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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

führte Ernst Herrn Impach im Hause umher, damit er ein passendes Zimmer zur Aufnahme wähle. So kamen wir auch in die Galerie, wo der Musensohn in Ekstase gerieth über unsere Sammlung von alten Meisterwerken. Unsere Rembrandts nannte er „unschätzbar“. Du weißt, wie Ernst an seinen Bildern hängt, kannst Dir also denken, daß sich der junge Mann, ohne es zu wissen, durch die Freude, die er bewies, überaus bei ihm in Gunst stellte.

Ich mußte nun noch das Kleid zeigen, auf das der Künstler einen Blick warf und es gnädig gut hieß, worauf er sich mit dem Versprechen entfernte, den nächsten Tag zur Stunde, die ihm Ernst feststellte, wiederzukehren. Als wir allein waren, mein Bruder und ich, sprachen wir noch eine kleine Weile von ihm. Ernst meinte, der junge Mann sei viel zu bescheiden für einen Künstler, der sich sonst als Jedermanns Gleichen betrachtet, und hätte er nicht sein Bild gesehen, so müßte er glauben, einen Anfänger vor sich zu haben. Ich konnte meinen Bruder hierin nicht verstehen; denn daß der Maler zum ersten Mal ein Haus, wie unseres, betrat, war offenbar. Mußte ihm das nicht ein wenig imponiren, zudem die Haltung Ernst’s niemals ihre Wirkung verfehlt? –

Heute Morgen war nun die erste Sitzung. Als ich das Atelier betrat – so tauften wir das Erkerzimmerchen, welches sich Herr Impach zum Felde seiner Thätigkeit auserwählt – war Alles bereit; es roch auch schon bedeutend nach Terpentin, worüber ich mich kaum enthalten konnte, die Nase zu rümpfen. Wie mich Herr Impach eintreten sah, im weißen Schneewittchenkleide, fuhr er von seinem Sitze auf, und blieb, mich anstarrend, eine Weile stehen. Kein Gruß, keine Verbeugung – das Alles kam hinterher. Ich setzte mich; doch jetzt begann erst recht die Verlegenheit. Schon nach einigen Strichen erklärte er mir, daß meine Coiffure zum Anzuge unpassend sei. Wie das? – Ich ließ einen Spiegel bringen und zerstörte Fanny’s schönes Werk. Doch es diesem Sohn der Kunst recht zu machen, wäre unmöglich gewesen. Schließlich rief ich ungeduldig aus: „Ei, so ordnen Sie das Haar selbst!“

Als ich jedoch der fremden Finger gedachte, die mich zum ersten Male berühren sollten, reute mich mein Ausruf. Geschehen war er indessen und Hedwig mußte dabei beharren. Ich fühlte, wie zwei stark zitternde Hände mein Haupt kaum berührten; dann, indem er wieder zu seiner Staffelei ging, erklärte Herr Impach, daß es ihm unmöglich sei, bei mir die gewünschte Anordnung zu treffen. Das klang sehr unhöflich, und doch lag etwas im Tone, das mich davon abhielt, böse zu werden. Lachend rief ich Fanny, und mit dieser verständigte er sich alsbald, indem er ihr am Ende der Leinwand flüchtig eine Skizze hinzeichnete, nach der sie mein Haar ordnete. Noch ehe sie entlassen, war der Künstler an seinem Werke.

Ich hatte mich gefreut, daß ich beim Malen nicht durch langweilige Gespräche unangenehm berührt werden sollte, und doch war ich es, die zuerst das Wort ergriff und den Stillschweigenden zum Sprechen herausforderte. Ich wußte nicht, was ich eigentlich sagen wollte, ich fühlte nur, daß mein Stillschweigen hochmüthig war einem so bescheidenen Menschen gegenüber, daß ich es unterbrechen mußte. Ich frag ihn, welches Bild ihn in unserer Galerie am meisten frappirt hätte.

„Das kann ich erst bei einer zweiten Betrachtung entscheiden; um die Erlaubniß hierzu wollte ich ohnehin noch heute bitten.“

„Die Galerie steht Ihnen natürlich offen, wann Sie wollen. Sehen Sie sich auch das Bild an, welches mein Liebling ist: das weinende Mädchen in der Ecke des Hauptsaales. Es ist ein Meisterstück.“

„Ich habe es gestern bemerkt; es ist schön, aber doch nicht aus einer Zeit, wo gute Sachen gemalt wurden – ein geziertes französisches Bild.“

Natürlich war mir diese sehr zweideutige Antwort nicht recht. Wieder trat Schweigen ein, bis er mich bat, die Augen, welche ich beim Nachdenken halb geschlossen hatte, wieder zu öffnen. Für diese Unaufmerksamkeit war ich ihm etwas Höfliches schuldig. Ich frug ihn, ob er stets nur Portraits male.

„Im Gegentheil – dies ist mein erstes Portrait.“

„Und jenes andere Schneewittchen?“

„Ein Phantasiebild!“

Sonderbar, bei der Höflichkeit meines Bruders, bei meiner eigenen Liebenswürdigkeit wird dieser Mensch zaghaft, befangen. Spricht man zu ihm, wie sich gehört, so sagt er ganz kühl seine Meinung, auf eine Art, als sei auch kein Titelchen mehr daran zu ändern, auch nicht wenn ich mir die Mühe geben wollte, ihn zu anderer Ueberzeugung zu bringen. Ich hatte schon so etwas bei der ersten entschiedenen Weigerung in der Kunstausstellung an ihm bemerkt.

