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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

fördern. Aber diese selbstauferlegte Pflicht hinderte ihn nicht, unabhängige Kritik an den dieselbe nur allzu oft herausfordernden Maßregeln zu üben.

Als den Honigmonden des Verfassungslebens bald die Zeit der Verworrenheit folgte, wo Jeder ein Ausgleichsrecept feilbot, wo Graf Beust, den Hofwünschen und seinen eigenen unklaren Neigungen nachgebend, die Verfassungspartei durch Ausspielung der radicalen Elemente wider sie – in allerdings virtuoser Weise – zersetzte, bewahrte Friedländer den Principien der Partei unerschütterliche Treue. Wenn er damals in das Ausgleichsfahrwasser hinübergelenkt hätte, so war die Verfassungspartei an’s Messer geliefert. Aber sein zur Macht gewordenes Blatt bewährte sich als einen Fels, an dem sich die verworrenen Ausgleichswogen brachen, besonders als mit dem glänzenden Erfolge der deutschen Waffen und der Wiederaufrichtung des deutschen Reiches auch in Oesterreich das gehobene deutsche Nationalbewußtsein eine plötzliche und vollständige Wandlung in der allgemeinen Volksstimmung hervorbrachte.

Friedländer und Etienne waren Eines Sinnes in der Bethätigung deutscher Sympathie; das deutsche Stammesbewußtsein, das Bedürfniß nach einer Kräftigung des Deutschthums gegenüber slavischem Ansturme, die richtige Würdigung entarteter französischer Zustände, die geschichtliche Ueberlieferung Oesterreichs, dessen unbedingtes Friedensbedürfniß, die Aussicht auf eine Verbindung Oesterreichs und Deutschlands, welche die habsburgische Monarchie als deutsche Macht erhalten und den Frieden Europas für die Zukunft sichern würde, das waren die Beweggründe, welche die beiden Chefredacteure der „Neuen Freien Presse“ bestimmten, ihrem Blatte die viel angefochtene und verdächtigte deutsche Haltung zu geben.

Die Epoche Hohenwart-Schäffle war die Glanzzeit der Friedländer’schen Thätigkeit. Der damalige schmachvolle Versuch, die Deutschen aus ihrer leitenden Stellung in Oesterreich zu verdrängen und die Slaven an deren Stelle zu setzen, erregte den deutschen Mann im Innersten seiner Seele. Seine reiche Gedankenwelt schien in einer früher nicht erreichten Fülle ihre Grenzen zu erweitern und immer neue Argumente aus den Maßregeln der Gegner zu gewinnen. Die Gedanken strömten ihm in wahrer Unerschöpflichkeit zu. Seine Arbeitskraft war in’s Riesenhafte gesteigert. Diese fast fieberhafte Thätigkeit entsprach ebenso sehr einem inneren Bedürfnisse als der Sorgfalt eines umsichtigen Redacteurs, das Blatt nicht zu gefährden und der Partei nicht im entscheidenden Augenblicke ein einflußreiches Organ zu entziehen. Die Regierung versuchte auf mannigfache Art die gefährliche Opposition dieses Blattes zu brechen. Friedländer wies jeden Versuch einer Einwirkung ab. Gleich nach seinem Amtsantritte hatte auch Graf Hohenwart ihn zu einer Unterredung eingeladen, um ihm seine Absichten darzulegen.

Bezeichnend für die damals schon weitangelegten Pläne der Föderalisten ist es, daß Graf Hohenwart die centralistische Saite in Friedländer berührte und ihn durch die Aussicht auf eine gewisse auch Ungarn umfassende Staatseinheit gewinnen zu können glaubte. Friedländer erwiderte trocken, die Verfassungspartei habe zwar den Vertrag mit Ungarn nicht gern geschlossen, aber sie sei gewohnt, Verträge zu halten. Selbst Schäffle fühlte – allerdings in einer späteren Epoche – das Bedürfniß, sich Friedländer zu nähern. Er ließ durch einen gemeinsamen Bekannten untergeordneter Art – denn Schäffle stand als Minister social sehr vereinsamt da – Friedländer bitten, ihn in seinem Ministerhôtel zu besuchen. Der Eingeladene antwortete mit einer kurz angebundenen Ablehnung. Darauf ließ Schäffle anfragen, ob Friedländer ihn in der Redaction empfangen würde. Abermaliges „Nein“ mit dem Zusatze, falls Schäffle vorsprechen sollte, würde Friedländer sich verleugnen lassen. Endlich bat Schäffle, ihm, nicht dem Minister, sondern dem Professor, eine Unterredung in Friedländer’s Privatwohnung zu gestatten. Friedländer sagte zu, und in zwei Sommernächten, zwischen zehneinhalb und zwölf Uhr, schlich der Minister nach dem in Döbling gelegenen Landhause des Publicisten. Mit welchem Erfolge, ist bekannt. Die unerschütterliche Haltung der „Neuen Freien Presse“ belebte die tief herabgestimmte Verfassungspartei, deren Muth in allen Kreisen, um mit einem der bedeutendsten österreichischen Dichter zu sprechen, im Grunde doch nur „geschminkte Furcht“ war.

