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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


des Mercurs hinzu, so wird man begreifen, daß ich überrascht und gefesselt das vor mir entrollte Landschaftsgemälde überschaute. Weniger entzückt war ich von dem letzten Abstieg in den lieblichen Grund hinunter; auf Geisenpfaden mußte ich zwischen den Erdbeerbeeten und Weinhängen fast senkrecht zum Dorfe niederklettern.

Welcher herzige und süße, buchstäblich süße Empfang harrte dafür meiner im Schulhause! Zwar dieses selbst war augenblicklich in baulicher Erneuerung begriffen und dadurch eigentlich unbewohnbar, meine lieben Gastfreunde aber, denen ich mich angemeldet, hatten die Küche zum interimistischen Salon umgewandelt und ihre biedere Freundlichkeit ersetzte doppelt und dreifach, was sich darin von gewohnter Ausstattung und Bequemlichkeit allenfalls vermissen ließ.

„Willkommen im Erdbeerreviere!“ wiederholte der Lehrer, nachdem ich neben ihm und seiner Frau am Tische des improvisirten Gesellschaftsgemaches Platz genommen hatte; „herzlich willkommen in Staufenberg! Vorerst jedoch müssen Sie praktisch probiren, was wir hier am Fuße des einst dem alten Heidengotte heiligen Berges erzeugen. Ohnehin wird’s Ihnen gut thun nach den Anstrengungen der schweißkostenden Wanderung.“

Damit credenzte er mir nach der Reihe die auf einer Unterlage von Weinblättern in mehreren sauberen Glasschalen bereitgestellten Beeren, welche ein Arom aushauchten, wie die vereinigte Kunst sämmtlicher Parfumeure der Welt einen köstlichern Odeur nicht zusammen zu destilliren und zu mischen vermöchte.

„Sie haben hier,“ setzte er, mich zum Zulangen auffordernd, hinzu, „eine vollständige Sammlung der Beerensorten, die wir hier cultiviren. Es sind die beliebtesten der jetzt gezogenen Tafelerdbeeren; da die große rothe, daneben die sogenannte braune italienische, die gewöhnliche und die längliche große Ananaserdbeere, auch die edelste von allen, die Zimmeterdbeere. Diese dort ist’s auf dem kleinen Teller; sie sieht fast weiß aus und wird von den Nichtkennern leicht für unreif gehalten. Bitte, versuchen Sie nur! Hat sie nicht den zartesten Duft und den feinsten Geschmack? Aber trinken Sie auch ein Glas Wein! ’s ist ebenfalls Staufenberger Product, von der Schillergattung, doch ganz Natur, nicht eine Spur von Fabrication dabei!“

Und so letzte ich mich nach Herzenslust an den preiswürdigen Spenden des gesegneten Bodens, während das schulmeisterliche Ehepaar wetteiferte, meinen Wissensdurst in Bezug auf jene zu befriedigen.

„Wie ist man denn,“ frug ich zuvörderst, „gerade in dem abgelegenen, allen großen Städten der Menschen entrückten Staufenberg auf diesen besondern Culturzweig verfallen, da doch, so viel ich weiß, weder in Baden, noch in Gernsbach, noch in Rastatt, noch sonst in der Gegend ähnliche Bestrebungen wahrzunehmen sind?“

„Ja, sehen Sie,“ erwiderte Böcherer, „daran ist kein Anderer schuld als der Vater des jüngst verflossenen Kurfürsten von Hessen. Serenissimus besaß in Baden ausgedehnte Park- und Gartenanlagen, und aus diesen kamen nachweislich die ersten Setzlinge von Ananas- und frühreifenden rothen Erdbeeren nach unserm in jenen Tagen gar einsamen und armen Staufenberg. Der aristokratische Fremdling acclimatisirte sich trefflich in unseren gegen die rauhen Nord- und scharfen Ostwinde geschützten Bergen, und, ich möchte sagen, mit prophetischem Blicke nahm man alsbald einen feldmäßigen Anbau der neuen Pflanzen in Angriff. Heute ist in Ober- und Unterstaufenberg kaum noch eine Familie, die sich nicht mit der Erdbeerzucht befaßte, die schon seit fünfzehn Jahren im Großen betrieben wird und jetzt eine solche Ausdehnung gefunden hat, wie höchst wahrscheinlich auf keinem andern Punkte der Erde. Ohne uns der Uebertreibung schuldig zu machen, dürfen wir uns mithin berühmen, daß unser kleines Staufenberg, das, trotz seiner romantischen Umgebungen, trotz der Nachbarschaft von Baden-Baden und dem in jüngster Zeit so viel besuchten Gernsbach[WS 1], wie ich höre, nicht einmal in den speciellen Schwarzwaldführern figurirt, einzig dasteht in seiner Art. Und wahrhaftig! ich sollte doch glauben, unsere Eigenthümlichkeit wäre reizender und geschmackvoller Natur genug, um uns in der Leute Mund zu bringen,“ fügte er lächelnd hinzu.

„Ist denn Ihrer merkwürdigen Production in der That noch niemals öffentlich gedacht worden? In keinem Buche und keinem periodischen Blatte?“ frug ich.

