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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Aus dem Jesuitenorden.
Nach eigenen, im Orden gemachten Erfahrungen erzählt von einem Exjesuiten.
II.


Zu den wichtigsten Principien des Jesuitenordens gehören die drei Gelübde der Keuschheit, der Armuth und des Gehorsams, die nach zweijährigem Noviciat abgelegt werden.

Der Bewahrung der Keuschheit gilt die strenge Regel, daß Keiner einen Anderen, nicht einmal im Scherz, anrühren soll. Wegen dieser Regel habe ich, so lange ich im Kloster war, Niemandem zur Begrüßung die Hand gereicht.

Die Armuth ist so zu verstehen, daß die Mitglieder kein Besitz- oder freies Verfügungsrecht über irgend eine Sache haben; es ist dies jedoch mehr eine Abhängigkeit, eine neue Art von Gehorsam, als wirkliche Armuth, denn das Leben im Kloster ist durchaus nicht schlecht, sondern besser, als bei so manchen bürgerlichen und adeligen Familien. Täglich wurden zu Mittag zwei, zu Abend eine Fleischsspeise gegessen; an Festtagen, deren es im Orden vierzig bis fünfzig giebt, aß man sechs, oft acht, auch zehn Gänge. Ich muß gestehen, daß, wenn ich im Ordenskleide bei den armen Bauern unserer Parochie vorbeiging, ich mich meiner sogenannten Armuth wegen sehr schämte.

Der Gehorsam gilt als die höchste Tugend, die alle anderen Tugenden erzeugt und in sich schließt. In der kurzen Zusammenfassung der Ordensprincipien (summarium constitutionum) verlangt Ignatius dem Obern gegenüber denselben Gehorsam wie gegen Gott, ohne Murren, ohne Zaudern, ohne Rückhalt. So wie ein Leichnam, heißt es hier, ohne Widerstand zu leisten, sich auf jede Seite hinwenden läßt, und wie der Stab des Greises von diesem nach Belieben regiert wird, so soll auch der Jesuit nicht seinen eigenen Willen haben, sondern blind dem des Obern unterthan sein. So lehrt es der Brief des Ignatius „über den Gehorsam“ an die Brüder in Portugal 1553. Er ist officiell, gilt als integrirender Theil der Regeln, steht als solcher in der kleinen Regelausgabe, die jedem Mitgliede gegeben wird, wird allmonatlich bei Tisch vorgelesen und muß im Noviciat auswendig gelernt werden.

Dieser blinde Gehorsam begreift in sich drei Stufen der Vollkommenheit, nämlich den Gehorsam der That, den des Willens und den des Verstandes. Der Gehorsam der That ist schon der höchste Grad der Selbstverleugnung, und besteht in der pünktlichen, sofortigen Ausführung des Befohlenen, so daß sogar selbst der angefangene Buchstabe unvollendet gelassen werden soll, wenn die Stimme des Vorgesetzten oder die Glocke zu einer andern Beschäftigung ruft; er genügt aber noch nicht und verdient nicht einmal den Namen einer Tugend, wenn der Gehorsam des Willens nicht dazu kommt, daß man nämlich nicht gezwungen und aus menschlichen Rücksichten, sondern mit freudigem Herzen und aus Liebe zu Gott gehorche und sogar dem Befehle zuvorkomme, indem man auch einen, wenn auch noch nicht ausgesprochenen, sondern nur geahnten Wunsch ausführt, als wäre er Befehl. Der Gehorsam des Verstandes erheischt, daß man im befehlenden Vorgesetzten Gottes Weisheit anerkenne, wenn er auch anscheinend Zweckloses und Thörichtes gebieten sollte; in letzterm Falle ist der Gehorsam sogar bei Weitem verdienstvoller, als wenn man das ausführt, was von einem weisen Manne aufgetragen wird und dessen Zweckmäßigkeit man anerkennt. So ging, wie Ignatius anführt, Maurus, ein Schüler Benedict’s von Nursia, auf dessen Befehl auf einen See, und – o Wunder! – sein Fuß ward nicht naß; ein Anderer begoß laut Auftrag ein ganzes Jahr lang einen verdorrten Baum, ohne zu fragen, wozu.

Ein solcher Gehorsam gilt mehr als alle anderen Tugenden; kleinliche Dinge werden durch ihn zu gottgefälligen Werken gestempelt. Dagegen müssen wirklich gute Werke aus Gehorsam unterbleiben, denn dieser ist besser als Opfer, und um Gottes willen muß man sogar Gott selbst verlassen; eine aus Gehorsam unterlassene fromme Uebung hat das doppelte Verdienst der guten Absicht und des Gehorsams. Nur eine offenbare Sünde darf der Jesuit aus Gehorsam nicht begehen. d. h. Etwas, dessen Schlechtigkeit unzweifelhaft und allgemein ist. Ob aber das Aufgetragene durch den Zweck, durch die Umstände etc. zu einer schlechten That wird, danach hat der Untergebene niemals zu fragen, wie überhaupt es seine Sache ist, zu wissen, was gethan werden soll, nicht aber warum und wozu. Er soll in dieser Hinsicht auf Gottes Vorsehung, der er sich durch das Gehorchen völlig in die Arme wirft, bauen, daß sie nur das von ihm verlangen wird, was zu seinem Heile und zu seiner Vollkommenheit dient; für Zweck und Endziel des aufgeführten Auftrages ist vor Gott nicht er, sondern der Obere Rechenschaft schuldig.

