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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

vollkommensten. Er hat ganz besonders durch Aufstellung seines sogenannten „biogenetischen Grundgesetzes“ der Entwicklungslehre einen so festen Boden verliehen, wie es die vergleichende Anatomie und Versteinerungslehre für sich nicht gekonnt hätten. Es beruht dieses Grundgesetz aber darauf, daß ein organisches Wesen während des raschen und kurzen Laufes seiner individuellen Entwickelung (während seines Embryolebens) solche verschiedenartige Formenveränderungen durchläuft (Ontogenie), welche die Vorfahren desselben mit Hülfe der Anpassung und Vererbung ganz langsam seit den ältesten Zeiten (von der Wurzel ihres Stammes an) durchlaufen haben (Phylogenie oder paläontologische Entwickelungsgeschichte der Vorfahren).

Häckel wurde am 16. Februar 1834 zu Potsdam geboren und verlebte seine Jugend bis zum achtzehnten Jahre in Merseburg. Schon von seinem achten Jahre an trieb er unter Anleitung eines Lehrers Botanik, sammelte und bestimmte Pflanzen, legte sich ein Herbarium an und wählte sich zur Lectüre, neben Reisebeschreibungen, Schleiden’s Leben der Pflanze, sowie Humboldt’s Ansichten der Natur. Hierbei weckten in dem jungen Botaniker die schlechten Arten (nach Goethe die charakterlosen oder liederlichen Geschlechter) der Rosen, Disteln, Winden und Brombeeren schon einen Zweifel an der Beständigkeit der Arten. – Er studirte von Ostern 1852 bis Ostern 1857 und zwar zuerst zwei Jahre in Berlin (unter Joh. Müller) und dann drei Jahre in Würzburg, wo er unter Kölliker und Virchow besonders normale und pathologische Anatomie und Physiologie trieb und als Virchow’s Assistent fungirte. Im März 1857 wurde er in Berlin zum Dr. med. promovirt, ging dann auf drei Monate nach Wien und absolvirte das Staatsexamen im Winter 1857 bis 1858 in Berlin, wo er dann seine einjährige Laufbahn als praktischer Arzt (mit Sprechstunde früh von fünf bis sechs Uhr) begann. Da die Praxis weder Anziehendes noch Einnehmendes für Häckel hatte, beschloß er, sich der akademischen Laufbahn zu widmen und als Docent für vergleichende Anatomie zu habilitiren, was er denn auch auf Veranlassung seines Freundes Gegenbauer, welcher der Abstammungslehre in der vergleichenden Anatomie eine der wichtigsten Stützen geschaffen hat, 1861 in Jena that. Vorher unternahm er aber, besonders um die niederen Seethiere kennen zu lernen, mehrere größere Reisen. Schon 1854 war er zu diesem Zwecke mit Joh. Müller in Helgoland und 1856 mit diesem und Kölliker in Nizza. Im Januar 1859 ging er nach Italien und lebte hier in Florenz, Rom, Neapel, Messina. Im Mai 1860 kehrte er über Paris nach Berlin zurück und arbeitete hier sein Prachtwerk über Radiolarien aus.

