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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Eintritte des bereits berühmten Publicisten entgegengesehen hatte. Aber allmählich eroberte sich der kleine unscheinbare Mann mit dem durchaus nicht dialectfreien, aber kräftigen und durchdringend deutlichen Organe durch seine Arbeitskraft, durch sein Staunen erregendes Wissen und den sittlichen Ernst, den er den parlamentarischen Arbeiten entgegentrug, die Anerkennung, ja die Liebe seiner Parteigenossen und schließlich auch die Achtung seiner Gegner. Wir haben selbst aus Waldeck’s Munde die wärmsten Zeugnisse für die große Begabung, für die seltene Tüchtigkeit des neuen Fortschrittsmannes vernommen. In dem letzten Jahre des Conflict’s konnte indeß Lasker’s eigenthümliche, hervorragende Begabung neben Waldeck, Overbeck, Twesten, Forckenbeck, Virchow sich nicht mehr in dem hohen Grade geltend machen, wie es unzweifelhaft der Fall gewesen wäre, wenn er seit Bildung der deutschen Fortschrittspartei derselben angehört hätte. Gleichwohl trat er bei verschiedenen Gelegenheiten bereits damals hervor und entwickelte eine immer größere Redegewandtheit, die sich fern von allem Phrasenschwalle hielt und stets mit logischer Schärfe in den Kern der Sache einzudringen suchte. Erst mit der Begründung der nationalliberalen Partei, an welcher Lasker sicherlich in der vollen Ueberzeugung, seinem Vaterlande auf diese Weise am besten nützen zu können, einen großen Antheil nahm, begann der ruhmvollste Theil seiner politischen Laufbahn. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn wir constatiren, daß seit der Beilegung des großen Conflicts im Jahre 1866 kaum ein Gesetz für die preußische Monarchie, den norddeutschen Bund und das deutsche Reich zu Stande gekommen ist, das nicht in hervorragender Weise den Stempel des Lasker’schen Geistes trägt. Erst bei der Berathung der Verfassung des norddeutschen Bundes setzte sich Lasker in einen scharfen Gegensatz zur Fraction der Fortschrittspartei, indem er zunächst die Verfassung unter allen Umständen hergestellt wissen wollte, wenn dieselbe auch nicht seinen eigenen Ansprüchen auf Centralisation der Reichsgewalt und Reichsgesetzgebung entsprach und noch weniger in Bezug auf die constitutionellen Garantien und die Rechte der Reichsbürger. Er gab sich der Hoffnung hin, daß, wenn erst die Verfassung in’s Leben getreten sein würde, es der deutschen Nation nicht schwer fallen könne, das ihr gebührende Maß von Freiheitsrechten zu erlangen, und daß innerhalb der beschlossenen Formen eine Entwicklung der Verfassung keinen Schwierigkeiten begegnen würde. Es ist bekannt, daß diese Haltung den Vertreter des ersten Berliner Wahlbezirks im constituirenden Reichstage um das Vertrauen seiner Berliner Wähler brachte, die in ihrer großen Majorität noch heute mit den Gesichtspunkten einverstanden sind, welche Waldeck und seine fortschrittlichen Freunde veranlaßt haben, gegen den norddeutschen Verfassungsentwurf zu stimmen.

Auf der Höhe seiner parlamentarischen Laufbahn angelangt, tief eingreifend und mitentscheidend bei der Gesetzgebung für sein Volk, einflußreich im Rathe der Nation, blieb Lasker noch immer der unbesoldete Gerichtsassessor, bis endlich im Jahre 1870, nach endlicher Beseitigung eines unfähigen Justizministers, ihm eine Rechtsanwaltstelle am Berliner Stadtgericht zu Theil geworden ist, die er indeß bis zu diesem Augenblick niemals zu einer Quelle des Erwerbes gemacht hat. Erst nach dem Tode Twesten’s trat er in das Pfandbriefamt der Berliner Stadtgemeinde ein, dessen definitive Uebertragung mit einem einigermaßen nennenswerthen Gehalte auch erst in diesem Jahre erfolgt ist. Lasker’s Bedürfnißlosigkeit, die durchaus fern ist von ascetischer Enthaltsamkeit, setzte ihn in den Stand, seine äußere und innere Unabhängigkeit mit der größten Gewissenhaftigkeit aufrechtzuerhalten und den mannigfaltigsten Verlockungen, die sowohl seitens der Staatsverwaltung als auch von einflußreichen Privatmännern an ihn herangetreten sind, zu widerstehen.

Es wäre ihm vielleicht nicht minder leicht geworden, als Herrn von Bennigsen, ein einflußreiches Staatsamt zu erlangen, oder als Herrn Miquél, ein mehr als fürstliches Einkommen sich zu verschaffen, aber gerade die Integrität seines Charakters, die ihn vor solchen Versuchungen beschützte, stellt ihn hoch in den Augen der Nation. Nur ein Mann von Lasker’s Charakter war im Stande, jene Eiterbeule der Corruption aufzustechen, welche in Folge des Gründungsschwindels und des Milliardensegens auch in unserem Vaterlande zu wuchern begann und bereits die Spitzen des Beamtenthums angefressen hatte. Wenn die Ergebnisse der auf königlichen Specialbefehl angeordneten Untersuchung über die preußische Eisenbahnverwaltung erst veröffentlicht sein werden, dann erst werden die Verdienste, die Lasker sich um die Sittlichkeit und den öffentlichen Verkehr erworben hat, noch leuchtender hervortreten.

