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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

wunderbaren Empfindungen habe ich sie immer betrachtet. Das Leblose, welches das Lebendige überdauert, der stumme Zeuge eines Geschicks, das Glied einer Kette, die aus der längst verschwundenen Vergangenheit in unsere Tage reicht, hat etwas eigenthümlich Ergreifendes, und immer nur mit einer gewissen Scheu habe ich diese Reliquie berührt.

Wie natürlich also, daß mich die Geschichte Katte’s durch’s Leben beschäftigte, daß ich Alles sammelte, was an Notizen mit derselben in Zusammenhang steht. Sie ist einfach, klar, allbekannt, und mein kurzer Bericht wird dem Leser kaum etwas anderes Neues bringen, als das Bild, das ihn illustrirt. Freilich weicht meine heutige Auffassung der Verhältnisse und des Charakters wesentlich von der jener Familientradition ab und schwächt den Schmerz ab über das Geschick, aber auch den Stolz auf die Freundschaft des jungen Fürsten, der als „alter Fritz“ eine so glänzende Stelle in der Geschichte Preußens einnehmen sollte, ja der die erste Staffel baute zu dem deutschen Bau, der in jüngsten Tagen die Verhältnisse Europas so glänzend wandelte. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, möchte auch das Geschick Katte’s wie ein Zahn im Rade der Geschichte neue Bedeutung gewinnen.

Hans Hermann v. Katte ist im Jahre 1708 geboren. Sein Vater, später Feldmarschall in Königsberg, stand in der Armee; seine Mutter, wie schon erwähnt, war die Tochter des einst so einflußreichen Kriegsministers des Königs Friedrich des Ersten, des Grafen v. Wartensleben, der sich, unter Friedrich Wilhelm dem Ersten aus dem Staatsdienst zurückgetreten, ein Haus in Berlin (etwa an der Stelle, an der jetzt der Schloßbrücke gegenüber das Hôtel de Russie steht) gebaut oder dasselbe wahrscheinlich als Dotation vom König Friedrich dem Ersten erhalten hatte. Unseres Katte Mutter starb früh. Der Vater verheirathete sich zum zweiten Mal und hatte eine zahlreiche Familie aus dieser Ehe, eine ganze Reihe von Töchtern und auch mehrere Söhne, die aber unverheirathet starben, so daß dieser Zweig der Familie und mit ihm der Grafentitel, den Friedrich der Zweite dem Feldmarschall v. Katte beilegte, erlosch. Es war natürlich, daß der alte Großvater, Graf Wartensleben, sich der Erziehung Katte’s vorzugsweise annahm, sie in den Ideen seiner Zeit leitete und seine Verbindungen zu benutzen suchte, um dem Enkel eine Carrière zu machen. Aber diese Ideen wichen sehr ab von denen, in welchen Friedrich Wilhelm der Erste, der damalige König, lebte und regierte.

Friedrich der Erste, prunkliebend, unter dem Einfluß des Auslandes, namentlich des glänzenden, sittenlosen Pariser Hofes, suchte französische Form und Bildung nachzuahmen und liebte es, wenn die Söhne der preußischen Adelsfamilien auf Reisen in das Ausland gingen; der schlichte soldatische Friedrich Wilhelm der Erste dagegen war allem ausländischen Prunk und Wesen abhold, nahm es nicht hoch auf, wenn seine Landeskinder in die Fremde gingen und unpreußische Sitten und Anschauungen heimbrachten, die sich meist in geringschätzendem Spott über die karge Wirthschaft am heimischen Hofe Luft machten. Graf Wartensleben hatte seinen Enkel, treu den Auffassungen seines Königs, aber doch auf Reisen geschickt, und der geistig lebhafte, lebensfrohe, sinnliche Hans Hermann v. Katte, der nicht frei war von Eitelkeit und Ehrgeiz, hatte sich eine für seine Zeit ungewöhnliche äußere und innere Bildung angeeignet, die ihn bei dem entschuldbaren Leichtsinn der Jugend, denn er hatte kaum sein zwanzigstes Jahr überschritten, im Guten wie im Schlimmen vor seinen heimischen Standes- und Altersgenossen auszeichnete und, da er es nicht vermied, von sich reden zu machen, die Augen des Berliner Hofes und der Gesellschaft auf ihn lenkte. Er war als Officier bei den Garde-Gensd’armes eingetreten, aber der eiserne Zwang der preußischen Militärzucht wollte dem an freies und zügelloses Leben Gewöhnten ebensowenig behagen, als der prunklose, knappe Zuschnitt der geselligen Freuden in Berlin, und so zogen ihm vielfache Ausschweifungen und Insubordinationen mancherlei Rügen seiner Vorgesetzten zu, die dem Ohr des Königs nicht verschwiegen bleiben konnten. Der junge Mann war durchaus nicht nach seinem Sinn und erregte oft genug seinen Zorn, den nur die Rücksicht auf den Vater und Großvater in Schranken hielt. Er mißbilligte und verbot den intimen Verkehr des Kronprinzen mit Katte, aber bei der eigenthümlichen Stellung des Vaters zum Sohn, bei der schroffen Verschiedenheit ihrer Charaktere trug das nur noch mehr dazu bei, den Kronprinzen enger an Katte zu fesseln. Und in der That fand er in ihm Alles, was ihn anziehen mußte. Liebenswürdig, gebildet, leichtlebig, tollkühn und zum Abenteuerlichen geneigt, mit den Erfahrungen seiner Reisen, dazu um vier Jahre älter als der Kronprinz, hatte er eine gewisse Ueberlegenheit, die wieder die Verschiedenheit der Lebensstellung ausglich.

