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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

trotzdem daß sich dieselben in Entfernungen befinden, von denen es schwer ist, sich eine rechte Vorstellung zu machen. So braucht das Licht, welches bekanntlich zweiundvierzigtausend geographische Meilen in der Secunde zurücklegt, ungefähr drei und ein halb Jahre, um von dem nächsten der Fixsterne, α im Centaur, bis zur Erde zu gelangen, während die große Zahl der meisten übrigen in unermeßlichen Weiten schwebt. Und doch sagt uns die spectralanalytische Untersuchung dieser Sterne, daß Eisen, Calcium, Natrium, Magnesium etc. auf denselben vorkommen, Körper, die auch auf der Erde eine allgemeine Verbreitung haben.

Diese Anwendung des Spectroskops zur Nachweisung der Stoffe, aus denen die Himmelskörper gebildet sind, würde schon allein genügen, dasselbe zu einem der wichtigsten astronomischen Instrumente zu machen. Wie vielmehr ist dies dadurch der Fall, daß seine Verwendbarkeit in der Astronomie in stetem Wachsen begriffen ist. So gelang es vor einigen Jahren, dasselbe zur Beobachtung der Protuberanzen, jener gasartigen Eruptionen, welche auf der Sonne stattfinden, nutzbar zu machen. Dieselben konnten früher nur bei totalen Sonnenfinsternissen gesehen werden, und bis vor Kurzem war man über die Natur dieser Erscheinungen vollständig im Unklaren. Bei der Sonnenfinsterniß im Jahre 1868, welche in Asien vielfach beobachtet wurde, und zu welcher auch der norddeutsche Bund eine Expedition ausgerüstet hatte, machte man die Entdeckung, daß diese Protuberanzen gasartiger Natur seien und größtentheils aus Wasserstoffgas bestünden. Hierauf fußend gelang es Janssen in Paris und Lockyer in London unabhängig von einander eine Methode zu finden, mit deren Hülfe man sich jederzeit auch ohne Verfinsterung der Sonne von der steten Anwesenheit der Protuberanzen überzeugen konnte, eine Methode, die kurze Zeit darauf durch eine einfache Modification von Professor Zöllner in Leipzig fast gleichzeitig mit Lockyer derartig vervollkommnet wurde, daß man gegenwärtig im Stande ist, jene bisher so räthselhaften Gebilde in ihrer ganzen Ausdehnung und wechselvollen Gestaltung an jedem heiteren Tage zu beobachten. Dieselben zeigen entweder springbrunnen- und baumartige Formen, oder sie schweben als abgesonderte Wolken in einer gewissen Höhe über der Sonnenoberfläche. Meistentheils sind sie einer sehr raschen Veränderung unterworfen. Das glühende Wasserstoffgas, aus dem sie bestehen, wird zuweilen bis zu einer Höhe von fünftausend Meilen aus der Sonne hervorgeschleudert und zwar mit einer Geschwindigkeit von vier bis fünf Meilen in der Secunde. Die Bestimmung derartiger großer kosmischer Geschwindigkeiten geschieht ebenfalls mit Hülfe des Spectroskops, und die Grenzen seiner Verwendbarkeit erweitern sich dadurch ganz beträchtlich.

Es ist hier nicht der Ort näher auf die Theorie spectralanalytischer Beobachtungen von Gestirnen einzugehen, daher haben wir uns darauf beschränkt, der wichtigen erzielten Resultate zu gedenken, und wenden uns jetzt zu dem bereits erwähnten Positionsmikrometer des Fernrohrs.

Da wir nicht voraussetzen können, daß allen Lesern dieses Instrument bekannt ist, so soll hier bemerkt werden, daß dasselbe dazu dient, die gegenseitige Lage der Gestirne am Himmel genau zu messen. Diese Messung geschieht im Allgemeinen durch feste und bewegliche Spinnenfäden, welche in diesem Instrumente ausgespannt sind. Dieselben können sowohl hell auf dunklem Grunde, als dunkel auf hellem Grunde erscheinen, je nachdem es die verschiedene Lichtstärke des zu beobachtenden Objectes benöthigt und man das Licht einer seitlich am Fernrohr angebrachten Lampe F. regulirt. Ein derartiger Positionsmikrometer muß selbstverständlich mit außerordentlicher Genauigkeit ausgeführt sein; hauptsächlich gilt dies von einer feinen Schraube, deren Umdrehungen der Maßstab für die Messungen sind.