Aber Lasker’s Auftreten gegen den Gründungsschwindel im preußischen Abgeordnetenhause und im deutschen Reichstage ist, wenn auch sein hervorstechendstes Verdienst, das die Blicke von fast ganz Europa auf den kleinen jüdischen Abgeordneten lenkte, doch keineswegs der Gesammtinhalt oder auch nur der Gipfel seiner parlamentarischen Thätigkeit. Wie er im constituirenden Reichstage mit unablässigem Bemühen für die freisinnige Gestaltung der Bundesverfassung gewirkt hatte, so kämpfte er in den späteren Reichstagen des norddeutschen Bundes und deutschen Reichstages mit unerschrockenem Muthe für den freiheitlichen Ausbau der Reichsverfassung. Seine Anstrengungen um die Herbeiführung eines einheitlichen Rechts für das deutsche Reich, sein Einfluß auf eine rationelle Entwickelung der Gewerbegesetzgebung sind anerkannt, aber auch aus seiner offenen und ehrlichen Ueberzeugung machte er niemals ein Hehl, welche die Einheit Deutschlands auf die Freiheit gegründet wissen, welche den Rechtsstaat überall verwirklicht wissen wollte. Unvergessen ist seine consequente Haltung in der Diätenfrage, durch deren endliche Lösung eine gesunde Entwickelung der Reichsverfassung bedingt ist, seine auf endliche Herstellung eines der Controle der Volksvertretung unterworfenen Militär-Etats gerichteten Bestrebungen, die nicht sowohl die Schwächung der deutschen Wehrkraft, als vielmehr die Schonung der durch die unselige Pauschquantumswirthschaft geschädigten wirthschaftlichen Kräfte der Nation bezweckten. Noch in Aller Erinnerung steht die scharfe Logik, die unwiderlegliche Kraft der Beredsamkeit, mit welcher er in der letzten Reichstagssession den Grundsatz der Gleichberechtigung zwischen Militär- und Civilbeamten bei der Berathung über das Gesetz wegen der Wohnungsgeldzuschüsse vertrat. Diesem Grundsatze der gleichen Rechte und gleichen Pflichten verhalf der jederzeit unermüdliche und vorbereitete parlamentarische Streiter auch im preußischen Abgeordnetenhause bei Berathung der Kreisordnung in nicht unwichtigen Punkten zum Siege. Wenn Lasker’s redliche Bemühungen um das Zustandekommen einer freisinnigen Gesetzgebung, für den freiheitlichen Ausbau der Reichsverfassung nicht immer den gewünschten Erfolg haben, so trägt wesentlich der Umstand die Schuld, daß die zahlreiche nationalliberale Fraction, deren begabtester und zugleich redlichster Führer er ist, nur zum geringsten Theile aus Männern besteht, welche die große Aufgabe eines preußischen und deutschen Volksvertreters mit derselben sittlichen Kraft erfaßt haben, wie Eduard Lasker.

Wir haben schon hervorgehoben, daß die ungetheilte Anerkennung aller vaterlands- und freiheitliebenden Männer dem selbstlosen, eingreifenden Wirken Lasker’s in den Parlamenten zu Theil geworden ist; wir fügen hinzu, daß in den letzten Wochen Lasker seitens der Universität Leipzig auch eine äußere Auszeichnung erhalten hat, indem ihn die dortige juristische Facultät wegen seiner Verdienste um die deutsche Rechtseinheit zum Ehrendoctor creirte, eine Auszeichnung, mit der zu gleicher Zeit der verdienstvolle Präsident des Reichskanzleramts Delbrück beglückt geworden ist. Noch sind leider trotz aller Fortschritte unserer gerühmten Civilisation und Aufklärung die Vorurtheile im gesellschaftlichen und staatlichen Leben Deutschlands nicht so weit beseitigt, daß Aussicht vorhanden wäre, eine so reich und allseitig gebildete Kraft für ein höheres Staatsamt zu gewinnen, wo sie zur vollen Entfaltung ihrer segensreichen Thätigkeit die meiste Gelegenheit haben würde. Freuen wir uns indeß, daß ein so rastloser, muthiger Arbeiter für constitutionelles Recht und Freiheit dem deutschen Vaterlande in Eduard Lasker erwachsen ist, der sich nicht scheut, unter Umständen selbst dem gefürchteten Kanzler des deutschen Reichs entgegenzutreten und selbst ihm gegenüber die Bedeutung der Volksrechte mit Nachdruck zu betonen, welche leider nicht immer von allen Volksvertretern in gleicher Weise hochgehalten werden.

Indem wir in vorstehenden Zeilen eine Würdigung des Politikers und Staatsmannes versuchten, haben wir zugleich angedeutet, daß sein parlamentarischer Ruhm durchaus abhängig gewesen ist von seiner geistigen und humanen Entwicklung. Späteren Zeitgenossen oder vielleicht erst den Nachkommen wird

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_553.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)