Seite:Die Gartenlaube (1874) 050.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Aus amerikanischen Gerichtssälen.


2. Der Mord des „Prinzen Erie“.


Wie eine Republik ihre Aristokratie haben kann, so kann sie auch ihre Könige und Fürsten haben. Davon ist unsere Union im gegenwärtigen Stadium ihrer Entwickelung ein Beweis. Es sind dies freilich keine Könige von Gottes Gnaden, auch nicht von Volkes Gnaden, sondern lediglich von Geldes Gnaden; da aber das Geld leider nur zu häufig mehr zu sagen hat als das Volk, so mag daraus auf die Macht unserer Geldfürsten geschlossen werden, die in der That nicht selten eine bedeutend größere ist, als die manches kronentragenden Herrschers jenseits des Oceans. Mehr als irgend eine andere Classe verdienen die Vertreter der Eisenbahncorporationen der Vereinigten Staaten den Namen einer aristokratischen Clique. Die Männer, in deren Händen die Fäden der Verwaltung und die Zügel der Regierung dieser ungeheuren Monopole zusammenlaufen, sind in Wahrheit Fürsten und Könige von fast unumschränkter Gewalt. Commodore Vanderbilt, Thomas Scott und Andere sind Beispiele dafür, welchen verderblichen, Recht und Gesetz beugenden, ja wahrhaft despotischen Einfluß einzelne kühne, rücksichtslose, vom Glück begünstigte Männer selbst in einer scheinbar so freien Republik wie die amerikanische erlangen können. Durch allmähliche Consolidation verschiedener unabhängiger Bahnen haben sich mehrere Corporationen gebildet, die eine vollständige Controle fast über das ganze riesige Eisenbahnnetz der Union und in Folge dessen einen Druck auf das Publicum ausüben, der nachgerade unerträglich geworden ist und gegenwärtig das Volk in seinen innersten Tiefen aufgeregt und zu einem verzweifelten Kampf gegen seine Unterdrücker getrieben hat. Die enormen Geldmittel, über welche diese Blutsauger geboten, öffneten ihnen die Thüren nicht nur fast sämmtlicher Staatsgesetzgebungen, sondern auch des Congresses, ja selbst der Richterstand wurde allmählich so beeinflußt, daß viele hohe Gerichtsstellen von ihren gehorsamen Dienern besetzt wurden und noch eingenommen werden. Die Gesetzgebung stand vollständig in ihrem Solde; ihr Geld kaufte bei jeder gewünschten Gelegenheit Majoritäten in den Hallen der feilen Volksvertreter. Man denke nur an die schmachvolle Affaire des Crédit mobilier in Verbindung mit dem Bau der Central-Pacifischen Bahn, bei deren endlicher Enthüllung sogar der Vicepräsident der Vereinigten Staaten als bestochener Helfershelfer an den Pranger gestellt wurde. Für die Auslegung etwaiger noch ungünstiger Gesetze sorgten die erkauften Richter. Des Volkes Recht wurde dabei selbstverständlich gar nicht beachtet. Dazu kamen die unsinnigen Landschenkungen, die der Congreß den von ihm begünstigten, weil ihm gut zahlenden Linien machte.

Es ist schwer, sich eine richtige Vorstellung von der gewissenlosen Verschwendung zu machen, mit welcher der Congreß die öffentlichen Ländereien an diese unersättlichen Moloche verschleuderte. Millionen von Aeckern des herrlichsten Landes, Landstrecken, die an Flächeninhalt mehreren europäischen Großstaaten gleichkommen, sind an einzelne Eisenbahngesellschaften verschenkt worden, und diese Schenkungen haben sich so oft wiederholt, daß schließlich fast nichts mehr übrig geblieben ist, um als Heimstätten an wirkliche Ansiedler verkauft zu werden. Welch ein Schwindelgeschäft unter solchen Verhältnissen mit Eisenbahnpapieren getrieben worden ist, kann leicht ermessen werden und ist seit der letzten großen Finanzkrisis in diesem Herbst, die eine Folge übertriebener und betrügerischer Actienspeculation war, allenthalben bekannt geworden.