Das Verhältniß wurde immer inniger und bald nannte man allgemein den jungen Katte als den entschiedenen Günstling des Kronprinzen Friedrich. Unvorsichtig aus Eitelkeit, unüberlegt aus Tollkühnheit und Lust an Gefahren, die dem einförmigen Garnisondienst Reiz und Abwechselung gaben, trug der junge Officier die Zeichen dieser Freundschaft mehr, als gut war, zur Schau, ja er ging so weit, ein Portrait der Prinzessin Wilhelmine, der älteren Schwester des Kronprinzen, der nachmaligen geistvollen, durch ihre Memoiren berühmt gewordenen Markgräfin von Baireuth, öffentlich zu zeigen und eine freundschaftliche Vertraulichkeit auch zu dieser errathen zu lassen, die vielfach von sich reden machte. Das trug nur dazu bei, daß Neid und Mißgunst, vielleicht auch redlicher Eifer, dem Hof zu dienen, ihn beobachtete, zu verdächtigen suchte und den König immer gereizter gegen ihn machte, eine Stimmung, die in erneuerter Strenge gegen den Sohn ihren Ausdruck fand.

Der Kronprinz schüttete sein empörtes Herz gegen den Freund aus und nährte in dem Verkehr mit ihm nur den Abscheu gegen den Zwang seiner Erziehung und die Sehnsucht, ein freies Leben im Auslande kennen zu lernen. So entstand der abenteuerliche, sinnlose Plan der beiden jungen Männer, durch die Flucht aus der Heimath sich der grausamen Strenge des Königs, der langweiligen Militärzucht zu entziehen. Für Katte war das mehr als Desertion, es war Majestätsbeleidigung, fast Landesverrath. Anfangs mag der Plan nur eine Gedankenspielerei müßiger Stunden gewesen sein, aber eine tiefeingreifende Verstimmung in der Familie des Königs ließ ihn zum festen Entschluß werden. Die Königin beabsichtigte eine Doppelheirath ihrer Kinder, des Kronprinzen und der Prinzessin Wilhelmine, mit den ältesten Kindern ihres Bruders, des Königs Georg des Zweiten von England. Anfangs war der König diesem Plan nicht abgeneigt, aber österreichische Einflüsse, zumeist dann ein Hinhalten und Erschweren der Verhandlungen Seitens des englischen Hofes machten ihn ungeduldig. Er brach ab, und nun begann eine Reihe von Intriguen für den Plan, deren Fäden in der Hand der Königin sich vereinigten und in die der Kronprinz, halb aus Opposition gegen den Vater, mit hineingezogen wurde.

Katte, um sich der Königin und Prinzessin Wilhelmine nähern zu können, ließ sich leicht in’s Geheimniß ziehen, dem er durch mancherlei Verbindungen im Auslande förderlich sein konnte. Durch ihn gingen die Briefe, er bewahrte die Correspondenzen, die man bei ihm sicherer hielt als selbst in den Händen der Königin. Der König, dem alle diese Verhandlungen hinter seinem Rücken nicht völlig verborgen bleiben konnten, ließ seinen Zorn darüber zunächst an dem Kronprinzen aus, der nun wirklich, in völliger Verzweiflung über die seiner Meinung nach unwürdige Behandlung seitens des Vaters, den Fluchtplan mit Katte fest beschloß.

Mag man die Memoiren der Prinzessin Wilhelmine, in nie überwundener Gereiztheit geschrieben, für übertrieben ansehen in Bezug auf den Jähzorn und die Tyrannei des Vaters den Kindern gegenüber, darf man sie überhaupt nur unter dem Gesichtspunkte ihrer Zeit beurtheilen, so erklären sie doch, wie in der Seele des Kronprinzen ein Gedanke reifen konnte, den sonst nicht einmal seine Jugend entschuldigen könnte. Katte hatte einen großen Antheil an demselben, und mögen auch Eitelkeit, jugendliche Lust an der Gefahr bei ihm mit bewegend gewesen sein, jedenfalls waren eine schwärmerische Freundschaft und Bewunderung für den jungen Königssohn und Empörung über die diesem vom Vater widerfahrene Unbill die edleren Beweggründe, sein Leben für ihn zu wagen. In dieser Freundschaft liegt seine Entschuldigung; sie ist das Tragische seines Geschickes, das Motiv, das unsere Theilnahme für ihn berechtigt, und zugleich der Trost für seinen grausamen Tod. Er hat für diese Freundschaft sein Leben hingegeben, ist mit ihr gestorben, in dem vollen Bewußtsein, daß auch Der, dem er sein Herz hingab, diese Neigung erwiderte. Dadurch ist sein Geschick minder tragisch als das jenes unglücklichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_634.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)