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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Das lebhaftere Interesse an den öffentlichen Angelegenheiten, welches mit dem Eintritt der Regentschaft wieder erwachte, hat auch offenbar den jungen Assessor Lasker ebenso wie seinen damaligen Collegen, den leider früh verstorbenen Eduard Fischel, veranlaßt, den politischen Vorgängen und namentlich der parlamentarischen Entwickelung besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, und er mag wohl schon damals in publicistischen Arbeiten seine Ansichten ausgesprochen haben. Oeffentlich wurde sein Name zum ersten Male genannt, als er Mitarbeiter an den von Dr. Oppenheim herausgegebenen „Jahrbüchern für Politik und Literatur“ wurde. In dem ersten uns bekannten Aufsatze, der aus Lasker’s Feder stammt (aus dem Jahre 1861), „Polizeigewalt und Rechtsschutz in Preußen“ tritt Lasker bereits mit umfassenden Kenntnissen des öffentlichen Rechts in Preußen und zugleich der politischen Verhältnisse und der Stellung der Parteien zu einander hervor.

Als energischer Vertheidiger des Rechtsstaats bekämpft er mit sittlichem Ernste und eindringlicher Logik die willkürlichen Eingriffe der Bureaukratie in die Rechtspflege, wie sie durch das Gesetz vom 11. Mai 1842, „dieses Grundgesetz des Polizeistaats“, dessen leitender Gedanke darin besteht, daß Beschwerden über polizeiliche Verfügungen jeder Art lediglich vor die vorgesetzte Dienstbehörde gehören, sanctionirt worden sind. Man wird schon damals den ernsten Mann des Fortschritts nicht verkannt haben, den treuen und eifrigen Freund des Vaterlandes, wenn er sagt: „England ist ein mächtiges Land geworden, nicht wegen seiner insularen Lage, nicht wegen seiner Handelsverbindungen, nicht trotz seiner Rechtsherrschaft, sondern durch diese. Die Rechtsherrschaft hat ihm die wahre Freiheit gegeben, denn ohne Sicherheit neben ungestrafter Willkür giebt es keine wahre Freiheit. Die Freiheit hat jedem Bürger Englands jenes hohe Selbstbewußtsein gebracht, um welches der einsichtige Bürger des Continents ihn mehr beneidet, als um den Reichthum und die vielen anderen Vorzüge seiner Nation. Das Selbstbewußtsein aber ist die Quelle seiner Thatkraft und seines Wohlstandes, seiner lebendigen Theilnahme am Staatsleben, seiner Opferwilligkeit, Mäßigung, der Kraft des Staats und der innern unerschütterlichen Ordnung.“

Der spätere Parteiführer, der mit Zähigkeit an seinen Grundsätzen festhält, immer im Hinblick auf das Wohl des Vaterlandes seine Ideen verwirklicht sehen will, kennzeichnet sich aber in folgenden Schlußworten der Aufsehen erregenden Abhandlung: „Deutschland braucht England nicht zu beneiden, es kann ihm nachstreben; es braucht nur desselben Wegs zu wandeln, und es wird zu demselben Ziele gelangen. Friedrich der Zweite hatte kaum die äußere Macht Preußens consolidirt, und er begriff diesen Theil seiner Aufgabe. Auf seine Anregung wendete sich der Staat der Rechtspflege zu, und die preußischen Gesetzgeber fingen an, unter der Rechtsherrschaft die Kraftentfaltung zu suchen. Diesem bewußten Streben sind die Gesetzbücher entsprungen. Dieser Geist beherrschte trotz mannigfacher Schwankungen die Geschichte Preußens bis zu der unglücklichen Periode der zwanziger Jahre, ihm verdankt Deutschland seine Regeneration. Daran muß das heutige Preußen anknüpfen, und das übrige Deutschland wird ihm folgen. Auch das gehört zu den Aufgaben Preußens in Deutschland.“

Man wird zugeben, daß in den scharfen und festumschriebenen Anschauungen dieser Abhandlung die Grundlagen des auf Volksfreiheit gegründeten Rechtsstaats in jener prägnanten Weise niedergelegt sind, wie sie bisher nur mit gleicher Schärfe und nur noch mit viel größerem Pathos der Vater der preußischen Demokratie, der verewigte Waldeck, offenbart hatte. Diese und ähnliche Aufsätze über Verfassungsrecht lenkten die öffentliche Aufmerksamkeit immer mehr auf den jungen unbesoldeten Assessor, der sich bald darauf in den Berliner Verein der Presse, in den großen Berliner Handwerkerverein aufnehmen ließ, wo er noch gegenwärtig in der wohlthätigsten Weise wirkt, und in Bezirksvereinen öffentliche Vorträge hält. Während seine staatsrechtlichen Abhandlungen, seine öffentlichen Vorträge die politische Begabung Lasker’s in immer höherem Grade hervortreten ließen, war doch der seltne Umfang seines Wissens, seine Charakterfestigkeit und Sittenreinheit nur seinen nächsten Freunden bekannt, sowie die seltne Uneigennützigkeit, die ihn jeden Erwerb verschmähen ließ, der nicht auf die ehrenwerthesten Quellen zurückgeführt werden konnte.

