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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

so klösterlich einfach, so ascetisch nüchtern war dies Entrée. Und doch – dort an der Wand hing ein bunt gemaltes Madonnenbild. Verführerisch schön, holdselig lächelnd schaute sie aus ihrem goldenen Rahmen, nicht die ernste hohe Königin des Himmels, sondern die Madonna des Gastzimmers, ganz im Gegensatz zu ihrer hehren Schwester, der wir später im Refectorium begegneten. Es blieb ihr vorbehalten, zunächst die Honneurs des Hauses zu machen, denn der dienende Bruder entfaltete ein sehr zurückhaltendes scheues Wesen, so daß wir anfangs glauben mochten, es habe sich ihm die Signatur des Mönchs von Wittenberg auf unserer Stirn verrathen. Auch der „Herrscher des Hauses“, der Herr Pater Guardian, verleugnete sich hartnäckig, und so konnten wir die ganze Heimlichkeit und Unheimlichkeit des klösterlichen Bannes auf uns wirken lassen. So konnten wir in einem Bilde des stillen Kreuzganges die Schrecken des jüngsten Gerichtes vor uns gezaubert sehen; dann wieder den milden freundlichen Eindruck einer reichgeschmückten Capelle mit ihren schillernden glänzenden Farben, Schnitzwerk und Bildnereien auf uns wirken lassen. Abwechselnd streiften unsere Blicke auch in dem aufgelegten Fremdenbuch umher mit seinen meist sehr profanen Bemerkungen und wie gewöhnlich recht geschmacklosen Reimereien, von denen wir uns nur die charakteristischen Worte eines katholischen Pfarrers hierher verzeichnen wollen, weil sie gewissermaßen eine Passionsgeschichte des ganzen Standes wiedergeben. Sie lauteten:

„Von dem Kreuze erlöst durch die Reise zum heiligen Kreuzberg,
     Kehre vom Kreuzberg ich wieder zum Kreuze zurück.“

Endlich war nach einem Gang auf die Spitze des Berges, welche jenes mächtige Kreuz trägt, als den Schlußstein der vierzehn steinernen Stationsbilder, in denen die Leidensgeschichte des Erlösers bildlich dargestellt ist, Mittag herangekommen, der Tisch gedeckt, das Mahl aufgetragen, und als wir nun lebhaft das Verlangen nach „kühlem Klosterwein“ äußerten, da trat endlich auch der Herr Guardian in den Gesichtskreis, um uns zuvörderst anzuzeigen, daß hingesehen auf ihre Eigenschaft als „Bettelmönche“ ihnen weiter nichts an Wein zu Gebote stünde, als die beim Terminiren eingeheimste vaterländische Species eines einfachen, aber reinen Frankenweins. Die Sorte wurde nothgedrungen acceptirt und der Herr Guardian mit zu Gaste geladen, eine Einladung, die sich allerdings etwas komisch ausnahm, da man in Klöstern eigentlich nichts bezahlt, d. h. nichts abverlangt erhält, sondern dort zu Gaste ist. Der Herr Guardian blieb indeß zur Stelle, auch der Terminswein kam zu Ehren und erwies sich trotz seiner frischen Herbe als ein trefflicher Herzenssprenger. Und so kamen denn auch alsbald aus der groben dunkeln Mönchskutte allerlei wundersame Offenbarungen zu Tage. Es war eine gedrungene, hartknochige, derbe Gestalt, wie er so vor uns saß, der Herr Guardian. Stirn, Nase und Wangen in dem breiten Gesichte leuchteten von gesunder Röthe, die runden Augen blickten anfangs etwas scheu, wie nach einem Halt suchend, und die eine Hand spielte mit der Tabaksdose. Dazu die einfache braune Kutte, welche ohne alle modische Zuthat den Leib gleich vom Halse an umschloß; diese ganze Erscheinung war wahrhaftig nicht dazu angethan, große Erwartungen auf dem Gebiete geistiger Ausbeute zu erfüllen. Und doch erwies sich dieser in seinem äußeren Habitus einer längst vergangenen Zeitepoche angehörige Mönch als ein gründlicher Gelehrter auf dem besonderen, übrigens auch von anderen katholischen Geistlichen ausgebeuteten Gebiete der vergleichenden Sprachkunde, als ein Forscher des Sanskrit, der semitischen und altindischen Sprachen. Und ehe wir’s uns versahen, saßen wir mit ihm an dem Ursitze der Menschheit und der Sprachstämme, da, wo der Ganges rauscht und die Lotosblume blüht. Rasch schloß sich so zwischen ihm und uns das Band geistiger Gemeinschaft, vor dem die Gegensätze der Confession schwanden. Das matte scheue Auge belebte sich zu einem ruhigen heiteren Glanze.

Wir waren des gewonnenen Terrains so sicher, daß wir die confessionellen Gegensätze selbst herausforderten und – es ist dies nun einmal die alte deutsche Art oder Unart – auf das religiöse Gebiet muthig hinüberdrangen. Willig folgte uns der braune Mönch auf den gefährlichen Boden. Auf dem von der Wissenschaft geebneten Wege freier Bekenntniß breitete er in seinem gemüthlich anheimelnden oberbairischen Dialecte, anfangs nur schüchtern, dann immer rückhaltloser vor unsern Augen das Bild eines tief erregten Lebens voll heißer Arbeit wie harter Entsagung aus, das Leben eines Geistes, der, als er einmal versucht hatte anzukämpfen gegen die schneidige Fessel, die in früher Zeit bewußtlosen Denkens sich um ihn geschlungen hatte, zu strenger Pönitenz an diesen Fels geschmiedet worden war. So stand er vor uns in verklärter Weihe, ein Kreuzträger des Mittelalters mitten im neunzehnten Jahrhundert. Dem freien Austausch der Erfahrungen und Meinungen stand nun nichts mehr im Wege.

