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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


bei manchem Leser noch immer nicht mit der wünschenswerthen Ruhe des Einverständnisses aufgenommen werden, bei aller Verbreitung und Anerkennung, welche Darwin’s Lehre bis jetzt gefunden hat. Und so wird es denn wohl kommen, daß Einer oder der Andere die Abstammungsfrage mit jener Geberde des Abscheues von sich weist, die unsere Figur 6 recht hübsch wiedergiebt. Ich kann es ihm nicht sparen, noch folgende Worte Darwin’s anzuhören: „Beim Menschen lassen sich einige Formen des Ausdruckes, so das Sträuben des Haares unter dem Einflusse des äußersten Schreckens, oder das Entblößen der Zähne unter dem der rasenden Wuth, kaum verstehen, ausgenommen unter der Annahme, daß der Mensch früher einmal in einem viel niedrigeren und thierähnlichen Zustande existirt hat. Die Gemeinsamkeit gewisser Ausdrucksweisen bei verschiedenen, aber verwandten Species, so die Bewegungen derselben Gesichtsmuskeln während des Lachens beim Menschen und bei verschiedenen Affen, wird etwas verständlicher, wenn wir an deren Abstammung von einem gemeinsamen Urerzeuger glauben.“ – Und nun bitte ich den Leser, Charles Darwin’s Schriften zur Hand nehmen, und er wird, aus der überzeugenden Fülle wohlverwertheter Thatsachen schöpfend, sein Vorurtheil abwerfen, und seine Anschauungsweise umstimmen. Diese Schriften, von welchen ich hier außer der neuesten, deren Inhalt eben der Gegenstand unsrer Unterhaltung war, namentlich „Die Abstammung des Menschen“ und „Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“ anführe, sind ja in eleganter deutscher Uebersetzung (im Schweizerbart’schen Verlag.) auch allen Denen zugänglich, die, wie selbst viele Gelehrte, Dank ihrer Schulbildung, mit der englischen Sprache nicht vertraut sind. Ihnen Allen hat Professor Victor Carus, der vor hundert Andern den Vorzug hat, daß sich bei ihm gründliche Sachkenntniß mit einem feinen Verständniß der Sprache vereinigt, durch diese Uebersetzungen einen wesentlichen Dienst geleistet. Nur bei dem persönlichen Verhältniß, welches ihn mit Charles Darwin verbindet, war es möglich, die Arbeit in dieser Weise zu fördern, daß die Uebersetzung zu gleicher Zeit mit dem Originale – ja, die der „Abstammung des Menschen“ sogar noch etwas früher als dieses – an die Oeffentlichkeit treten konnte. Ich bedaure, daß unsere Tafel keine Figur mit dem Ausdrucke der dankbaren Anerkennung aufweist, die ich zum Schluß noch anführen könnte.

Klotz.




Bilder aus dem Ehestandsleben im Orient.
Von Heinrich Freiherrn von Maltzan.
Nr. 1. Eine Todtschlägerin. – Frauenfeindschaft in vielweibigen Ehen. – Zauberei als Mittel, eine Nebenbuhlerin hinwegzuräumen. – Wie sich ein Magier zu helfen weiß. – Hochzeit und Brauttoilette im Orient. – Scene mit dem Schnupftuch. – Eifersucht arabischer Ehemänner. – Die Rache eines geschiedenen Ehemannes.


Vor einigen Monaten stand vor dem Gericht in Algier eine hübsche junge Kabylin, etwa achtzehn Jahre alt, deren für eine Landbewohnerin feine und zarte Züge das Herz der Zuschauer zum Mitgefühl stimmten und selbst auf die Richter nicht ohne Eindruck blieben. Was hatte diese Schöne verbrochen? „O, eine Kleinigkeit!“ würde ein Eingeborener geantwortet haben. Sie hatte nur ihre Mitgattin mit einer Axt todtgeschlagen. Das klingt allerdings schrecklich, wenn man es so trocken und ohne die begleitenden Nebenumstände aussagt. Aber in Wirklichkeit war die Angeklagte mehr zu bedauern, als zu verdammen. Sie war ein Opfer der traurigen Umstände geworden, welche nicht selten die Vielweiberei im Gefolge hat.

