Seite:Die Gartenlaube (1873) 287.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

zurückgewiesen worden. Es war ja Ulrich Hartmann, der sie schützend führte, und der schützte sicher nichts, was zum Berkow’schen Hause gehörte; aber es war doch immer eine Dame, die da neben ihm ging, neben dem schroffen, wilden Sohne des Schichtmeisters, der sich sonst nie um Frauen kümmerte, nicht einmal um Martha Ewers, um die sich doch jeder Ledige auf den Werken zu kümmern pflegte. Ulrich, der die Frauen seiner eigenen Cameraden bei solchen Gelegenheiten, wie die heutige, als eine überflüssige Last betrachtete und behandelte, die man so viel als möglich abschütteln müsse, er geleitete diese Fremde mit einem Ausdruck im Gesichte, als werde er Jeden niederschlagen, der ihr auch nur einen Schritt zu nahe komme. Wer war das? und was sollte das heißen?

Der kurze, kaum zehn Minuten dauernde Gang war ein Wagniß selbst für den jungen Führer, aber er zeigte, daß er hier wenigstens noch unumschränkter Herr war und seine Herrschaft zu gebrauchen wußte. Bald sprengte er hier mit einigen gebieterischen Worten eine Gruppe, die ihm im Wege stand, bald warf er dort Befehle oder Anordnungen in einen hervordrängenden Haufen, der diesem sofort eine andere Richtung gab; dann wieder herrschte er Einzelnen, die ihm mit Fragen oder Berichten nahen wollten, ein „Später“ oder „Ich komme wieder“ zu und dabei zog er die junge Frau unaufhaltsam und so schnell mit sich fort, daß bei diesem Vorübereilen jede Entdeckung und jeder Aufenthalt ausgeschlossen wurde. Endlich hatten sie den Park erreicht, der hier an seinem Ausgange nur durch eine hölzerne Gitterthür geschlossen war. Ulrich stieß sie auf und trat mit ihr in den Schutz dieser Bäume.

„Jetzt ist’s genug!“ sagte er, ihre Hand loslassend. „Der Park ist noch sicher, und in fünf Minuten sind Sie am Hause.

Eugenie bebte noch leise von der überstandenen Gefahr und ihre Hand schmerzte noch von dem eisernen Drucke der seinigen; langsam schlug sie den Schleier zurück.

„Machen Sie nur schnell, gnädige Frau!“ fuhr der junge Bergmann mit bitterem Hohne fort. „Ich habe ja redlich dazu mit geholfen, daß Sie Ihren Mann wiedersehen. Sie werden ihn doch nicht warten lassen?“

Eugenie sah auf zu ihm. Sein Gesicht verrieth, welche Folter sie ihm auferlegt hatte, als sie ihm nur die Wahl ließ, entweder einen Angriff auf sie zu dulden, oder sie selbst ihrem Gatten zuzuführen. Die junge Frau hatte nicht den Muth, zu danken; sie streckte ihm nur wortlos die Hand hin.

Aber Ulrich stieß die Hand fast zurück. „Sie haben mir viel zugemuthet, gnädige Frau, so viel, daß es um ein Haar mißglückt wäre. Jetzt haben Sie Ihren Willen, aber versuchen Sie es nicht, mich noch einmal so zu zwingen wie heute, am wenigsten wenn Er dabei ist – dann – dann – bei Gott, dann gebe ich Euch Beide preis!“ –

Auf der vorderen Terrasse standen die beiden Diener Franz und Anton, mit ängstlichen und doch zugleich neugierigen Gesichtern nach den Werken hinüber schauend, aber sie fuhren nicht weniger erschreckt zurück, wie vorhin der Schichtmeister, als ihre gnädige Frau, die doch in der Residenz sein mußte, urplötzlich vor ihnen stand, ohne daß sie auch nur einen Wagen gehört hatten, oder das Kammermädchen oder sonst Jemand in ihrer Begleitung sahen. Durch die Werke konnte die junge Herrin doch unmöglich gekommen sein, noch weniger durch den Park, denn dort hinten auf den Wiesen ging es ja fast noch ärger zu, und doch war sie jetzt hier. Die beiden Leute waren so bestürzt, daß sie kaum auf die ihnen hastig vorgelegte Frage antworten konnten, indeß erfuhr Eugenie doch, daß Herr Berkow sich augenblicklich noch im Hause befand, und nun eilte sie rasch die Treppe hinauf. Franz, der ihr gefolgt war, fand noch mehr Gelegenheit, sich über die gnädige Frau zu wundern, denn diese duldete es kaum, daß er ihr oben im Vorzimmer Hut und Mantel abnahm, befahl ihm zu bleiben, als er mit der Meldung ihrer Ankunft nach dem Flügel hinüber eilen wollte, den der Herr bewohnte, und erklärte, sie werde selbst sofort ihren Gemahl aufsuchen. Der Diener stand da, den Mantel noch in den Händen, und sah ihr mit offenem Munde nach. Das ging ja Alles wie im Sturmwinde, was konnte es denn nur in der Residenz gegeben haben?

