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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Während Alle entrüstet durcheinander sprachen, kam er herüber in das Krankenzimmer, wo ich im Halbdunkel neben dem Bett saß. Er bog sich lauschend über meinen Vater, der, unberührt von Allem, was um ihn her vorging, fort und fort eintönig murmelte.

„Er ist glücklich in seinen Phantasien, er ist im sonnigen Griechenland,“ flüsterte mir Herr Claudius nach einer Pause zu. … Er stand dicht neben mir – da griff ich mit beiden Händen rasch nach seiner Rechten und drückte sie an meine Lippen – mein Vergehen, meine einstige Rauhheit gegen ihn war gesühnt.

Er taumelte förmlich zurück – kein Wort kam über seine Lippen; aber er legte seine Hand auf meinen Scheitel, bog mir den Kopf in den Nacken, und sah mir tief und forschend in die Augen – ach, wie schwer lagen die Lider über seinen schönen, blauen Augensternen!

„Ist nun Alles gut zwischen uns, Lenore?“ fragte er endlich in halberstickten Lauten.

Ich neigte lebhaft bejahend den Kopf, ohne daran zu denken, daß ja noch das finstere Geheimniß zwischen uns lag.




31.

Mehrere Tage lang schwebte mein Vater zwischen Leben und Tod. Jener Anfall von Tobsucht, in Folge dessen er den Brand in der Karolinenlust verursacht, war nicht, wie ich gefürchtet, Wahnsinn, sondern der erste Paroxysmus einer nicht beachteten, schon seit Tagen in ihm wühlenden nervösen Krankheit gewesen. Die Gefahr, die über seinem Leben hing, konnte mir nicht verborgen bleiben, und so saß ich Tag und Nacht an seinem Bett und meinte in der alten trotzigen Weise, der Tod könne es gar nicht wagen, unter meinen stets wachen Augen den schwachen Lebensfunken auszulöschen. … Ob er sich vor der dräuenden Mädchenseele in der That gefürchtet, ich weiß es nicht – aber er ging vorüber, und nach einer Woche voll unaussprechlicher Angst erklärten die Aerzte den Kranken für gerettet. Außer Frau Helldorf stand mir noch eine tüchtige Wärterin zur Seite, und der Leibarzt des Herzogs, den Seine Hoheit selbst geschickt, blieb stundenlang in der Karolinenlust und wachte ängstlich über „das kostbare Leben des berühmten Gelehrten“. … Es erwies sich nun auch als eine sehr irrige Voraussetzung der guten Residenz K., daß die Münzenaffaire meinen Vater bei Hofe nothwendig stürzen müsse – nie war der Herzog liebevoller und theilnehmender gewesen, als während dieser schweren Zeit; täglich mehrere Male erschienen seine Boten um sich nach dem Ergehen des Kranken zu erkundigen, und mit ihnen stellte sich auch der mehr oder minder betreßte Lakaientroß der plötzlich wieder niederduckenden Hofcoterie ein.

Im Vorderhause hatte man auch ein Krankenzimmer einrichten müssen – ein dunkles, tief verhangenes. … Herr Claudius hatte sich bei dem verhängnißvollen Sturz eine schmerzvolle Ausrenkung des Armes zugezogen, dazu kam eine heftige, durch den erstickenden Rauch und die blendenden Flammen hervorgerufene Augenentzündung, die anfänglich den Arzt das Schlimmste befürchten ließ. Ich litt unbeschreiblich, denn ich durfte ihn ja nicht sehen. Wenn mich aber die Aerzte vom Krankenbett fort, in’s Freie hinaus scheuchten, um nur einmal wenigstens frische Luft zu schöpfen, dann lief ich in das Vorderhaus und ruhete nicht, bis Fräulein Fliedner herauskam und mir persönlich Bericht erstattete. … Inmitten seiner schweren Leiden vergaß er doch die kleine Lenore nicht. Die Fenstersimse und Blumentische in meinem Zimmer waren zu Veilchen-, Maiblumen- und Hyacinthenbeeten geworden – ich fühlte mich stets beim Eintritt in Frühlingsodem förmlich versinken. Der Leibarzt meinte, Haideprinzeßchen werde nächstens den poetischen Tod durch Blüthenduft sterben, und der alte Schäfer vertraute mir schmunzelnd, im Treibhause sähe es gräulich leer aus, und der Obergärtner schneide ein grimmiges Gesicht. Frau Helldorf, die Aerzte, die Wartefrau, wer sich ein wenig von der Lust der Krankenstube erholen wollte, der flüchtete in das köstlich ausgeschmückte Zimmer; nur eine Person sah es mit ungnädigen Augen an, und das war meine Tante Christine.

