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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Richard Wagner selbst, der bekanntlich sehr wählerisch und schwerbefriedigt ist und mit seinem Beifall kargt, umarmte nach der Vorstellung den Künstler in überströmendem Enthusiasmus vor den Augen aller Mitwirkenden, und der kunstsinnige König von Baiern würdigte von diesem Augenblick an den glücklichen Sänger seiner ganz besonderen Aufmerksamkeit und Gunst.

Nachbaur war jetzt endlich, nach tapferem und unverdrossenem Ringen, auf der lichtvollen Höhe des Künstlerthums und des Ruhmes angelangt. Durch mannigfaltige Gastspiele in Karlsruhe, Frankfurt, Dresden, Prag, Weimar, Königsberg, Riga, Leipzig etc. errang er sich immer neue Triumphe und ehrenvolle Auszeichnungen. Der König von Baiern und der König von Württemberg verliehen ihm hohe Orden; in Darmstadt und Weimar errang er sich die goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft, und als er von Leipzig aus, wo er bei seinem letzten Gastspiele einen wahren Enthusiasmus erregte, einen Ausflug nach Gotha machte und dort den Manrico im „Troubadour“ sang, war der Herzog Ernst so außerordentlich begeisterungsgehoben und entflammt, daß er den Künstler nach beendigter Vorstellung auf der Bühne beglückwünschte und mit dem Verdienstkreuze des Sächsisch-Ernestinischen Hausordens schmückte.

Die eigenartigen Vorzüge des Künstlers Nachbaur haben wir bereits mehrfach zu charakterisiren versucht. Erstaunlich ist noch besonders seine seltene Vielseitigkeit, da er in allen Operngattungen gleich ausgezeichnete und technisch vollendete Leistungen aufzuweisen hat: als „Lohengrin“, „Tannhäuser“, „Walter von Stolzing“, als „Raoul“, „Prophet“, „Robert der Teufel“, als „Arnold“ in Rossini’s „Tell“, als „George Brown“ (weiße Dame), als „Manrico“, als „Postillon von Lonjumeau“, als „Faust“ – überall ist er ein Anderer in Betreff der dramatischen Charakteristik und Derselbe in Betreff des künstlerisch ausgearbeiteten, wahren Meistergesanges.

B.




Aus dem Lebens- und Leidensbuche eines Dichters.
Nach handschriftlichen Quellen. Von Adolf Strodtmann.


Von allen Dichterheroen unserer classischen Periode hat neben Lessing, Goethe und Schiller keiner sich bis auf den heutigen Tag ein so bleibendes Andenken im Herzen der Nation bewahrt wie Gottfried August Bürger.

Seine „Lenore“, sein „Lied vom braven Manne“, die ergreifende Ballade „Des Pfarrers Tochter von Taubenhain“, das lustige Märlein „Der Kaiser und der Abt“ leben in Jedermanns Munde. Durch ihre Volksthümlichkeit führen sie heute noch wie vor hundert Jahren in Gemeinschaft mit den Schiller’schen Balladen unsere Jugend zuerst in das Wesen und Verständniß der Dichtkunst ein, und wie manche deutsche Jungfrau hat beim Erwachen der ersten Liebesgefühle sich an den süßen Klängen der Molly-Lieder berauscht und über des Dichters Lust und Leid wie über ein selbsterlebtes Geschick gejauchzt und geweint!

Aber es sind nicht allein die innere Wahrheit, der duftige Schmelz und die zaubervolle Melodie dieser Lieder, sondern es ist ebenso sehr der tragische Verlauf seines Lebens, was dem Dichter von jeher die Theilnahme aller Herzen zuwandte. Wenn jemals Leben und Poesie sich nahezu vollständig deckten, wenn je ein Dichter den Stoff zu seinen Liedern den thatsächlichsten Anlässen seiner äußeren und inneren Erlebnisse entnahm, so war das bei Bürger der Fall. Ein vollkommenes Verständniß und eine gerechte Würdigung seiner Werke setzen daher bei ihm, mehr als bei jedem Andern, eine genaue Kenntniß seines Lebens voraus. Diese sichere Kenntniß hat uns bisher gefehlt, denn den bisherigen Biographen Bürger’s stand nur ein verhältnißmäßig geringes Material zu Gebote. Ein günstiger Zufall hat vor einem Jahre den gesammten literarischen und brieflichen Nachlaß Bürger’s in meine Hände geführt, und durch allseitige freundliche Unterstützung meiner Nachforschungen ist es mir möglich gewesen, die Lücken desselben aus öffentlichen und Privatsammlungen, aus Staats- und Familienarchiven der Art zu ergänzen, daß das ganze Leben des Dichters sich in klarster Beleuchtung enthüllt. Es steht nicht zu befürchten, daß das hellere Licht, welches auf sein Leben fällt, den Zauber seiner Dichtungen zerstören oder die warme Theilnahme für seine Persönlichkeit im Geringsten abschwächen werde. Im Gegentheil, wenn das schöne Wort der Frau von Staël, daß Alles verstehen Alles verzeihen heißt, in irgend einem Falle als wahr gelten darf, so wird die genauere Kenntniß von Bürger’s Schicksalen, von den schweren Prüfungen und Kämpfen, welche er zu erdulden gehabt, unser Urtheil selbst über seine Verirrungen nachsichtiger und milder gestalten.