In seiner drastischen Weise schilderte der Weltentrückte, offenbar froh, wieder einmal Fühlung mit der Welt da draußen gewonnen zu haben, die einförmig wechselnden Bilder des Lebens auf diesem deutschen Sanct-Bernhardskloster. Im Sommer war das Bild ein oft sehr belebtes. Da rückte das bunte Treiben der Welt sehr nahe heran, denn der Kreuzberg bildet in der zugängigen Zeit des Hochsommers das allgemeine Wallerziel für fast das ganze katholische Frankenland, namentlich an bestimmten Festtagen. Dann beleben sich die kahlen Scheitel des Berges mit fast zu Tausenden zählenden Pilgern. Kloster und Kirche können die Zahl nicht fassen. Von Station zu Station bis hinauf zur Statt des Kreuzes lagert die buntfarbige Menge, jeden Alters und Geschlechts. Das ist dann eine aufreibende Zeit für unsern Pater, es bleibt ihm nur der Weg zwischen Altar und Beichtstuhl. Zu letzterem drängen sich die Schaaren von Morgens früh bis zum späten Abend. Um ihn aber lagert’s in dichten Haufen singend und laut betend, kommend und gehend. Da ist’s dem hartbedrängten Priester oft nicht möglich, sein eigenes, geschweige das fremde Wort zu hören. Dann erhebt er sich von seinem Stuhle und heischt mit seiner gewaltigen Stimme Ruhe von der wildbethörten Menge. Vergebens: seine Stimme tönt mahnender und dräuender, die Zauberformel versagt, er kann den tosenden Strom nicht beschwören.

„Ja, glauben’s mir, da schreien’s vom Morgen bis Abend und die Nacht hindurch bis wieder zum Morgen, und so fort oft ganzer drei Tage. Da hilft kein Reden und Rufen. O, die Leute! Das Volk ist gar zu stock – dös ist,“ setzte er dann, als er die Wirkung seiner Rede auf unseren lächelnden Mienen verspürte, sich corrigirend hinzu, „dös ist die – Begeisterung.“

Nach der heißen Arbeit des Sommers kommt dann die harte des Winters, der aus diesen ungastlichen Höhen fast drei Viertheile des Jahres für sich in Anspruch nimmt, Kloster und Kirchlein bis hinauf zur Dachung in seine Schneedecke hüllt, und Weg und Stege tief vergräbt. Dazu heult und rast der Sturmwind und jagt die flockigen Massen in dämonischer Kurzweil auf-, über- und untereinander. Dennoch ist es dem Pater und seinen Genossen nicht vergönnt, in schützender Zelle bleiben zu können. Er muß hinab in die um den Berg herum liegenden Ortschaften und Gehöfte, dort Predigt und geistlichen Segen zu spenden. Es gilt dann einen Kampf mit den Gewalten der Natur zu führen oft um Leben und Tod. Es gehört dazu die ganze Spannkraft und robuste Zähigkeit eines Körpers wie des seinigen, denn mit der „Begeisterung“ allein wär’s da nicht gethan.

Westlich thalabwärts vom Kreuzberg führt ein klarer, allmählich zu einem Fluß sich erweiternder Waldbach, die Sinn, zu einem der lauschigsten Plätzchen auf diesem Erdenrund. Denn ein solches ist das Stahlbad Brückenau. In einem anmuthig frischen Wiesengrund, einbezirkt von mächtig zum Himmel anstrebenden Bergen, die aber nicht wie ihre anderen rauhen Brüder der nördlichen und östlichen Rhön kahl und unwirthsam, sondern mit den prächtigsten Eichen, Buchen und Tannen vom Scheitel bis hinab in das schmale Wiesenthal bedeckt sind, gegen den Brand der Sonne wie gegen den Andrang rauher Winde gleichmäßig schützend, da liegt es drinnen mit seinen paar Gebäuden, hingestreckt, bürgerlich einfach, aber traulich behaglich. Nur auf der südwestlichen Thalöffnung erhebt sich vor dem überraschten Auge der imposante, erhabene Bau eines säulengetragenen griechischen Tempels, den profanen Zwecken von Tanz und Spiel und Speisung geweiht. Er ist eines der gewaltigen steinernen Gedichte König Ludwig des Ersten von Baiern, die seine gedruckten wohl lange überdauern möchten.

Die Badegäste, denen wir auf dem blumigen Curplatz, anmuthigen Wiesenpfaden und schattigen Waldwegen begegnen, bestehen zum überwiegenden Theile aus Damen. Uns interessirt zunächst eine unter denselben dahin wandelnde braune Franziskanerkutte. Es ist das leibhaftige Seitenstück zu dem Pater des Kreuzbergs. Die Kleidung streng nach der Ordensregel, bis auf den die Lenden gürtenden Strick, aber wie blendend weiß, wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_360.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)