So lange mein Vater bewußtlos dalag, kam sie täglich herüber, mich zu besuchen. Ich muß gestehen, daß ich stets zitterte, wenn ich ihren leichten schwebenden Schritt hörte; ihr erstes Erscheinen am Krankenbett hatte mich tief niedergeschmettert. Mit der graziösesten Wendung ihres schönen Kopfes hatte sie mir bei Erblicken des verfallenen Leidensgesichtes rückhaltslos zugeflüstert: „Kind, mache Dich auf das Schlimmste gefaßt – er geht rasch seinem Ende entgegen.“ – Seitdem fürchtete ich sie; Groll und Verdruß aber stiegen in mir auf, als sie eines Tages in mein Zimmer kam.

„Gott, wie himmlisch!“ rief sie und schlug in ihre rosig weißen Hände. „Herz, Du mußt über bedeutende Nadelgelder zu verfügen haben, daß Du Dir einen solchen außerordentlichen Luxus erlauben kannst!“

„Ich habe die Blumen nicht gekauft – Herr Claudius hat das Zimmer ausschmücken lassen,“ sagte ich beleidigt, – ich, und Luxus treiben!

Sie fuhr herum, und ich sah zum ersten Mal, daß diese prachtvollen sanftmüthigen Augen Blicke, scharf wie Dolchspitzen, schießen konnten.

„Es ist Dein Zimmer, Lenore?“ fragte sie in schneidendem Tone.

Ich bejahte!

„Ach, Kindchen, dann ist es wohl ein Irrthum Deinerseits! Nun, nun, das ist sehr verzeihlich, Du bist ja noch ein Kind!“ meinte sie darauf gutmüthig lächelnd und strich mir mit ihrem sammetweichen Finger schäkernd über die Wange. „Schau, der alte Schäfer ist solch ein Blumennarr – er wird Dir das Stübchen so zum Ersticken vollgestopft haben – Schelm, mir scheint, Du hast bei ihm einen Stein im Brett! … Ein Mann, wie Herr Claudius, so ernst, und so sehr in eine unbeglückte Vergangenheit vertieft – ich weiß das ja durch Dich und Frau Helldorf –, kommt sicher nicht auf die Idee, solch ein kleines – na, nimm mir’s nicht übel, kleine Maus –, ein wunderkleines Backfischchen mit dem Flor seiner Treibhäuser förmlich zu überschütten.“

Ich schwieg und schluckte meinen Groll hinunter. Ihre Behauptungen hätten mich sehr niederschlagen können, denn es war ja nicht zu leugnen, neben ihr, der Junogestalt, war ich das unbedeutendste Geschöpfchen, das sich denken ließ – aber die Blumen waren doch von Herrn Claudius, ich wußte es genau, wenn ich auch die beseligende Gewißheit tief im Herzen versteckte. … Meine Tante betrat das Zimmer nicht wieder, sie versicherte, der einmalige kurze Aufenthalt in der „Treibhausluft“ habe ihr entsetzliche Kopfschmerzen verursacht. … Seltsam, daß es der schönen Frau mit der sanften Stimme und dem geschmeidigen Wesen nicht gelingen wollte, sich im Schweizerhäuschen einzuschmeicheln! Der alte Schäfer machte mir stets ein vorwurfsvolles Gesicht, wenn ich auf Tante Christine zu reden kam, und meinte, sein schönes sauberes Stübchen sähe zum Spectakel aus – die Dame rühre kein Staubtuch an, und scheine gar nicht zu wissen, wozu die Nägel an den Wänden seien – sie lasse die Kleider auf dem Fußboden liegen; und Frau Helldorf zürnte ernstlich, als sie eines Tages sah, wie ich meiner Tante Geld gab.

„Sie versündigen sich förmlich,“ sagte sie, als wir allein waren, „denn Sie unterstützen geflissentlich die Faulheit und Verschwendung. … Drüben stehen die Tische voll Naschwerk aller Art – die Frau sollte sich schämen, Austern und marinirten Aal zu essen, die Champagnerflaschen hinter dem Sopha stehen zu haben, und das Alles durch Sie bezahlen zu lassen! – Das können Sie unmöglich durchsetzen! … Mag sie doch mit Gesangsunterricht ihr Brod verdienen – ihr Stimme ist ausgesungen, aber sie hat eine brillante Schule.“

Zu meiner eigenen Beruhigung konnte ich ihr versichern, daß das jedenfalls auch geschehen werde; Tante Christine habe wiederholt gesagt, daß sie einen festen Plan verfolge. Sie bedürfe zu der Ausführung aber eines männlichen Rathes und Beistandes und habe gehofft, Beides bei meinem Vater zu finden; nun er sie jedoch so lieblos verstoßen, wolle sie warten, bis Herr Claudius genesen sei – nach Allem, was sie von diesem Manne höre, sei er am ersten im Stande, ihr für einen längern Aufenthalt in K. Rath und Unterstützung zu gewähren. Ich fand an der Idee nichts auszusetzen und ward ein klein wenig unwillig, als Frau Helldorf mit Kopfschütteln meinte, Herr Claudius werde sich schwerlich damit befassen, wenn er einmal der Dame in das geschminkte Gesicht gesehen habe.

Die kleine Frau war mir in der Leidenszeit unbeschreiblich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 847. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_847.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)