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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Es fehlte nur noch Garibaldi, der bald darauf kam und sich als nicht minder zugkräftig bewährte. Jetzt haben schon ferne Völker ihre Beiträge zum Zusammenfluß von Menschen gestellt, die hier vor der Grotte wie vor einem Teiche Bethesda sich sammeln und den Engel erwarten, der das Wasser bewege. Hier ist der Engel der heiße Sturm, der in den Erdgängen tobt. Schon haben auf diese Grotte pommerische Pastoren Festgrüße geschmiedet, niederösterreichische Bauern über ihre heilsame Wirkung Zeugnisse ausgestellt, ungarische, dänische, schwedische Poeten Hymnen auf sie gedichtet. Daß die Engländer nicht fehlen, braucht nicht erwähnt zu werden.

Die Schwester des Besitzers der Grotte, des Dichters Giusti, hat den Hauptmann Nencini geheirathet und haust mit ihrem Gemahl und einer sehr anmuthigen jugendlichen Tochter in einem Schlosse zu Monsummano. Da es Winter war, mußte ich den Herrn Hauptmann aufsuchen. Denn im Winter ist der Zugang zu der alsdann geschlossenen Grotte nur durch diesen Herrn zu erreichen. Ich fand die Familie theils über der Fremdenliste der abgelaufenen Saison studirend, theils in Berathung mit Geschäftsleuten über die Erweiterung der Anstalt, die so angelegt ist, daß man durch sie hindurchgehen muß, um in die heiße Höhle zu gelangen.

Der Capitano Nencini also, der sich von seiner Frau noch den Namen Giusti beigelegt hat, setzte sich in einen von mir aus dem schmutzigen Gewühl des Wochenmarktes geholten Wagen und fuhr mit mir auf einem bodenlosen Wege bis in die Nähe der Grotte und seines Curhôtels. Dieses wurde aufgesperrt und einem Diener bedeutet, Kerzen anzuzünden, damit ich die Vorhallen der heißen Gänge sehen könne. Denn weiter als einige Schritte in diese einzudringen, behauptete der Capitano, sei während des Winters unmöglich. Denn es sammelt sich Wasser darin an und überfluthet die Senkungen des Bodens, Wasser, welches vielleicht nach Regengüssen durch die Bergadern eingesickert ist, vielleicht aber auch mit der Hebung des Spiegels der umliegenden Flüsse und Sumpfseen zusammenhängt. Ich erklärte aber dem Capitano, daß mich dieses Wasser, falls es nicht bis zur Decke hinaufreiche, nicht hindern würde, die unterirdischen Hallen zu besuchen. Denn es mußte offenbar von dem heißen Winde, der darüber hinweht, gewärmt sein und konnte so ein warmes Schwimmbad abgeben, wie man es nirgends mehr antrifft. Der Capitano war über diesen Vorschlag verblüfft, denn wie allen Italienern geht auch ihm der Sinn für Reize der Natur ab, besonders wenn sie mit seltsam scheinender Thätigkeit errungen und genossen werden sollen.

Ich stieg mit einem Knechte die Treppen hinab, die zum Eingang der Grotte führen, auf welchen das Haus hinauf gesetzt worden ist. Als wir die von Menschen gemachte Wölbung verließen und in die Nähe des ersten von der Natur im Felsen geschaffenen Bogens kamen, däuchte uns eine Anwandlung von Schlaganfall zu überkommen. Ich und mein Reisegenosse, der bekannte philosophische Schriftsteller Karl von Duprel (der sich unterwegs mir angeschlossen hatte) erkannten die Unmöglichkeit, hier einen Schritt in Kleidern weiter zu gehen, wenn wir uns nicht, statt in der unterirdischen Fluth, im eigenen Schweiße baden wollten.

Wir entkleideten uns also vor dem dunkeln Schlund und zogen nur eine Art von Leinwandmantel, wie ihn die Friseure beim Haarschneiden umhängen, an, welchen der Diener mitgebracht hatte. Dieser Mantel ist unerläßlich für die Curgäste, und mehrere Bestimmungen des Reglements deuten energisch auf die Decenz hin, die unter dem Schutze dieses Mantels bewahrt werden müsse.

Der Diener hatte uns darauf hingewiesen, daß die Hitze, die wir hier vor dem Gewölbe verspürt, noch nichts sei in Vergleich mit der, welche wir antreffen würden, wenn wir die Grotte selbst beträten. Und er hatte Recht. Denn nach den ersten Schritten in dem Felsengange, auf dessen Decke und Wände die Kerzen ein mattes Licht warfen, wurden wir sprachlos vor Erstaunen. Nicht etwa als ob uns die Wärme in unserer luftigen Gewandung unangenehm geworden wäre, wie etwa, wenn man in den Schlund hineinschaut, welchem beim alten Bad zu Bormio die heiße Quelle entspringt, oder in irgend eine der Spalten, aus welchen die Gasteiner Wasser zum Vorschein kommen. Es war das Gefühl unendlichen Behagens, eine Empfindung, wie sie für uns Beide noch nie dagewesen war. Die Luft ist heiß, aber sie ist ein Strom. Schweiß muß verdunsten und dadurch sofort im Körper ein Bewußtsein von Lust erzeugt werden, wie es annähernd schließlich die langwierige Quälerei der irisch-römischen Dampfbäder hervorbringt. Der Unterschied ist nur der, daß man hier, in diese Empfindung eingetaucht, stundenlang herumgehen und Gänge in’s Erdinnere hinein unternehmen kann, während sie dort nur als Gegenwirkung gegen die vorausgegangenen Torturen eintritt und sich beim Hinausgehen auf die Gasse bald wieder abschwächt.