Tessalit, so hieß die junge Kabylin, war noch ein halbes Kind, als sie an einen Mann verheirathet wurde, der sich bereits einer älteren Ehehälfte erfreute. Letztere, Chadidscha genannt, wird als eine wahre Xanthippe geschildert. Gegen ihren Mann wagte sie freilich nicht allzu derb aufzutreten. Darin verstehen die Kabylen keinen Spaß. Sie mußte es dulden, daß dieser eine zweite Frau nahm, welche ihr an Schönheit und Liebenswürdigkeit überlegen war, und folglich von dem Gatten mehr geliebt wurde, als sie. Aber der armen Tessalit schwur sie Rache. Dazu fand sich eine gute Gelegenheit, als bald darauf der Ehemann wegen einiger falschen Begriffe über „Mein und Dein“ zu fünf Jahren Gefängniß verurtheilt wurde. Tessalit ahnte, was ihr bevorstand, und floh deshalb zu ihrem Vater. Aber der Gatte ließ sie durch einen seiner Brüder zurückbringen. Als sie kam, wies ihr zwar ihre liebenswürdige Mitgattin die Thür, was ihr sehr willkommen gewesen wäre, wenn sie dadurch die Möglichkeit zur Rückkehr zu ihren Eltern erlangt hätte. Aber nein! Die Xanthippe wußte, daß sie es dort gut hatte. Sie sollte es aber schlecht haben. Darum zeigte sie derselben die Thür und zwang sie, vor dem Hause und zwar im ummauerten Hofe zu bleiben und auch die kältesten und regnerischsten Nächte dort unter freiem Himmel zuzubringen. Sie sah sie nur als ihre Gefangene an, an der sie ihr Müthchen kühlen konnte. Die Zeugen melden von einer Reihe haarsträubender Mißhandlungen, denen die Aermste nun unterworfen wurde: tägliche Schläge, Brennen mit glühenden Kohlen, Hungerleiden und dergleichen mehr. Endlich faßte sich Tessalit ein Herz und machte einen Fluchtversuch. Aber Chadidscha kam ihr nach, überfiel sie mit einem Beil und versetzte ihr damit einige Hiebe. Da indeß der Zorn ihre Hand unsicher machte, so behielt das Opfer doch Kraft genug, ihr das Beil zu entwinden und sich mit demselben gegen die Wüthende zu wehren. Dabei fiel der tödtliche Schlag, der dem Dasein der Xanthippe ein Ende machte. Es war kaum mehr als Nothwehr. Das Gericht faßte es freilich als einen Todtschlag, jedoch unter mildernden Umständen begangen, auf, und verurtheilte sie zu einem Jahr Gefängniß. Nach europäischen Begriffen mag dies hart scheinen. Aber sie konnte ihrem Schöpfer danken, daß sie nicht vor ein arabisches Gericht gestellt worden war, denn ein solches urtheilt nur nach der Thatsache, daß man überhaupt den Tod eines Menschen verursacht hat, und hätte ihr Vergehen wie Mord bestraft.

Dergleichen traurige Ereignisse sind leider in den vielweibigen Ehen keine Seltenheit, wohlverstanden bei den Orientalen. Wie es damit bei den Mormonen und den Secten, welche dem Manne gestatten, mehrere sogenannte „Seelenbräute“ zu besitzen, hergeht, weiß ich nicht zu sagen. Möglich, daß die Mystik über die Eifersucht siegt. Aber die Orientalinnen wissen nichts von Spiritualismus und sind sehr materiell eifersüchtig, äußern auch diese Eifersucht oft auf sehr materielle Weise, wenngleich nicht gerade immer mit Axt und Beil, Gift und Dolch, was übrigens auch keineswegs selten ist.

Bei solchen Gesinnungen ist es manchmal ein Glück, wenn diese Schönen an irgend einem Aberglauben hängen, den sie ihren Rivalinnen gegenüber zur Hülfe rufen; dann wenigstens geschieht den letzteren dabei nur eingebildetes Leid. Ich erinnere mich eines Fekihs[1] aus Marokko, der aber in Dschedda in Arabien lebte und ein ziemlich gutes Geschäft mit dem Ausbeuten des Aberglaubens im Allgemeinen und der abergläubischen Praktiken in Ehestandssachen im Besonderen machte. Dieser Mann wurde vielfach von eifersüchtigen Gattinnen besucht, die ihn gut bezahlten, damit er ihren Rivalinnen einen Schabernak zufüge, und manchmal mehr als einen Schabernak, wenigstens in der Absicht. Ich hatte ihn in Algerien gekannt; als ich ihn in Dschedda wiedertraf, lud er mich in sein Haus ein, um mir verschiedene Raritäten zu zeigen, mit denen er nebenher Handel trieb. Was mir unter seinen Merkwürdigkeiten am meisten auffiel, war eine Anzahl höchst ungestalter kleiner Wachsfiguren, so roh wie die Götzenbilder von Völkern, die auf der tiefsten Kunst- und Culturstufe stehen. Es war übrigens unverkennbar, daß sie weibliche Wesen vorstellen sollten. Ich fragte ihn, was wohl der Zweck dieser Figürchen sein könne. Diese Frage setzte ihn in einige Verlegenheit; daran merkte ich, daß es sich wohl um irgend einen Aberglauben, von seiner Seite natürlich nur um eine Betrügerei handele, die er doch nicht einem Europäer

  1. Fekih, eigentlich Schriftgelehrter, Gesetzkundiger, aber oft für Magier, Astrolog etc. gebraucht.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_308.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)