„Nicht, daß ich wüßte,“ versetzte der Lehrer. „Zwar hat man mich aufgefordert, in einer landwirthschaftlichen Zeitschrift unseres Landes darüber Bericht zu erstatten; allein noch bin ich leider nicht dazu gelangt, dem Wunsche zu entsprechen. Die Zucht und der Vertrieb unserer Erdbeeren nehmen meine schulfreien Stunden viel zu sehr in Anspruch, als daß ich Zeit hätte, unsere Leistungen durch die Presse an’s Licht zu ziehen.“

„Meine Arbeit ist noch zehnmal größer als Deine, lieber Freund,“ fiel ihm die Gattin in’s Wort. „Denken Sie sich nur, jeden Morgen eile ich jetzt schon um drei Uhr aus dem Bett, denn die Erdbeeren müssen gepflückt werden, ehe die Sonne darauf fällt, sonst vertragen sie den Transport nicht, folglich entweder am frühesten Morgen oder am spätesten Abend. Und was ist dies Zupfen für ein entsetzlich mühsames Geschäft! Sie haben ja die steilen Gesenke gesehen, die man dabei auf- und abzuklettern hat. Und im Frühlinge erst das Ausjäten des Unkrauts! Gewiß, mancher Schweißtropfen rinnt uns die Stirn hinab, ehe wir die Körbe glücklich auf der Bahn haben. Schauen Sie nur meine Hände an, wie sie aufgesprungen und schwielig sind; das rührt Alles von den Erdbeeren her.“

„Aber die Plage lohnt sich, nicht wahr?“ entgegnete ich.

„Nun, ja,“ nahm der Mann wieder das Wort, „das läßt sich nicht leugnen. Vor zwanzig Jahren noch fristete unsere Gemeinde ein recht kümmerliches Dasein, und auch heute darf sie sich noch keineswegs unter die reichen zählen; ist doch der Grundbesitz des Einzelnen ein verhältnißmäßig sehr unbedeutender. Unsere zweihundert begüterten Bürger, wie wir in Baden sagen, haben zusammen ein Areal von nur vierhundert Morgen, von denen die wohlhabendsten höchstens acht bis zehn ihr eigen nennen. Doch nähren wir uns gegenwärtig recht erträglich und haben das angenehme Bewußtsein, noch im steten Aufsteigen begriffen zu sein. Das Alles danken wir jenem sonst so übel berufenen Monarchen der Hessen und seinen Erdbeeren. Und alljährlich mehrt sich die Zahl der Haushaltungen, die sich auf die Cultur der würzigen Frucht verlegen, und die Menge der Aecker, welche ihr eingeräumt werden. Gar mancher Bewohner Staufenbergs hat bereits mehr als einen Morgen Bodenfläche mit Erdbeeren bestellt.“

„Und wie hoch veranschlagt man den Ertrag eines solchen Erdbeermorgens?“ suchte ich mich weiter zu unterrichten.

„Im Durchschnitt,“ lautete die Antwort, „sechszehn bis zwanzig Centner im Werthe von je dreißig bis vierzig Gulden, nach Sorte und Qualität. Dieses Jahr bringen wir’s gar auf vierundzwanzig Centner pro Morgen, denn das in vielen anderen Beziehungen so ungünstige Regenjahr von 1873, das Sie und andere Herren Touristen sicher schier verzweifeln macht, ist für uns Erdbeerenbauern ein wahres Glücks- und Goldjahr, wie seit 1858 uns kein gleiches bescheert ward. Es scheint uns mit Zinsen vergüten zu wollen, was das böse Jahr 1872 versäumt hat.“

„Kommen dergleichen Mißernten in der Erdbeerzucht häufig vor?“ fragte ich.

„Gott sei Dank! im Ganzen sehr selten,“ entgegnete mein Gastfreund, „wenn wir selbst nur unsere Schuldigkeit thun, das heißt die Felder mehrere Male des Jahres von Unkraut reinigen, den Boden gehörig lockern und mit gutem Stalldünger befruchten. So behandelt, dauert die Erdbeere, von welcher wir gegenwärtig alle feinern Sorten zeitigen, auf einem Flächenraume von zusammen mindestens zwölf Morgen in der Regel ihre neun, ja zehn Jahre aus. Dazu kommt noch, daß sich gerade auf der Winterseite gelegene, für andere Anpflanzungen kaum taugliche und daher werthlose Grundstücke zur Erdbeerkultur als besonders geeignet erwiesen haben. An den südlichen Hängen reift die Beere nur früher und wird hierdurch für den Kleinverkauf einträglicher. Ja, ja, verehrter Herr, die Erdbeere ist unser Hort und Halt; sie hat in den fünfziger Jahren mehr als eine Familie Staufenbergs vom Untergange gerettet. Stoßen wir also an auf unsern süßen, duftenden, labenden kleinen Schutzgeist! Vivat, crescat, floreat!

Ich that von Herzen Bescheid und füllte meinen Teller mit einer neuen Dosis weißer Zimmetbeeren, deren Geschmack gewissermaßen an das Aetherische streift. Ohne Zweifel ist die

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gernsdorf
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_485.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)