Unter den Leuten, welche durch diese ungesunden und corrupten Zustände schnell zu großem Reichthum gelangt waren, nahm James Fisk eine hervorragende Stelle ein. Er war im Staate Vermont geboren, der Sohn eines Hausirers; in eben diesem Geschäft machte er seine ersten Studien. Die abgelegenen Berge und Thäler Vermonts wurden aber seinem unternehmenden Geiste bald zu eng, und er begab sich deshalb bald nach dem Eldorado aller Geldspeculanten und Börsenschwindler, nach New-York. Hier entwickelte sich sein Finanztalent außerordentlich schnell, und bald hatte James Fisk’s Name einen guten Klang im Hauptquartier der privilegirten großen Spieler in Wallstreet und auf der Actienbörse. Obgleich noch ein junger Mann, wurde er schnell einer der Matadore jener Gesellschaft, und beherrschte sie zeitweise im Verein mit Jay Gould und anderen Magnaten. Gould und Fisk hatten sich namentlich der Leitung der Erieeisenbahn so zu bemächtigen gewußt, daß sie bald die unumschränkten Regenten dieser großen Corporation wurden, was dem Letzteren den populären Titel „Prinz Erie“ eintrug. Daß die übrigen Actieninhaber auf’s Kolossalste beschwindelt wurden, braucht wohl kaum erwähnt zu werden, während Gould und Fisk Millionen in ihre Taschen zu befördern wußten und in ihrem „Ring“ so sicher und unangreifbar regierten, wie „Boß Tweed“ im „Tammany-Ring“. Der Letztgenannte stand übrigens im regsten Geschäftsverkehr mit dem „Erie-Ring“ und dessen Leiter, dem „Prinzen Erie“.

James Fisk war ein vollendetes Musterbild einer gewissen Classe des heutigen Jungamerikas, wie sie sich besonders seit der großen Rebellion zum Verderb des Landes herangebildet hat. Die Gelegenheit, welche der vierjährige Krieg mit seinen ungeheuren Bedürfnissen an Armeelieferungen aller Art zu Betrügereien und offenkundigen, aber selten gehörig bestraften Schwindeleien bot, war zu lockend, um nicht bis zur äußersten Grenze ausgebeutet zu werden. So entstand die sogenannte Shoddy-Aristokratie, ein roher, aufgeblasener, durch und durch corrupter Geldadel, ein wahrer Fluch unserer Republik. Die nach dem Kriege sich immer steigernde Eisenbahnbauwuth war ein günstiges Feld für diese Classe von Menschen, ihre Operationen fortzusetzen, und bis zum Herbste vergangenen Jahres haben sie es treulich gethan.

Wie die meisten dieser Emporkömmlinge, war auch Fisk ohne alle höhere Bildung, roh, ausschweifend und unwissend, ausgenommen im Punkte des intelligenten Geldgeschäfts. In diesem war er Meister. Sein öffentliches Auftreten war der niedrigen Stufe seiner Cultur entsprechend. Er wollte vor Allem Aufsehen erregen, und da er dies durch seinen Geist nicht zu thun vermochte, so mußte es durch äußeren Prunk und durch eine verschwenderische Lebensweise geschehen. Seine persönliche Erscheinung, seine Equipagen, sein Haushalt, seine Feste bezeugten es, daß er auf fürstlichen Rang unter seinen Genossen Anspruch machte. Er hatte sich zum Obersten eines New-Yorker Miliz-Regiments wählen lassen, das auf seinen Betrieb aus jungen, meist reichen Leuten seines Schlages sich gebildet hatte, und wenn er an der Spitze dieser seiner Leibgarde in seiner glänzenden Uniform durch die Straßen paradirte, dann fühlte „Prinz Erie“ sich so recht in seinem Elemente. Auch in seiner Maitressenwirthschaft war er fürstlich. Er hatte zuletzt eine Frau oder ein Fräulein Mansfield, ein Subject aus der höheren Demimonde, zur Hauptfavoritin erhoben, was ihn natürlich nicht abhielt, zahlreiche andere Verbindungen mit verschiedenen Damen von zweifelhaftem Rufe zu haben, ja sogar in einem ihm eigens gehörenden Opernhause ein ganzes Corps französischer Ballettänzerinnen zu seinem und seiner Freunde Vergnügen zu unterhalten.

Dieser zwar grobe, aber prunkvolle Libertinismus, verbunden mit einer völlig grundsatzlosen, kein Mittel scheuenden Kühnheit in den wildesten Speculationen und einer sehr effectvollen Leichtfertigkeit im Durchbringen des schnell und leicht erworbenen Mammons, machten ihn zu einem förmlichen Idol der New-Yorker jeunesse dorée, dem diese ebenso eingebildete wie frivole Gesellschaft ähnlich zu werden sich eifrigst bemühte. Sein Beispiel wurde ein höchst verderbliches, zumal da er die Gelegenheiten geschickt zu benutzen verstand, um seine Popularität zu vergrößern. Als nach dem Brande Chicagos Subscriptionen für die heimgesuchte Stadt allenthalben eröffnet wurden, sah man den Prinzen Erie einen großen mit vier Pferden bespannten Güterwagen durch die Hauptgeschäftsstraßen New-Yorks eigenhändig lenken und rechts und links die Kaufleute auffordern, Beiträge für Chicago auf seinem Wagen niederzulegen. Diese Operation setzte er mehrere Tage fort, erhielt natürlich Alles, was er verlangte, und erreichte seinen Zweck vollständig, der gepriesene Held des Tages zu werden, dessen noble Gesinnung und thätige Menschenliebe für einige Zeit vom Volke laut gepriesen wurden.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_050.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)