Eugenie hatte rasch den Saal und die beiden vorderen Gemächer durchschritten, als sie plötzlich inne hielt; denn aus dem nebenan liegenden Arbeitszimmer Arthur’s tönten ihr Stimmen entgegen. Die junge Frau hatte so sicher darauf gerechnet, ihren Gatten allein zu finden; unerwartet und unangemeldet hatte sie zu ihm eintreten wollen, und nun traf sie ihn in Gesellschaft eines Anderen. Nur nicht dieses Wiedersehen in Gegenwart Fremder! Eugenie zögerte unentschlossen, ob sie umkehren oder bleiben solle. Endlich trat sie lautlos zurück hinter die Portière, deren Falten sie zum größten Theil verbargen.

„Es ist unmöglich, Herr Berkow!“ sagte die klare scharfe Stimme des Oberingenieurs. „Wenn Sie noch länger die Schonung walten lassen, so wendet es sich gegen Die, die da anfangen, zur Ordnung zurückzukehren. Sie haben diesmal noch das Feld geräumt, weil sie die Schwächeren waren, aber die Scenen werden sich schlimmer, blutiger wiederholen als heute Morgen, wo es mit einem bloßen Handgemenge abging. Hartmann hat gezeigt, daß er die eigenen Cameraden nicht schont, wenn sie sich gegen seinen Terrorismus auflehnen. Er läßt Feind und Freund bluten, sobald es sich um sein starres Princip handelt.

Die offene Thür ließ Eugenie den Einblick in das Zimmer frei. Arthur stand ihr gerade gegenüber am offenen Fenster, und das volle Licht fiel auf sein Antlitz, das um so Vieles düsterer geworden war, seit sie es nicht gesehen. Der Schatten der Sorge, der freilich damals schon auf der Stirn lag, die noch so wenig gewohnt war, ihn zu tragen, hatte sich jetzt in zwei tiefen Falten dort eingegraben, die vielleicht nichts mehr verwischen konnte. Jede einzelne Linie des Gesichts war schärfer, strenger geworden; der Zug von Energie, der damals erst aufdämmerte und nur in Momenten der Erregung zur vollsten Geltung kam, herrschte jetzt auch in der Ruhe unbedingt vor und hatte den ehemaligen träumenden Ausdruck völlig zurückgedrängt; auch die Haltung und Stimme verrieth eine gleiche Festigkeit und Bestimmtheit – man sah es, der junge Chef hatte in wenigen Wochen Das gelernt, wozu Andere Jahre brauchen.

„Ich bin gewiß der Letzte, der einer fremden Hülfe das Wort redet, „fuhr der Oberingenieur fort, „aber ich dächte, wir Alle, unser Chef voran, hätten nun genug gethan, sie abzuhalten. Man kann und wird uns wahrhaftig keinen Vorwurf machen, wenn wir endlich auch zu Dem greifen, was die Nachbarwerke längst gethan haben, und zwar ohne solche dringende Nothwendigkeit wie die unsrige.“

Arthur schüttelte düster das Haupt. „Die anderen Werke können für uns keinen Maßstab geben; dort ist es mit einigen Verhaftungen und Verwundungen abgegangen, dort genügten fünfzig Mann und ein paar Schüsse in die Luft, um die ganze Revolte zu unterdrücken. Hier steht Hartmann an der Spitze, und wir wissen Alle, was das heißen will. Der weicht selbst einem Bajonnetangriff nicht, und mit ihm steht und fällt auch sein ganzer Anhang. Sie würden das Aeußerste herausfordern – bei uns geht der Friede nur über Leichen.“

Der Beamte schwieg, aber sein bedeutsames Achselzucken zeigte, daß er die Befürchtung seines Chefs theilte.

„Wenn aber der Friede nicht anders zu erreichen ist –“ begann er wieder.

Wenn er zu erreichen ist! Er ist es aber nicht, und die Opfer fallen umsonst. Ich zwinge die Empörung für den Augenblick nieder, damit sie sich im nächsten Jahr, in den nächsten Monaten vielleicht schon von Neuem erhebt, und Sie wissen so gut wie ich, daß mir das die letzte Möglichkeit nimmt, die Werke zu behaupten. Anderswo geben sich doch wenigstens noch Regungen der Gerechtigkeit, des Vertrauens kund, anderswo fangen die Leute doch endlich an, zur Besinnung zurückzukehren; bei uns ist das nicht zu hoffen; das Jahre lang gesäete Mißtrauen läßt sich nicht überwinden. Haß und Feindschaft war die Parole, die gegen mich ausgegeben wurde, als ich hier eintrat; sie ist es noch heute, und wenn ich nun noch das Blut zwischen sie und mich stelle, dann ist es vollends aus. Hartmann freilich darf es wagen, die Seinen im offenen Kampfe zum Gehorsam zu treiben, ihnen gewaltsam, vielleicht blutig seinen Willen aufzuzwingen; er bleibt ihnen doch der Messias, von dem sie allein ihr Heil erwarten. Wenn ich nur einen Schuß thun lasse, wenn ich mich nur zur eigenen Nothwehr bewaffne, so bin ich der Tyrann, der sie kaltblütig morden läßt, der Unterdrücker, der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_287.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)