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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

weiten Rasenplätzen warfen die Fontainen ihren schimmernden Strahl hoch in die Lüfte, umgeben von dem ganzen sorgfältig gepflegten Schmucke des heimischen Frühlings in seinem ersten Erwachen, und vorn am Eingange öffnete eine riesige Ehrenpforte, mit Guirlanden und Fahnen verschwenderisch decorirt, ihr blumengeschmücktes Thor.

„Ich habe genug daran!“ wiederholte der Director, indem er in den Kreis der übrigen Herren trat. „Da verlangt Herr Berkow einen möglichst glänzenden Empfang und glaubt Alles gethan zu haben, wenn er uns einen unbeschränkten Credit auf die Casse anweist, mit dem guten Willen der Leute rechnet er nie. Ja, wenn wir noch die Arbeiter von vor zwanzig Jahren hätten! Wenn es da einmal einen freien Tag gab, eine Festlichkeit und Abends Tanz, da brauchte man wegen des Vivatrufens nicht in Sorge zu sein, aber jetzt – passive Gleichgültigkeit auf der einen, offene Widersetzlichkeit auf der andern Seite; es fehlte nicht viel, so hätte man der jungen Herrschaft jeden Empfang überhaupt verweigert. Wenn Sie morgen nach der Residenz zurückkehren, Herr Schäffer, so könnte es nicht schaden, wenn Sie bei dem Bericht über unsere Festlichkeit gelegentlich einen Wink fallen ließen über das, was man dort nicht weiß oder nicht wissen will.“

„Ich werde mich hüten!“ entgegnete der Angeredete trocken. „Haben Sie etwa Lust, die Höflichkeiten unseres verehrten Chefs auszuhalten, wenn er etwas ihm Mißliebiges erfährt? Ich ziehe in solchem Falle eine möglichst weite Entfernung von seiner Person vor.“

Die übrigen Herren lachten; es schien gerade nicht, als erfreue sich der abwesende Chef einer besonderen Ehrerbietung in ihrem Kreise.

„Also hat er die vornehme Heirath doch wirklich durchgesetzt!“ nahm der Ober-Ingenieur das Wort. „Mühe genug hat er sich darum gegeben, und es ist doch wenigstens ein Ersatz für das Adelsdiplom, das man ihm bisher immer noch hartnäckig verweigerte, und worauf doch sein ganzes Dichten und Trachten gerichtet ist. Zum Mindesten hat er den Triumph zu sehen, daß der alte Adel keinen Anstoß mehr an seinem Bürgerthum nimmt; die Windegs verschwägern sich ja mit ihm.“

Herr Schäffer zuckte die Achseln. „Denen blieb wohl überhaupt keine Wahl mehr! Die derangirten Verhältnisse der Familie sind kein Geheimniß in der Residenz. Ob es dem stolzen Baron gerade leicht geworden ist, seine Tochter zu einer solchen Speculation herzugeben, bezweifle ich: die Windegs gehörten von jeher nicht blos zur ältesten, sondern auch zur hochmüthigsten Aristokratie. Nun schließlich beugt sich auch das einmal der bitteren Nothwendigkeit.“

„So viel steht fest, uns wird diese vornehme Verwandtschaft ein rasendes Geld kosten!“ sagte der Director kopfschüttelnd. „Der Baron hat jedenfalls seine Bedingungen gestellt. Uebrigens kann ich durchaus nicht den Zweck all dieser Opfer einsehen. Ja, wenn es noch eine Tochter wäre, der man Rang und Namen damit erkaufte, Herr Arthur aber bleibt nach wie vor bürgerlich, trotz des uralten Stammbaumes seiner Gemahlin.“

„Glauben Sie? Ich möchte für das Gegentheil bürgen. Solche Verwandtschaft thut früher oder später immer ihre Wirkung. Dem Gemahl der Baroneß Windeg-Babenau, dem Schwiegersohn des Barons wird man schließlich doch den Adel nicht versagen, den der Vater bisher vergebens erstrebte, und was diesen betrifft, so wird man es auch nicht hindern können, daß er im Salon seiner Schwiegertochter mit den Kreisen in Berührung kommt, die bis jetzt noch immer entschieden Front gegen ihn gemacht haben. Lehren Sie mich unsern Chef kennen! Er weiß sehr genau, was diese Heirath ihm einbringt, und deshalb kann er es sich auch etwas kosten lassen.“

Einer von den Verwaltungsbeamten, ein junger, sehr blonder Mann, mit etwas engem Frack und tadellos sitzenden Glacéhandschuhen, hielt es für passend, jetzt gleichfalls eine Bemerkung laut werden zu lassen.