Die aufreibende, ein in Friedländer ungeahnt schlummerndes Herzleiden nur allzu sehr fördernde Thätigkeit hatte Erfolg. Als ob die Vorsehung ihm nur so lange seine volle Kraft gewahrt hätte, als der slavisch-feudale Gegner zu bekämpfen war, brach dieselbe nach dem Siege der Verfassungspartei zusammen. Er wurde leidend, war des Tages wiederholt von Krampfanfällen heimgesucht, brachte die Nächte zum Theile schlaflos zu und hatte wiederholt Ohnmachtsanfälle. Die zu Rathe gezogenen Aerzte, darunter Capacitäten ersten Ranges, wie Skoda, erkannten das Leiden nicht und diagnosticirten auf eine Affection des Frontalnervs; allerdings nicht völlig unbesorgt über den Zustand Friedländer’s, empfahlen sie demselben Luftveränderung. Friedländer, der trotz des Leidens sich seiner gewohnten journalistischen Thätigkeit hingegeben hatte, ging nach Nizza, fühlte sich dort in kurzer Zeit sehr erleichtert und kehrte, anscheinend wohl, über Paris nach Wien zurück; nur eine starke Heiserkeit war zurückgeblieben. Die jetzt consultirten Aerzte, Schrötter und Bamberger, sahen nun tiefer; sie erkannten, daß Friedländer an einem Herzfehler leide, und insbesondere der Letztere – der Nachfolger Oppolzers auf dem Universitätsstuhle – erklärte das Leben Friedländer’s als unmittelbar bedroht. Diese Diagnose war nur zu richtig. In der Nacht vom 20. auf den 21. April war Friedländer nach kurzem Todeskampfe eine Leiche. Er starb an Erweiterung der großen Körperpulsader.

In ihm hat Oesterreich einen wahren Patrioten verloren, der, obwohl auf preußischer Scholle geboren, doch durch und durch Oesterreicher war und sich wie vielleicht Wenige in das Detail der inneren österreichischen Politik eingelebt hatte. Es ist eine häufig zu beobachtende Erscheinung, daß die begabten, gründlich gebildeten Norddeutschen nach kurzem Aufenthalte in diesem Reiche mit Leib und Seele Oesterreicher werden, während die unwissenden Einwanderer sich stets hochmüthig absprechend gegen ihr Adoptivvaterland zeigen. Auf jene wirkt gewinnend und begeisternd das frisch-gesunde, oft kindlich naive, aber äußerst lernbegierige, für Großes und Edles leicht zu begeisternde Volksthum, das edlem Thone gleicht, welchen die in strenger preußischer Schule erzogenen, an den kategorischen Imperativ gewöhnten und darum zum Leiten befähigten Norddeutschen zu den vollendetsten Schöpfungen zu gestalten vermögen. Und Friedländer folgte dem Zuge der gebildeten Preußen: er wurde ein leidenschaftlicher Oesterreicher, nachsichtig gegen alle Schwächen seiner neuen, streng gegen die Fehler seiner alten Landsleute. Der Verfassungspartei ist in ihm ihr bedeutendster publicistischer Kämpfer entrissen worden, der sie oft wie mit athletischen Armen über den Abgrund, in den sie zu versinken drohte, emporgehalten und dem sie in ihrer von ihm in vertraulichem Kreise oft genug gegeißelten Schwäche durch Gründung eines allerdings dahinsiechenden Parteiblattes mit Undank lohnte. Seine publicistischen Freunde und Gesinnungsgenossen entbehren den Führer, dem sie gerne folgten, weil sie seine Ueberlegenheit willig anerkannten.

Und seine Familie … ja, da zerschnitt der Tod ein Band, das mit der Stärke der innigsten Liebe Herzen verknüpfte. Friedländer war seit etwa zehn Jahren mit der früheren Schauspielerin Regine Delia verheirathet, welcher Ehe vier Kinder entsprossen. Sein Familienleben war ein außerordentlich glückliches, ein geradezu leuchtendes Muster deutscher Innigkeit. Anscheinend kalt, gleichgültig gegen die Menschen, wortkarg, formlos im Umgange mit denselben, sein Gemüthsleben tief in sich verschließend, öffnete sich sein Herz, wenn er nach vollbrachter Arbeit die Wohnräume seiner Familie betrat. Da belebten Strahlen herzinnigsten Glückes, ein Wiederschein seiner Seelenempfindung, sein Antlitz, seine Kälte und Gleichgültigkeit wich dem lebendigsten Interesse, der vollen, fast leidenschaftlichen Hingebung an seine Theuren, die Wortkargheit war verschwunden die Formlosigkeit machte den zartesten Aufmerksamkeiten Platz, mit welchen er seine geliebte Frau überschüttete. Die Abende waren häufig der Geselligkeit gewidmet; das Ehepaar Friedländer empfing die beste Gesellschaft in seinen mit feinstem Geschmacke ausgestatteten Salons, welcher Verkehr gleichzeitig mit ein Element des politischen Einflusses war, den Friedländer übte. Nun herrscht Trauer und Vereinsamung in diesen prächtigen Räumen. Die Glücksgüter sind seiner Frau geblieben; dafür sorgt sein letzter Wille, der mehr als durch die Nachlaßbestimmungen durch den rührenden Ton der Rede von der Liebe des Verstorbenen zu ihr Zeugniß giebt: „Mein letzter Gedanke,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_469.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)