Die geistige Nahrung des Jesuiten sind die pietistischen Uebungen, die ihm zur Ausübung der Tugend Kraft geben und ihn darin befestigen sollen.

Obenan steht unter diesen die Betrachtung, die alle Morgen eine Stunde lang abgehalten wird. Am Abend vorher schon beginnt die Vorbereitung dazu, indem der meist aus der Bibel oder dem Leben der Heiligen entnommene Stoff eine Viertelstunde lang überdacht wird, damit man sich vor Schlafengehen und gleich beim Erwachen dessen erinnere. Um fünf Uhr beginnt das vorzüglichste unter allen Gebeten, das die Jungfrau Maria selbst dem Ignatius in der Höhle zu Manresa offenbarte. Nachdem der Jesuit sich aller irdischen Gedanken entschlagen, fromm die Erde geküßt, in einem langen, heißen Gebete um Gnade und Erleuchtung gefleht, beginnt er die drei Uebungen des Gedächtnisses, Verstandes und Willens. Ersteres vergegenwärtigt ihm im Zusammenhange das am vorigen Abende Vorbereitete; der Verstand überdenkt genauer – nicht etwa, ob dies auch wahr und in dem Sinne zu verstehen sei, wie es das fromme Lesebuch will, denn daran ist ja durchaus nicht zu zweifeln – sondern wie schön, wie erhaben, wie Gott wohlgefällig, wie nützlich es sei, wie schwer er sich durch Vergessen dieser Wahrheit versündige, wie er sich für die Zukunft hüten müsse, derselben untreu zu werden. Der Wille verabscheut die Sünde und faßt in Betreff der Mittel zur angestrebten Tugend gute Vorsätze. Dann kommen Affecte der Reue, Liebe etc. Das Ganze schließt mit einem langen Gebete. Nach der Betrachtung folgt eine Recapitulation als Prüfung seiner selbst, wie man die Zeit der Betrachtung verbracht, Notirung der göttlichen Erleuchtungen, die man gehabt, und der Vorsätze, die man gefaßt. An letztere soll man den Tag über öfters denken.

Zweimal des Tages findet über alle Fehler und Vergehungen, die man den halben Tag über begangen, eine Gewissenserforschung statt, wieder verbunden mit Reue und Vorsatz. So plagt sich der Jesuit um das Bischen Vollkommenen, dessen Erringung er als seine höchste Aufgabe auf der Welt betrachtet, bessert, flickt und putzt an seiner Seele und kann sie doch nicht gut und rein genug bekommen. Ich erinnere mich einer Anekdote aus unseren pietistischen Lesebüchern: ein frommer Ordensmann hätte in seinem Kloster eine Menge von Teufeln gesehen, die um die Wette bemüht waren, die Klosterbrüder zur Sünde zu verleiten, während für die ganze übrige Stadt ein einziger gehörnter Mephistopheles genügte, welcher noch dazu träge auf dem Stadtthore saß, weil alle Leute von selbst ohne seine Versuchungen der Sünde nachliefen.

Außer der allgemeinen Gewissensrechnung findet täglich zweimal eine specielle über eine besondere Tugend oder einen besonderen Fehler statt. Die Zahl der Fehler oder Tugendacte soll hierbei mit Punkten notirt und dem Oberen vorgezeigt werden, damit dieser den Fortschritt im Guten controliren könne. Vermehren sich die Punkte der Tugenden von Tag zu Tag und vermindern sich die Punkte der Defecte, so ist der Fortschritt schwarz auf weiß bewiesen.

Von anderen pietistischen Uebungen seien noch erwähnt: das Rosenkranzgebet, das täglich verrichtet wird, dessen Wichtigkeit daraus erhellt, daß der Rosenkranz über dem Habit auf der linken Seite getragen wird und mit dem Kreuze und dem Regelbüchlein die Trias der dem Klostermann heiligen Gegenstände bildet; ferner das Lesen ascetischer Bücher, welches großes Leid im Gemüthe darüber bewegt, daß die darin enthaltenen Wundergeschichten sich jetzt nicht mehr zutragen; die Beichte, die im Durchschnitt fast zweimal wöchentlich abgelegt wird; Novenen oder neuntägige Andachten vor den Festen aller Heiligen der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_532.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)