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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


„von etwas“ ist und ein „großer“ einer „von nichts“; ja es ist mir ein Fall bekannt, wo ein großer „Pascha von nichts“ der Vorgesetzte eines kleinen „Pascha von etwas“ ist, ohne deshalb aus seinem „Nichts“ herauszukommen. Dieses Naturwunder hat sich in der Provinz Hedschaz in Arabien ereignet. Die Provinz besitzt als General-Gouverneur einen „großen“ Pascha, der in Mecca residirt. Da indeß der größte Theil seines Amtsbezirks nur auf dem Papier unterworfen, in Wahrheit aber unabhängig ist, so hat er nichts zu verwalten. Dagegen giebt es in seinem Bezirk eine Stadt, Dschedda, welche vollkommen unter türkischer Botmäßigkeit steht und in der er nach Herzenslust den „Pascha von etwas“ spielen könnte, besäße diese nicht einen kleinen Pascha als Untergouverneur, der ihm diese Mühe und Ehre abnimmt.

Der einzige Türke in Hedschaz, dem das Leben nicht sauer gemacht wird, ist eben dieser kleine Pascha von Dschedda. Dieser Würdenträger war zur Zeit meiner letzten Anwesenheit in jener Stadt ein gewisser Nuri-Pascha, ein Original, das es sich wohl verlohnt ein Bischen näher zu betrachten, besonders deshalb, weil er einer der letzten Vertreter einer aussterbenden Race ist, nämlich der alten stocktürkischen Beamtenclasse, die in unserer Zeit, wo Alles von der Kultur beleckt wird, immer seltener wird. Er ist eigentlich ein fürchterlicher Barbar, den man anderswo kaum dulden würde, aber nach Arabien, wo man alles Moderne als halbeuropäisch und ketzerisch verdammt, paßt er. Seine Rohheit selbst flößt hier ein gewisses Vertrauen ein, denn je roher ein Türke, desto fanatischer ist er gewöhnlich auch, und der Fanatismus blüht ja in diesem Lande noch mit ungeschwächter Pracht.

Nuri-Pascha ist ein alter Soldat, vom Gemeinen auf vorgerückt. Durch einschmeichelnde Eigenschaften hat er gewiß die Gunst seiner Vorgesetzten nicht errungen. Daß er es überhaupt zum Pascha gebracht hat, ist ein Beweis, daß eine rücksichtslose Haudegennatur und ein starres Stocktürkenthum selbst heutzutage in der Türkei noch geschätzt werden, oder vielmehr vor zwanzig Jahren noch geschätzt wurden, so lange ist es nämlich her, seit er sein Paschathum errungen hat, das wohl stets nur ein „kleines“ bleiben wird; denn für etwas Höheres ist er denn doch ein „ungeschliffener Diamant“. In seinen jüngeren Jahren soll er eine Zeitlang in Albanien fürchterlich gehaust haben, und man erzählt sich haarsträubende Dinge von seiner dortigen Wirksamkeit und munkelt, daß er noch jetzt ganz grauenerregende Andenken aus jener Zeit bewahre. So sagte mir ein alter Dscheddaner, der sich einer gewissen Vertraulichkeit mit dem alten Tiger rühmte, derselbe schlafe auf einer Matratze, die ganz mit Menschenhaaren gefüllt sei und zwar von Menschen, deren Köpfe er alle eigenhändig abgesäbelt habe. Der Dscheddaner sagte dies nicht etwa tadelnd, sondern glaubte das Lob des grimmen Pascha zu singen; waren doch die Geköpften alle Ungläubige gewesen.

Aber manches einseitige Parteilob klingt dem Andersdenkenden wie Verleumdung. So habe auch ich die fürchterliche Matratze zwar gesehen, jedoch nie an die Menschenhaare darin glauben können. Ebensowenig glaubte ich an ein anderes, aus ähnlicher Quelle stammendes Gerücht, wonach die Rosenstöcke im Harem des Pascha statt in Blumentöpfen in Menschenschädeln wüchsen und zwar natürlich auch von Menschen, die er alle selbst geköpft habe. Verweisen wir dies in’s Gebiet der Fabel. Indeß, wenn man den finstern Pascha ansah, so begreift man sehr gut, wie solche Fabeln entstehen konnten. Es war ein altes Janitscharengesicht, mit buschigen weißen Augenbrauen, unter denen ein Paar stechende Augen lauerten und eine Raubvogelnase kühn hervorragte; der Mund war groß und öffnete sich oft in einer Weise, die den Vergleich mit einem Haifisch nahe legte. Jetzt war die ganze Gestalt zwar vom Alter etwas mitgenommen, das heißt abgezehrt und verwittert, aber sie verrieth noch immer große Energie, und ihre schnellen Bewegungen zeugten, daß hier noch Gluth unter der Asche glimmte. Von jener trägen Ruhe und Genußsucht, welche die Paschas von gewöhnlichem Schlag kennzeichnet und die sich in gedunsener Leibesfülle und sinnlichem Gesichtsausdruck offenbart, war hier keine Spur. Leidenschaften herrschten auch hier, aber es waren die Leidenschaften eines tollkühnen Haudegens, eines geborenen Räuberhauptmanns, nicht die eines Genußmenschen.