Als er mir jetzt auszuruhen empfahl, forderte ich ihn auf, mit mir in unsere Galerie zu gehen, um uns dort am Anblicke alter Kunstwerke zu erholen. Unsere Schritte lenkten bald in den Rembrandt-Saal ein; Herr Impach wurde nicht müde, ihn zu preisen. Er bat mich, eines der Bilder ganz in der Nähe anzusehen, machte mich auf die schrecklich grobe, hingeworfene Arbeit aufmerksam, die dem Farbenspiel einer benutzten Palette glich. Ich mußte nun in die richtige Entfernung treten, und siehe da! jeder grobe Pinselstrich, jeder Farbenfleck nahm Leben und Bedeutung an. Kein Farbenkörnchen zu viel, Alles Harmonie, Alles Schönheit; ich hatte das nie so bemerkt und glaube auch jetzt noch, daß nur Herrn Impach’s enthusiastische Erläuterungen mich so viel Schönes im Bilde sehen ließen. Meine eigenen Augen hätten mir das niemals gezeigt. Wäre nur Ernst dabei gewesen, der hätte sich noch ganz anders gefreut.

Ich trat jetzt in die Mitte des Saales, wo, wie Du weißt, eine sehr schöne Copie des vom Delphin getragenen Kindes, der vermeintlichen einzigen Bildhauerarbeit Raphael Sanzio’s, steht. Meine Hand auf die marmorne Stirn des Knaben legend, sprach ich, zu Herrn Impach aufschauend:

„Ich habe mit Ihnen Rembrandt bewundert, doch hier zolle ich meine Verehrung. Ach, Ihre Kunst ist doch nur Stümperei gegen das Leben, welches hier athmet!“ – Ich hatte geglaubt, einen recht weisen Satz gesprochen zu haben, trug ihn auch mit großem Selbstbewußtsein vor. Du hättest des jungen Künstlers erstaunten Blick sehen sollen!

Erst nach einer Pause, und durch mein fragendes Gesicht zum Antworten gezwungen, sprach er: „Soll ich verstehen, daß Sie Malerei und Bildhauerei mit einander vergleichen wollen, ja diese auf eine höhere Stufe stellen als jene? Das kann unmöglich Ihr Ernst sein. Ihr natürlicher Geschmack, Ihr Kunstgefühl kann Sie nicht so in die Irre führen. Vielleicht, daß irgend ein Liebling Sie zur Verallgemeinerung verleitete, wie denn dieser Knabe ein sehr schönes Kunstwerk ist, obgleich ich nicht glaube, daß Raphael jemals Hand an ihn gelegt.“ – Eine kurze Pause entstand, in der er sich zu sammeln schien, dann begann er wieder: „Ich fühle mich nicht dazu berufen, Sie von Ihrer Meinung abzubringen, glaube jedoch, Ihnen eines großen Künstlers Worte nicht vorenthalten zu dürfen, der wohl competent sein dürfte, da er beide Künste mit gleicher Vollkommenheit betrieb. Michel Angelo hat einem Schüler, der ihn befrug, welche Kunst die würdigere, Malerei oder Bildhauerei, geantwortet: Nimm Lehm und bilde daraus eine Kugel, und Du hast den ersten Schritt zum Bildhauer gethan; bringe nun dieselbe Kugel auf Leinwand mit Farben hervor, und Du bist noch lange kein Maler!“

Ich stand ein wenig erstaunt da; das schien so unwiderleglich, und dennoch wollte ich mich nicht sogleich fügen. „Aber in der Statue haben Sie das Leben, im Bilde kaum einen Schein davon,“ wagte ich zu sagen. – „Wenn der Schein das darstellt, was die runde Wirklichkeit nicht hervorbringt, und noch die Farbe dazu, so muß doch hier größere Kunst liegen, als im einfachen Nachbilden der Formen aus einem Stoff, der schon an sich dem Fleische gleicht. Man darf nicht vergessen, daß unsre modernen Bildhauer nicht mehr das Bild in den Stein hauen, sondern so lange den Lehm bearbeiten, bis er die gewünschte Gestalt annimmt, und der Lehm ist geduldig.“ Noch immer wollte ich antworten; mich so von einem Fremden, der noch dazu als Interessirter sprach, überzeugen zu lassen, war hart. „Ich kann eine Leinwand nicht so lieb haben wie ein Steinbild. Diesem Knaben die Stirn zu berühren, die runden Arme zu umfassen, das läßt mich das Kunstwerk erst recht genießen – die Bildhauerei ist vierseitiger.“

„Das Heiligste ist nicht für die Berührung,“ sprach der Maler mit sonderbar bewegter Stimme, „zum Schönsten sehen wir nur empor. – Was aber die Vielseitigkeit betrifft, so haben Sie nicht bedacht, daß dem Pinsel die ganze Welt zu Gebot

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