich gehe – ich kann keinen gehirnkranken Menschen sehen.“ Er sagte das mit dem ausgesprochensten Abscheu in Stimme und Geberde; aber er vermochte nicht allein zu stehen und griff mit unsicher tastender Hand nach der Armlehne des Stuhles.

„Beruhige Dich, Raoul! Ich werde Dir beweisen, daß ich nicht ‚gehirnkrank‘ bin,“ sagte Liane. Sie wand sich von ihm los und trat dem alten Herrn näher.


(Schluß folgt.)




Album der Poesien.

Der Goldschmiedsgesell.

Es ist doch meine Nachbarin
Ein allerliebstes Mädchen.
Wie früh ich in der Werkstatt bin,
Blick’ ich nach ihrem Lädchen.

5
Zu Ring und Kette poch’ ich dann

Die feinen goldnen Drähtchen.
Ach, denk’ ich, wann, und wieder wann
Ist solch ein Ring für Käthchen?

Und thut sie erst die Schaltern auf,

10
Da kommt das ganze Städtchen

Und feilscht[WS 1] und wirbt mit hellem Hauf
Um’s Allerlei im Lädchen.

Ich feile; wohl zerfeil’ ich dann
Auch manches goldne Drähtchen.

15
Der Meister brummt, der harte Mann!

Er merkt, es war das Lädchen.

Und flugs, wie nur der Handel still,
Gleich greift sie nach dem Rädchen.
Ich weiß wohl, was sie spinnen will:

20
Es hofft das liebe Mädchen.


Und nach den Lippen führt der Schatz
Das allerfeinste Fädchen.
O, wär’ ich doch an seinem Platz,
Wie küßt’ ich mir das Mädchen!

 Goethe.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: feilt, vergl. Berichtigung in Heft 21
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_318.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2018)