Seite:Die Gartenlaube (1873) 173.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Ganz allein? Sie haben nicht einmal, wie sonst, den Diener mit sich?“

„Nein, Sie sehen ja, daß ich ohne jede Begleitung bin.“

Ulrich trat rasch, aber diesmal vorsichtiger als vorhin, wieder an die Seite des Pferdes.

„Dann müssen Sie umkehren! Auf der Stelle! Ich werde mit Ihnen gehen, wenigstens so lange, bis wir die Werke in Sicht haben.“

„Aber warum denn dies Alles?“ fragte Eugenie, immer mehr betroffen über das Anerbieten und die finster gerunzelte Stirn des jungen Bergmanns. „Giebt es denn irgend eine Gefahr hier im Walde oder ist sonst etwas zu fürchten?“

Ulrich warf einen forschenden Blick auf den unteren Waldweg, dessen Windungen man von hier aus zum Theil übersah.

„Wir waren auf den Eisenhütten oben im Gebirge!“ sagte er endlich langsam. „Ich und ein Theil meiner Cameraden. Ich ging allein den näheren Weg, weil ich früher zurück sein wollte. Die Anderen nahmen die Fahrstraße. Sie könnten ihnen am Ende begegnen, gnädige Frau, und da möchte ich doch lieber bei Ihnen sein – auf alle Fälle.“

„Ich bin nicht furchtsam!“ erklärte Eugenie entschieden, „und bis zu Beleidigungen gegen mich wird man sich doch hoffentlich nicht versteigen. Ich weiß, daß eine Differenz mit den Arbeitern besteht, aber man sagt mir, daß sie nicht von Bedeutung ist und in Kurzem ausgeglichen sein wird.“

„Dann hat man Sie belogen!“ fiel ihr Ulrich rauh in’s Wort. „Von Ausgleich und von Kleinigkeiten ist hier nicht die Rede. Herr Berkow hat uns den Krieg erklärt, oder wir ihm, das kommt auf Eins heraus; genug, wir sind jetzt im Kriege, und er wird nicht eher ein Ende nehmen, bis einer von uns am Boden liegt. Das sage ich Ihnen, gnädige Frau, und ich muß die Sache wohl am besten wissen.“

Eine leichte Blässe überzog das Antlitz der jungen Frau, als sie diese Bestätigung ihrer längst gehegten Befürchtungen vernahm, aber zugleich verletzte sie die rücksichtslose, hochfahrende Art der Enthüllung, und gab ihr eine etwas sehr vornehme Haltung, als sie kalt erwiderte:

„Nun, wenn die Sache so steht, so kann ich unmöglich die Begleitung und noch viel weniger den Schutz eines Mannes annehmen, der sich so offen und rücksichtslos zum Feinde meines Gemahls bekennt – ich werde allein reiten.“

Sie wollte dem Pferde die Zügel geben, aber Ulrich fuhr auf bei der Bewegung und vertrat ihr heftig und gebieterisch den Weg.

„Bleiben Sie, gnädige Frau! Sie müssen mich mitnehmen.“

„Ich muß?“ Eugenie hob stolz das Haupt. „Und wenn ich nun nicht will?“

„Dann – bitte ich Sie darum.“

Es war wieder jener jähe Uebergang von rücksichtslosester Drohung zu beinahe flehender Bitte, der schon einmal den Zorn Eugeniens entwaffnet hatte, und auch jetzt dämpfte er ihren Unwillen. Sie blickte auf den jungen Bergmann nieder, der finster, gereizt, und doch mit dem Ausdruck unverkennbarer Sorge zu ihr emporschaute.

„Ich kann Ihr Anerbieten nicht annehmen, Hartmann!“ sagte sie ernst. „Wenn Ihre Cameraden wirklich so weit gebracht sind, daß ich bei einer Begegnung vor Beleidigungen nicht sicher bin, so fürchte ich, ist das allein Ihr Werk, und von einem Manne, der uns einen so unversöhnlichen Haß entgegenträgt –“

„Uns!“ unterbrach sie Ulrich ungestüm. „Sie hasse ich nicht, gnädige Frau, und Sie sollen auch nicht beleidigt werden, Sie gewiß nicht! Es wagt Keiner auch nur ein Wort gegen Sie laut werden zu lassen, wenn ich bei Ihnen bin, und wagte er’s, er thäte es nicht zum zweiten Male. Nehmen Sie mich mit!“

Eugenie zögerte einige Secunden lang; aber ihre Furchtlosigkeit und seine feindseligen Aeußerungen von vorhin gaben den Ausschlag.