Ich glaube den Wünschen der Leser und Leserinnen der „Gartenlaube“ zu entsprechen, wenn ich vor dem Erscheinen des Bürger’schen Briefwechsels und der nach neuen Quellen bearbeiteten Biographie aus vergilbten Papieren Einiges über die Beziehungen des Dichters zu seinen beiden ersten Frauen und deren Familien berichte.

Nach einer toll verstürmten Universitätszeit war der vierundzwanzigjährige Jüngling fast direct von der Studentenbank als Justizamtmann des von Uslar’schen Gesammt-Gerichts Altengleichen nach dem einsamen Dorfe Gelliehausen verschlagen worden. Welche Kämpfe es ihn gekostet, sich in den Besitz seines Richterstäbchens zu setzen, hat unlängst Karl Goedeke in seiner actenmäßigen Darstellung der vom Obristen Adam Henrich von Uslar angezettelten Kabalen erzählt. Es ist hier nicht der Ort, des Breiteren zu schildern, wie dem armen Dichter ein Amt, das er mit den besten Vorsätzen und dem regsten Arbeitseifer antrat, durch die fortgesetzten Chicanen mehrerer seiner zahlreichen Principale nach und nach völlig verleidet ward, wie er sich mit diesen, mit dem boshaften Lästermaule des Pastors Zuch, mit den Gaunereien der Werber und hunderterlei anderen Widerwärtigkeiten herumschlagen mußte, wie er genöthigt war, jahrelang auf die Auszahlung seines kargen Gehaltes zu warten, wie er hierdurch und durch seinen gutherzigen Drang, fremde Noth zu lindern, von Anfang an tief in Schulden gerieth. Sein Unstern fügte es, daß er gleich bei seiner Ankunft in Gelliehausen die nahe Bekanntschaft des feingebildeten, aber übelberufenen württembergischen Hofraths Ernst Ferdinand Listn machte, eines leichtfertigen Schuldenmachers und herzlosen Ränkeschmieds, über dessen Schicksalen und verbrecherischen Handlungen immer noch ein gewisses Dunkel schwebt. So viel erhellt aus vorliegenden Documenten, daß er in früheren Jahren die Gerichtsamtmannsstelle zu Altengleichen bekleidet hatte und seit seinem Abgang von diesem Posten in sehr zerrütteten Vermögensverhältnissen lebte. Er verstand trefflich die Kunst, seine Bekannten auszubeuten und seine arglistigen Pläne unter der Maske einschmeichelnder Freundlichkeit und offenherzigen Biedersinns zu verbergen. Dabei besaß er ein vornehmes, aristokratisches Wesen, das den Meisten, die mit ihm in Verkehr traten, imponirte. Hatte doch auch der mißtrauisch vorsichtige Großvater Bürger’s die Caution von sechshundert Thalern, welche er für seinen Enkel auf Anfordern der Herren von Uslar hinterlegte, nirgends sicherer als in den Händen des Hofraths Listn aufbewahrt geglaubt. Ja, Bürger selbst, dem es an jeglicher tieferen Menschenkenntniß gebrach, ließ sich durch die heuchlerische Zuvorkommenheit des schlauen Gesellen alsbald vollständig umgarnen. Wie sein Amtsvorgänger Eggeling, wohnte er anfangs in dem Listn’schen Hause, und er holte sich, bei seiner Unerfahrenheit in Geschäftssachen, über die oftmals schwierigen und verworrenen Rechtsangelegenheiten Rath bei dem gewandten Rabulisten, der ihn zu eigenem Vortheil mehr als einmal auf bedenkliche Irrwege verlockte.

Gegen Ende Januar 1773 entwischte der stark verschuldete Mann seinen ihn ringsher bedrängenden Gläubigern nach Hannover, wo er nun Geldmittel aufzutreiben hoffte. Er blieb monatelang fort und überließ Bürger die Sorge, den ritterlichen Beschützer der Frau Hofräthin zu spielen, die drohende Execution abzuwenden und aus eigener Tasche die Mittel zur Bestreitung des Haushalts, wie zur Bestellung der Aecker und des Gartens herbeizuschaffen. Kaum in Hannover angelangt, wußte er dem mitleidigen Dichter seine Noth in einem verzweiflungsvollen Schreiben so rührend vorzuspiegeln, daß dieser ihm sofort den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 809. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_809.JPG&oldid=- (Version vom 10.12.2018)