In Jena wurde Häckel 1862 zum außerordentlichen, 1865 zum ordentlichen Professor der Zoologie und vergleichenden Anatomie ernannt und blieb bis jetzt in Jena, obschon er einen Ruf nach Würzburg (1865), nach Wien (1871) und nach Straßburg (1872) unter sehr günstigen Bedingungen erhalten hat. Als Professor unternahm er naturwissenschaftliche Reisen nach den canarischen Inseln (Winter 1866–1867), Norwegen (1869), nach dem Orient (1873). Die wissenschaftlichen Materialien, die er auf diesen Reisen sammelte, sind in mehreren größeren und kleineren Monographien verarbeitet. Seine Hauptwerke sind: „Die generelle Morphologie der Organismen“ (1860), „Die natürliche Schöpfungsgeschichte“ (4. Aufl. 1873), und neuerlich eine „Monographie über die Kalkschwämme“ (1872). Als das Hauptfeld seiner Thätigkeit, für welches ihm seine speciellen zoologischen Arbeiten nur die Basis liefern sollten, betrachtet Häckel die generelle Zoologie und namentlich die Entwicklungsgeschichte mit Rücksicht auf die von Darwin reformirte Descendenztheorie, wodurch er eben zur Aufstellung des Grundgesetzes der organischen Entwickelung, des sogenannten „biogenetischen Grundgesetzes“ veranlaßt wurde, welches er kurz mit folgenden Worten ausspricht: „Die Ontogenie ist die gedrängte Wiederholung der Phylogenie“ (s. oben). Von Häckel’s natürlicher Schöpfungsgeschichte sagt Darwin: „Wäre dieses Werk erschienen, ehe meine Arbeit, die Abstammung des Menschen, niedergeschrieben war, so würde ich sie wahrscheinlich nie zu Ende geführt haben; fast alle die Folgerungen, zu denen ich gekommen bin, sind durch diesen Forscher bestätigt, dessen Kenntnisse in vielen Punkten viel reicher sind als meine.“ Dieser, Häckel wie Darwin gleich ehrende Ausspruch Darwin’s dürfte wohl für die von Häckel mit großem Scharfsinn und vielseitiger Gelehrsamkeit aufgestellten Stammbäume und gegen den Häckel ganz voreilig gemachten Vorwurf, daß er darwinistischer als Darwin selbst sei, zeugen.

Neuerlichst ist auch in Frankreich von den Häckel’schen Arbeiten durch Leon A. Dumont (in „Haeckel et la Theorie de l’Evolution en Allemagne“) Notiz genommen worden.

Bock.     

 Die gewonnene Schlacht.
 Von Ludwig Storch.[1]

Emmerich, der Ungarkönig, und sein Bruder Andreas
Sind in bösen Zwist gerathen. Liebe kehrte sich in Haß.
„Ha! so wagt es dieser Knabe gegen mich sich zu empören,
Wider seinen Herrn und Bruder sich mit Buben zu verschwören!“ –

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Doch des Prinzen eitle Jugend leiht der Schmeichelei das Ohr,

Und bald schlägt des Aufruhrs Flamme in Pannonien empor.
Bald auch glückt es dem Rebellen kühne Schaaren anzuwerben,
Und sein ungezähmter Hochmuth strebt den König zu verderben.

Emm’rich führt mit Seelenschmerzen gegen ihn die Heeresmacht,

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Und sie stehn sich gegenüber; bald entscheiden soll die Schlacht.

Plötzlich tritt aus seinem Lager in des Feindes wilde Banden
König Emm’rich ohne Waffen, nur mit seinem Stab zu Handen.

Mit erhobnem Haupte schreitet stolz der Fürst voll Heldenmuth.
„Welcher Krieger wagt’s, zu färben sich mit königlichem Blut?“

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Starr sind Alle vor Erstaunen; wie gefesselt stehn die Schaaren,

Und des Königs hohe Würde hat fürwahr nichts zu befahren.

Zum Gezelt des jungen Prinzen hat Herr Emm’rich sich gewandt,
Den erschrockenen Rebellen nimmt er freundlich bei der Hand.
„Komm’ im Namen unsrer Mutter! Laß von meiner Hand Dich leiten

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Dahin, wo es beizulegen ziemt den Bruderzwist uns Beiden.“


Und so führt er ihn hinüber in sein eigenes Gezelt,
Wo er weinend ihn umschlungen an dem Bruderherzen hält.
„Sieh, die Schlacht ist schon gewonnen!“ Es zerstreuen sich die Heere,
Und kein Blut befleckt die Erde und die hohe Fürstenehre.

Anmerkungen

  1. Ludwig Storch, der einst als „Thüringer Edeltanne“ unsern Lesern bekannt und lieb gewordene Dichter und Erzähler, welcher im April dieses Jahres seinen siebenzigsten Geburtstag auf schwerem Krankenlager gefeiert hat, tritt nun als weißbärtiger Barde noch einmal vor seinem lieben deutschen Volke auf. Der Schatz seiner „Balladen und Romanzen“ ist soeben im Druck erschienen und verdient nach Inhalt und Ausstattung eine um so wärmere Empfehlung, als in so hohem Alter die Herausgabe eines abgeschlossenen Werkes, das noch von solcher Geistesfrische zeugt, gewiß zu den literarischen Seltenheiten gehört.
    D. Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 713. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_713.JPG&oldid=- (Version vom 2.9.2018)