„Ich begreife nur nicht, warum die Neuvermählten ihre Hochzeitsreise hierher in unsere Einsamkeit richten, und nicht nach dem Lande der Poesie, nach Italien –“

Der Ober-Ingenieur lachte laut auf. „Ich bitte Sie, Wilberg! Poesie bei dieser Heirath zwischen Geld und Name! Uebrigens sind die Hochzeitsreisen nach Italien jetzt so Mode geworden, daß sie Herrn Berkow wahrscheinlich auch schon zu bürgerlich erscheinen. Die Aristokratie geht in solchem Falle ‚auf ihre Güter‘, und man will doch nun vor allen Dingen aristokratisch und nur aristokratisch sein.“

„Ich fürchte, die Sache hat einen ernsteren Grund,“ sagte der Director. „Man argwöhnt, der junge Herr könnte es in Rom oder Neapel ebenso treiben, wie er es während der letzten Jahre in der Residenz getrieben hat, und der Wirthschaft ein Ende zu machen, war doch wohl die höchste Zeit. Die Verschwendung ging ja zuletzt in die Hunderttausende! Man kann einen Brunnen ausschöpfen, und Herr Arthur war auf dem besten Wege, seinem Vater dies Experiment vorzumachen.“

Die schmalen Lippen Schäffer’s verzogen sich sarkastisch. „Der Vater hat ihn ja von jeher dazu angehalten, er erntet nur, was er selbst gesäet! Uebrigens können Sie Recht haben, hier in der Einsamkeit lernt man vielleicht eher dem Zügel einer jungen Frau gehorchen. Ich fürchte nur, sie faßt ihre allerdings wenig beneidenswerthe Aufgabe mit sehr geringem Enthusiasmus auf.“

„Sie glauben, daß man sie gezwungen hat?“ fragte Wilberg eifrig.

„Warum nicht gar, gezwungen! So tragisch geht die Sache in unseren Tagen nicht mehr zu. Sie wird einfach vernünftigem Zureden und einem klaren Einblick in die Verhältnisse nachgegeben haben, und ich bin überzeugt, diese Convenienzehe wird wahrscheinlich eine ganz erträgliche werden, wie in den meisten derartigen Fällen.“

Der blonde Herr Wilberg, der augenscheinlich eine Leidenschaft für das Tragische hatte, schüttelte melancholisch den Kopf.

„Vielleicht auch nicht! Wenn nun später in dem Herzen der jungen Frau die wahre Liebe erwacht, wenn ein Anderer – mein Gott, Hartmann, können Sie Ihren Zug denn nicht drüben entlang führen? Sie hüllen uns ja in eine förmliche Staubwolke mit Ihrer Colonne!“

Der junge Bergmann, an den diese Worte gerichtet waren, und der so eben an der Spitze von etwa fünfzig seiner Cameraden vorüberkam, warf einen ziemlich verächtlichen Blick auf den feinen Gesellschaftsanzug des Sprechenden, und dann einen zweiten auf den sandigen Fahrweg, wo die plumpen Schuhe der Bergleute allerdings einigen Staub aufwirbelten.

„Nach rechts hinüber!“ commandirte er, und mit einer fast militärischen Pünktlichkeit schwenkte die Schaar ab und schlug die angegebene Richtung ein.

„Ein Bär, dieser Hartmann!“ sagte Wilberg, sich mit dem Taschentuch den Staub vom Frack fächelnd. „Hat er wohl ein Wort der Entschuldigung für seine Ungeschicklichkeit? ‚Nach rechts hinüber!‘ Mit einem Commandotone, als wenn ein General seinen Truppen befiehlt. Und was er sich überhaupt alles herausnimmt! Hätte sich sein Vater nicht in’s Mittel gelegt, er hätte der Martha Ewas verboten, mein Gedicht zum Empfange der jungen gnädigen Frau herzusagen, mein Gedicht, das ich –“

„Nun bereits aller Welt vorgelesen habe!“ ergänzte der Ober-Ingenieur halblaut zum Director gewandt. „Wenn es nur etwas kürzer wäre! Uebrigens hat er Recht, es war eine Unverschämtheit von Hartmann, das verbieten zu wollen. Sie hätten ihn mit seinen Leuten auch nicht grade hier postiren sollen; von denen ist kein Empfang zu erwarten, es sind die widerspenstigsten Bursche der ganzen Werke.“

Der Director zuckte die Achseln. „Aber auch die stattlichsten! All’ die Uebrigen habe ich im Dorfe und auf dem Wege hierher aufgestellt, die Elite unserer Knappschaft gehört an die Ehrenpforte. Man will bei solcher Gelegenheit doch wenigstens Staat machen mit seinen Leuten.“

Der junge Bergmann, von dem soeben die Rede war, hatte inzwischen seine Cameraden rings um die Ehrenpforte postirt und sich an ihre Spitze gestellt. Der Director hatte Recht, es waren stattliche Bursche, aber sie blieben doch sämmtlich zurück hinter der Erscheinung ihres Führers, der sie alle fast um Kopfeslänge überragte. Es war eine mächtige, kraftvolle Gestalt, dieser Hartmann, der sich in der dunklen Bergmannstracht äußerst vortheilhaft ausnahm. Das Gesicht war nicht eigentlich schön zu nennen, wenn man die strengen Regeln der Schönheit darauf in Anwendung brachte, die Stirn erschien vielleicht etwas zu niedrig, die Lippen waren zu voll, die Linien nicht edel genug, aber sicher waren diese scharf und fest gezeichneten Züge nicht gewöhnlich. Das blonde Kraushaar legte sich dicht um die breite, wuchtige Stirn, während ein blonder, gleichfalls gekräuselter Bart den unteren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_003.JPG&oldid=- (Version vom 31.7.2018)