Aber nicht blos die staatsrechtlichen Studien und die öffentlichen Angelegenheiten erfüllten Lasker’s Herz und Sinn, wenn er ihnen auch sein ernstestes, hauptsächliches Streben zuwendete; auch mit Geschichtsstudien beschäftigte er sich, und die Geisteswerke der berühmten Dichter der deutschen Nation gewährten ihm eine reichliche Quelle der reinsten Genüsse, wie denn seine Mußestunden nicht selten dem Anhören großartiger Tondichtungen gewidmet sind. Noch während Lasker gewissermaßen mit den theoretischen Vorarbeiten auf seine epochemachende Laufbahn als Parlamentarier beschäftigt war, während er die undankbare Arbeit eines unbesoldeten preußischen Assessors mit unermüdlichem Fleiße und nie versiechendem Frohsinn abwickelte, wobei er durch juristische Gutachten, durch publicistische Arbeiten die ihm vom Staat versagten Mittel für seinen Unterhalt zu erwerben suchte, war es seine auch heute noch beibehaltene Gewohnheit, in den Bergen der Schweiz durch rüstige Fußwanderungen jene Erholung zu suchen, welche Körper und Geist stets frisch zu erhalten vermag und die Grundlage seiner unerschütterlichen Gesundheit geworden ist. Mit der wachsenden Anerkennung verlor indeß Lasker keineswegs seine liebenswürdige Bescheidenheit, welche ihm die Freundschaft der besten Männer verschaffen sollte, und weder Aussicht auf Beförderung noch auf Vermehrung seines Einkommens waren im Stande, ihn von der Erfüllung der Aufgaben abzuhalten, die er sich vorgezeichnet hatte, oder ihn von den einmal angenommenen einfachen Gewohnheiten des Lebens abweichen zu lassen. Jahrelang wohnte Lasker im dritten Stockwerk bei denselben schlichten Wirthsleuten und ist mit diesen, die den stillen arbeitsamen Miethsmann, der besonders die Kinder sehr lieb hatte und dies jederzeit in Ernst und Freude bewährte, sehr liebgewonnen hatten, weiter gezogen, als die Umstände sie nöthigten, eine andere Wohnung zu miethen. So war der Mann beschaffen, der wie wenige vor ihm und nach ihm eine Zierde der preußischen und später der deutschen Volksvertretung werden sollte. Bekanntlich hatte sich in jenen Jahren, in welche Lasker’s erstes publicistisches Auftreten fiel, zwischen der preußischen Regierung und dem Abgeordnetenhause aus Anlaß der von der Regierung eigenmächtig durchgeführten Armeereorganisation ein Conflict entwickelt, welcher durch die verfassungswidrige Behandlung des Budgetrechts nach der Uebernahme des Ministeriums durch Herrn von Bismarck-Schönhausen eine ungewöhnliche Schärfe erhielt.

Lasker’s publicistische Arbeiten in den „deutschen Jahrbüchern“ behandelten vorzugsweise die Fragen des Budgetrechts und der preußischen Verwaltung und zeugten von so überraschenden staatsrechtlichen Kenntnissen, von so gründlicher Gelehrsamkeit, daß die damals den Ausschlag gebende Fraction der Fortschrittspartei den Wunsch hegen mußte, eine so hervorragende noch jugendliche Kraft für die parlamentarische Thätigkeit zu gewinnen, welche selbst der schlagfertigen Dialektik des nicht immer zuverlässigen Gneist auf staatsrechtlichem Gebiete gewachsen war. Es war indeß selbst in der Conflictszeit, wo der Einfluß der Fortschrittspartei auf die einzelnen Wahlkörper sehr weitreichend war, immerhin ungemein schwierig, Lasker einen Sitz in der Volksvertretung zu verschaffen. So freisinnig die Wählerschaften in Preußen sich auch geberdeten, so bewährten sie doch größtentheils den alten Ausspruch Lessing’s: „Es ist nicht Jeder frei, der seiner Ketten spottet.“ Es wäre geradezu unmöglich gewesen, in einem ländlichen Kreise Lasker durchzubringen, und so mußte schon der Versuch gemacht werden, in Berlin selbst dem jüdischen Assessor zu einem Mandat zu verhelfen. Wiederholt mißlang indeß dieser Versuch, da selbst die gebildete Wählerschaft des ersten Wahlbezirks der Hauptstadt der Intelligenz sich nicht auf die Höhe der Aufklärung emporschwingen konnte, den „Juden“ Lasker zum Abgeordneten zu wählen. Erst im März 1865, als Professor Temme aus Zürich sein Mandat für den vierten Wahlbezirk niederlegte, gelang es ihm, einen Sitz in der Volksvertretung zu erhalten.

Sein erstes Auftreten im preußischen Abgeordnetenhause, am 27. März 1865, fiel in eine späte Nachmittagsstunde und seine vor einem ermüdeten Hause gehaltene Jungfernrede, der wir selbst beiwohnten, machte fast eine komische Wirkung, die durchaus nicht den Erwartungen entsprach, mit denen man dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_552.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)