„Ich werde umkehren und die Fahrstraße vermeiden!“ sagte sie rasch. „Bleiben Sie zurück, Hartmann! die Rücksicht auf Herrn Berkow verlangt es.“

Als entfesselte dieser Name eine lang zurückgehaltene Gereiztheit, so flammten seine Augen plötzlich auf, als sie ihn aussprach, und ein Strahl wilden tödtlichen Hasses blitzte daraus hervor. „Auf Herrn Berkow!“ brach er los; „Herr Berkow, der Sie so liebevoll allein reiten läßt, während er doch wußte, daß wir oben auf den Hütten waren und jetzt im Walde sein müssen! Freilich, der hat sich ja niemals um Sie gekümmert; dem ist’s gleich, ob Sie unglücklich sind oder nicht, und doch hat er’s ganz allein zu verantworten!“

„Hartmann, was wagen Sie!“ rief Eugenie, glühend vor Zorn und Entrüstung, aber sie versuchte vergebens, ihm Einhalt zu thun; er fiel ihr in die Rede und fuhr in immer wachsender Erregung fort:

„Nun ja, es ist wohl ein großes Verbrechen, Sie weinen zu sehen, wenn Sie glauben, daß kein Mensch in Ihrer Nähe ist, aber ich glaube, Sie weinen sehr oft, gnädige Frau, haben sehr oft geweint, seit Sie hier sind, nur daß es Niemand sieht, wie ich jetzt eben. Ich weiß, wer allein schuld daran ist, und ich werde es ihm –“

Er hielt plötzlich inne, denn die junge Frau hatte sich hoch im Sattel aufgerichtet, und jetzt traf auch ihn jener Blick niederschmetternden Stolzes, mit dem sie sich so unnahbar zu machen verstand. Ihre Stimme klang eisig scharf, und schlimmer noch; es war der volle Ton der Herrin gegen den Untergebenen, mit dem sie ihm jetzt zuherrschte:

„Sie schweigen, Hartmann! Noch ein Wort, ein einziges gegen meinen Gemahl, und ich vergesse, daß Sie ihm und mir das Leben retteten, und antworte auf Ihren Ausfall, so wie er es verdient!“

Sie warf ihr Pferd herum und wollte an ihm vorüber, aber Ulrich’s riesige Gestalt stand mitten im Wege, ohne auch nur einen Schritt zu weichen. Er war todtenbleich geworden bei diesem Gebieterton, den er zum ersten Mal von ihren Lippen hörte, und der Haß, der in seinem Auge flammte, schien jetzt auch ihr zu gelten.

„Geben Sie den Weg frei!“ befahl Eugenie, noch gebieterischer als vorhin. „Ich will fort!“

Aber sie befand sich einem Manne gegenüber, bei dem mit Befehlen nichts auszurichten war, und den ein Befehl aus ihrem Munde vollends zur Wuth reizte. Anstatt zu gehorchen, war er mit einem einzigen Schritte dicht an ihrer Seite und faßte zum zweiten Male, diesmal mit eisernem Griff, die Zügel des Pferdes, ohne sich jetzt an sein Bäumen und an die Gefahr der Reiterin zu kehren.

„Sie sollten nicht so zu mir sprechen, gnädige Frau!“ sagte er dumpf. „Ich kann viel ertragen, von Ihnen kann ich’s, wenn auch sonst von Keinem; aber den Ton vertrage ich nicht! Treiben Sie das Pferd nicht an,“ fuhr er außer sich fort, als Eugenie Miene machte, es mit der Reitgerte zum Losreißen und Davonsprengen zu zwingen. „Sie werden mich nicht niederreiten, aber ich, bei Gott, ich reiße das Thier nieder, wie ich es damals mit den beiden anderen gethan habe!“

Es lag eine furchtbare Drohung in seinen Worten, und noch furchtbarer drohte sein Blick. Eugenie sah die von Allen gefürchtete Wildheit sich zum ersten Male gegen sie kehren und begriff plötzlich die ganze Gefahr ihrer Lage; aber in demselben Moment ergriff sie auch mit schneller Geistesgegenwart das einzige Rettungsmittel.

„Hartmann,“ sagte sie vorwurfsvoll, aber ihre Stimme war auf einmal mild, beinahe weich geworden. „Soeben noch boten Sie mir Ihren Schutz an, und jetzt bedrohen Sie mich selbst? Nun freilich sehe ich, was von Ihren Cameraden zu fürchten ist, wenn Sie mir so gegenüber treten! Ich wäre nicht in den Wald geritten, hätte ich eine Ahnung davon gehabt.“

Der Vorwurf und mehr noch die Stimme schien Ulrich zur Besinnung zu bringen; seine wilde Gereiztheit schwand, als er den Ton nicht mehr hörte, der sie herausgefordert. Noch hatte er die Rechte fest am Zügel, aber die geballte Linke löste sich jetzt allmählich, und der drohende Ausdruck verschwand aus seinen Zügen.

„Ich habe Sie bisher nie gefürchtet,“ fuhr Eugenie leise fort, „trotz all dem Schlimmen, was man mir von Ihnen sagte. Wollen Sie mich jetzt die Furcht lehren? Wir sind dicht am Abhange; wenn Sie fortfahren, das Thier so zu reizen, oder Ihre Drohung ausführen, so giebt es ein Unglück. Will der Mann, der sich einst unter die Hufe meiner Pferde warf, um eine Unbekannte zu retten, mich jetzt selbst in Gefahr bringen? Lassen Sie mich fort, Hartmann!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_173.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)