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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 8.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Am Altar.
Von E. Werner, Verfasser des „Helden der Feder“.
(Fortsetzung.)


Bernhard überstürzte Lucie ganz plötzlich und ohne alle Vorbereitung mit der Frage. Lucie erröthete tief und glühend, aber der Bruder hatte Recht, sie war zu einer Lüge nicht fähig.

„Nur einmal, am Tage darauf!“ sagte sie leise.

„An jenem Tage also, wo Du allein im Walde warst?“ Günther schickte einen bedeutsamen Blick zu Franziska hinüber, die sich ärgerlich abwandte, denn Luciens Benehmen stimmte freilich verzweifelt wenig zu ihrer Behauptung, der Graf sei dem jungen Mädchen gleichgültig.

„Hat er Dir wieder von Liebe gesprochen?“ fuhr Bernhard fort.

„Nein!“ Es war augenscheinlich, daß das Examen Lucie bereits zu peinigen begann und daß sie es nicht lange aushalten werde. „Wir sprachen überhaupt nur wenige Worte zusammen. Er bot mir seine Begleitung an.“

„Die Du annahmst?“

Die Gluth floß noch heißer als vorhin über Luciens Wangen. „Ich bin nicht mit ihm gegangen!“ sagte sie kurz mit fliegendem Athem, „er blieb auf der Bergwiese zurück – und nun, Bernhard, frage mich nichts mehr, Du siehst, Dein Verbot ist befolgt worden, ich antworte jetzt keine Silbe mehr!“

Sie preßte trotzig die Lippen zusammen, Bernhard sah wohl, daß ihr kein Wort mehr zu entreißen war, und er kannte seine eigensinnige Schwester zu gut, um hier Strenge anzuwenden.

„Es ist gut!“ sagte er ernst. „Mir genügt es, daß der Graf Dich nicht begleitete und daß Du ihn seitdem nicht wieder gesprochen hast. Letzteres ist doch nicht der Fall gewesen?“

„Nein!“

„Nun höre einer das Kind an!“ sagte Franziska mit unverhehltem Erstaunen. „Wie kommen Sie auf einmal zu diesem energischen Nein, Lucie? Man glaubt Ihren Bruder zu hören!“

Das junge Mädchen wandte sich ab, aber die eben noch so energisch zusammengepreßten Lippen bebten leise, es war unverkennbar, daß es sie unendlich quälte, jene Begegnung von Anderen auch nur berührt zu sehen, und nun goß Franziska mit dem besten Willen von der Welt auch noch Oel in’s Feuer.

„Aber weshalb wollen Sie uns durchaus nicht sagen, was zwischen Ihnen und dem Grafen –“

„O mein Gott, so quälen Sie mich doch nicht immer und ewig mit dem Grafen!“ brach Lucie mit einer so leidenschaftlichen Heftigkeit aus, daß Franziska, ganz die Unart der Antwort übersehend, erschreckt auf sie zueilte.

„Dacht’ ich’s doch, da sind die Thränen wieder!“ sagte sie halblaut und wollte das junge Mädchen in ihre Arme nehmen. Aber Lucie schien wenig empfänglich für diese Theilnahme, sie machte sich hastig los, die Thränen versiechten plötzlich und der Mund zwang sich zu einem Lächeln.

„Ich weine ja gar nicht, durchaus nicht! Aber ich muß jetzt hinüber, mich umzukleiden, da Bernhard in einer halben Stunde mit mir nach C. fahren will. Er zuckt immer so spöttisch die Achseln, wenn ich nicht pünktlich bin; diesmal soll er gewiß nicht auf mich warten!“

Sie war aus dem Zimmer, kopfschüttelnd blickte ihr Franziska nach.

„Jetzt wirft sie sich wieder drüben auf’s Sopha und weint! Wollen Sie mir nun endlich glauben, daß das Kind unglücklich ist, ohne es sich und uns eingestehen zu wollen?“

Günther war aufgestanden und ging gedankenvoll im Zimmer auf und nieder. „Sie haben Recht! Ich glaubte nicht, daß die Sache so ernst sei! Ihr Interesse für den Grafen scheint mehr zu sein, als eine flüchtige Regung der Eitelkeit, und doch wies sie seine Begleitung zurück! Ich hätte nie geglaubt, daß meine Warnung so tief bei ihr gehen würde.“

„Ich auch nicht!“ sagte Franziska sehr aufrichtig. „Lucie pflegt gewöhnlich das Gegentheil von dem zu thun, was man ihr anempfiehlt.“

„Gleichviel! Ich hätte am liebsten jede Berührung mit den Rhanecks vermieden, indessen der Sache muß ein Ende gemacht werden, ich sehe es jetzt ein! Ich werde mir schriftlich jede fernere Annäherung des Grafen an Dobra und an meine Schwester verbitten. Sein Benehmen auf dem Balle giebt mir das Recht dazu und raubt ihm den Vorwand, sein fortwährendes Erscheinen hier für eine Zufälligkeit auszugeben.“

„Thun Sie das!“ stimmte Franziska eifrig bei. „Ich wollte, ich könnte Ihnen den Brief dictiren, der Graf sollte da etwas zu lesen bekommen, wie es ihm wahrscheinlich in seinem ganzen Leben noch nicht geboten worden ist!“

Trotz seiner umwölkten Stirn flog dennoch ein Lächeln über Günther’s Gesicht. „Ich glaube, es ist doch besser, ich schreibe diesmal ohne Dictat. Fürchten Sie übrigens nicht, daß der Brief zu zahm ausfällt, man kann sehr ruhig und sehr vernichtend sein, und ich habe jetzt keinen Grund mehr, den Grafen zu schonen, seit ich Luciens sicher bin. Sie sorgen doch, daß Lucie zur bestimmten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_117.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2018)