Es ist wirklich etwas an dem Glauben, der die Wärme des Erdinnern für ein Agens hält, das anders wirkt, als andere auf der Oberfläche künstlich erzeugte Wärme. Wir liegen am Busen der Mutter. Es weht uns titanisch an aus diesen Dunkelheiten. Der leichte Mantel hindert nicht, daß die ganze Oberfläche des Körpers den Einwirkungen dieser unsichtbaren Fluth des Urlebens anheimgegeben sei. Wie die Erdwärme des Gasteiner Wassers nicht durch Abkochen ersetzt werden kann, so mögen auch in diesem Luftstrom unwägbare Dinge zittern und wirken, welche kein Ofen in dieser Vereinigung nachbildet. Kurz gesagt, das Luftbad in diesen Schlünden ist Wonne.

Nach wenigen Schritten sahen wir indessen die Vorhersage des Capitano erfüllt. Der für die Kranken angelegte und mit einem Geländer versehene Planken-Weg in den Gängen, welche etwa zwölf bis fünfzehn Fuß hoch sind, endigte jetzt urplötzlich in einem Wasserbecken. Obgleich nun dieses nur von Kerzen erhellt wurde, erkannte man die grünliche Farbe der glashellen Fluth, die durchaus nicht anders aussah, als irgend ein Tümpel, in welchem sich der nächste beste Alpenbach sammelt. Dieser Wasserspiegel setzte sich so weit fort, daß wir in der Dämmerung der Höhlengänge bei unserer unzureichenden Beleuchtung sein Ende nicht absehen konnten. Indessen hatten wir immerhin noch Glück gehabt, denn wären wir etwa zwei Wochen früher gekommen, so würde uns schon der Eingang, die Höhlung, in welcher wir unsere Kleidung zurückgelassen hatten, von der angestauten Fluth verschlossen gewesen sein. Sie war seit dieser Zeit um etwa zehn Fuß gefallen.

Die Grotte von Monsummano ist ein Luftbad unter der Erde. Wir aber benutzten sie als Wasserbad, was nach den Aussagen des Besitzers und des Dieners noch niemals vorgekommen war. Nachdem wir diesem die Lichter abgenommen und ihn fortgeschickt hatten, stürzten wir uns in die laue Fluth und trugen sie zunächst auf ein von weißen Tropfsteinen gebildetes Vorgebirge in Miniatur, welches in den flaschengrünen, von unseren Lichtern bernsteinfarbig hier und dort durchhellten See hineinragte.

Nunmehr überließen wir uns dem namenlosen Vergnügen des Schwimmens in dieser Unterwelt. Bis an’s Kinn in das wohlige Wasser getaucht athmeten wir die Luft der heißen Erdtiefen, in der sicherlich so manches Salz, so mancher von den Kammern der Abgründe ausgehender Metallhauch aufgelöst schwamm. Von der Decke hingen zahllose Tropfsteine herab. Diese und die zitternde Wasserfläche, die gähnenden schwarzen Hintergründe, die halbsichtbaren Bogengänge, die Eingänge zu unbekannten Gewölben und Tiefen, vom schwachen Lichte der Kerzen angeschienen, brachten uns den Eindruck hervor, als seien wir in eine magische Welt versetzt, und der heutige Morgen, an welchem ich fröstelnd durch das schmutzige Florenz gegangen war, der langweilige Regenhimmel und das wintergraue Land draußen däuchten mir ein widerwärtiger Traum.

Nachdem wir so uns in diesem winzigen See eine Weile ergötzt hatten, nahmen wir die Leuchtthürme vom Vorgebirge herunter und schwammen weiter, der nächsten schwarzen Höhlung zu. Als wir wieder Grund gefunden hatten, holten wir die Kerzen.

Da sahen wir uns wieder vor einem langen Tunnel. In gleicher Herrlichkeit flimmerte das Wasser um unsere Leiber und trotz des schwachen Lichtes vermochten wir jeden Stein auf dem Boden zu erkennen. Das Geländer, welches den Sommercurgast auf seinem dunkeln Pfade vor dem Hinabstürzen in die Senkungen bewahrt, stand unter Wasser. Die im Sommer trockenen Abgründe waren alle von der lauen Fluth überwallt.

Unserem Vordringen war jedoch hier bald ein Ziel gesetzt. Immer niedriger wurde die Decke über unseren Köpfen; immer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_779.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)