Zum Diplomaten nach dem Schulbegriff war Nuri-Pascha sichtlich nicht geeignet, denn natürlich fehlte es ihm an aller und jeder Geschmeidigkeit. Aber sonderbar, es war ihm oft geglückt, Unterhandlungen zu günstigem Abschluß zu bringen und zwar hauptsächlich durch eine bei ihm sehr entwickelte, jedoch keineswegs diplomatische Eigenschaft: die Grobheit. Mancher kleine Häuptling, der mit der Pforte unterhandelte, war durch Nuri-Paschas Grobheit zur Annahme von Bedingungen geschreckt worden, die man durch die schönsten Worte nie von ihm erlangt haben würde. Es soll ein höchst ausdrucksvolles Schauspiel geboten haben, einen arabischen Scheich, der doch gewöhnlich in der Grobheit auch das Seinige leistet, in Unterhandlung mit dem grimmen Pascha zu sehen. Anfangs nahmen Beide kaum von einander Notiz, das heißt der Scheich trat lärmend beim Pascha ein, warf sich flegelhaft hin, grüßte aber kaum; der Pascha dagegen drehte ihm den Rücken und that, als sei er gar nicht da. Verlor dann der Scheich die Geduld und fing er an, sich geräuschvoll zu räuspern, um seine Anwesenheit in Erinnerung zu bringen, so drehte sich der Pascha wohl nach ihm um, sah ihn flüchtig an, aber etwa so, wie man einen Hund ansieht, den man zur Thür hinauswerfen will. Nach Erschöpfung der stummen Grobheiten kam es zu den lauten. Der Scheich fing an, sich unverschämte Ausdrücke zu erlauben, wohl in der Meinung, den Türken, den der echte Araber sich immer feig vorstellt, einzuschüchtern; aber hier fand er seinen Mann, der ihm zu antworten verstand. Nun folgte ein Concert von Schimpfworten, arabischen und türkischen, in dem die erstere Sprache vielleicht den Sieg des Wortreichthums, die letztere aber, wenigstens in des Paschas Munde, den der Energie davontrug. Der Araber schaute erstaunt auf. Einen Türken, der so schimpfen konnte, hatte er noch nicht gesehen. Er bekam plötzlich Respect vor ihm und ließ sich soweit einschüchtern, daß er Dinge versprach, die man sonst nie von ihm erlangt hätte. Die Pforte wußte sehr wohl, warum sie gerade diesen Pascha nach Arabien geschickt hatte.

Selbst den Europäern gegenüber erwies sich des Paschas Grobheit manchmal wirksam. So erinnere ich mich eines Falles, wo ein englischer Telegraphenbeamter nach Dschedda kam, um von dort aus einen Anschluß an das unterseeische Kabel des rothen Meeres zu Stande zu bringen. Er stellte höchst vortheilhafte Bedingungen, welche von der Pforte selbst dem Pascha und den Notabeln von Dschedda dringend zur Annahme empfohlen worden waren; überall würde man seinen Plan willkommen geheißen haben, in Dschedda dagegen erregte er allgemeine Entrüstung, denn gerade das, was man dort am allerwenigsten wünschte, war eben der Telegraph. Man wollte keine schnelle Verbindung mit Constantinopel, die ja auch zur Vermittlung von Beschwerden benutzt werden könnte und überhaupt den ganzen üblichen Schlendrian zu stören drohte.

Selbst alle großen Kaufleute waren dagegen, denn der Araber ändert seine Handelsgewohnheiten höchst ungern. Man drang in den Pascha; man bot ihm sogar Geld, daß er den Unglücksmann unverichteter Sache fortschicke. Das Geld nahm er natürlich an und that dann dafür Das, was er auch unbestochen gethan haben würde, denn ihm war der Telegraph noch viel verhaßter, als den Anderen. Da der Telegraphist vom türkischen Ministerium gut empfohlen worden war, so glaubte er wenigstens auf eine höfliche Aufnahme rechnen zu dürfen. Aber da irrte er sich sehr. Der grimme Pascha empfing ihn auf eine Weise, daß ihm alle Lust zu weiteren persönlichen Verhandlungen verging und er die Sache seinem Consul überließ. Dieser Consul erfreute sich ausnahmsweise der Gunst des Pascha, weil er gut türkisch sprach und ihn richtig zu behandeln wußte. In diesem Fall aber setzte er gar nichts durch; der Engländer mußte wirklich seinen Plan aufgeben, und darum hat Dschedda niemals einen Telegraphen bekommen.

Auch ich lernte den alten Stocktürken kennen, und da er mir gegenüber keinen besondern Grund besaß, seiner beliebten Grobheit die Zügel schießen zu lassen, so konnte ich mich eines wenn auch nicht höflichen, so doch erträglichen Empfanges rühmen. Mit der Zeit brachte ich es sogar dahin, daß, wie mir Andere sagten, der Pascha mich durch zuvorkommende Artigkeit auszeichnete. Die Anderen waren freilich nöthig, um mir das zu sagen; denn was man bei diesem Pascha „Artigkeit“ nannte, verdient nach europäischen Begriffen diesen Namen nicht. Nach unserer Ansicht ist es zum Beispiel gar nicht artig, wenn uns ein Vornehmer, dem wir einen Staatsbesuch machen, in Nachthemd und Unterhosen empfängt und nicht von seinem Bette aufsteht,

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