Der dem Fernrohr beigegebene photographische Apparat dient zur Aufnahme von Sonne, Mond, Planeten und größeren Fixsternen. Die Photographie von Himmelskörpern, ausgenommen die Sonne, welche Momentbilder liefert, ist mit einer Schwierigkeit verbunden, deren vollkommene Ueberwindung durchaus nicht leicht ist. Es ist dies die Drehung unserer Erde um ihre Axe, jene continuirliche Bewegung, welche das Auf- und Untergehen der Gestirne bewirkt. Es wird dadurch das Bild in der Camera obscura immer an eine andere Stelle rücken, und die Erzeugung einer scharfen Photographie unmöglich machen, wenn das Fernrohr nicht mit einem sehr guten Uhrwerk in Verbindung gebracht werden kann, welches bewirkt, daß es immer genau nach dem betreffenden Himmelskörper gerichtet bleibt.

Das bereits erwähnte Uhrwerk von Eichens in Paris erfüllt diese Bedingung in seltener Weise. Die Bewegung, welche es hervorbringt, ist trotz der großen Massen, die bewegt werden müssen, und die nicht immer einen gleichen Widerstand bieten, so gleichförmig und sicher, daß das Bild eines Sternes unverändert an ein und derselben Stelle bleibt. Es ist dies nicht nur zu photographischen Zwecken, sondern auch für die Ausführung feiner Messungen an Himmelskörpern wichtig.




Blätter und Blüthen


Am 10. November 1870 in Frankreich. Aus den Erinnerungen eines jüdischen Kriegsfreiwilligen. Die erste Stunde des jungen Tages war kaum angebrochen, als die Stimme des „Tagesdiensthabenden“ uns aus festem Schlummer weckte. „Um vier Uhr wird Reveille geblasen, Jeder kocht ab, von fünf Uhr ab ist Alarmbereitschaft.“ So lautete die nicht eben erfreuliche Mittheilung, die er uns machte, und die uns die Aussicht auf einen schweren, vielleicht blutigen Tag eröffnete. Pünktlich um vier Uhr blies der Trompeter, uns blieb nichts übrig, als aufzustehen und abzukochen. Ehe es fünf Uhr war, waren wir alarmbereit. Du weißt wohl nicht, lieber Leser, was das für eine langweilige Sache ist, diese Alarmbereitschaft. Mit Sack und Pack in vollständiger Ausrüstung heißt es da jeden Augenblick zum Abmarsch bereit sein, kaum daß Kartenspiel oder ein Buch die Langeweile und dann wieder die Unruhe vertreiben.

Indeß, es verfloß eine Stunde nach der andern und der Befehl kam nicht, endlich aber der „Tagesdienst“, der die Bereitschaft abcommandirte. So verfloß der Tag – es war derselbe, an dem von der Tann seinen glorreichen Rückzug antrat, und ein vermutheter Vorstoß der Nordarmee gegen unsere Stellung hatte uns zu der Alarmbereitschaft verholfen –, und im langsamsten Tempo wälzten sich die Stunden vorüber. Es war ein häßlicher trüber Tag; durch die dichten Wolken vermochte kein Sonnenstrahl zu dringen, ein kalter unfreundlicher Wind strich durch das Land, und als sich die Wolken öffneten brachten sie den ersten Schnee. Wie oft hatte ich ihn in Kindertagen froh begrüßt, und heute mußte ich mich zusammennehmen, daß mir bei diesem Anblick nicht der Muth sinke. Denn wer konnte sich jetzt noch des Gedankens erwehren an die Drangsale, die der Winter in diesen menschenleeren unwirthlichen Orten mit sich bringen mochte, und wenn wir auch, Gott sei Dank, damals noch nicht wußten, wie Schweres uns bevorstünde, welch harte Entbehrungen wir noch zu ertragen haben würden, so war doch der Tag nicht geeignet dazu, trübe Gedanken in uns wachzurufen.

Für heute mindestens sollte die Wirklichkeit sie Lügen strafen. Noch saßen wir ja in einem Hause, das ganze Fensterscheiben hatte, noch war der Mangel an Feuerholz nicht so groß, die Kälte nicht so bedeutend, daß uns mehr als die Ahnung von den Schrecken des Winters entgegentrat, und so gewann der leichte Jugendmuth bald wieder die Oberhand.

Da man im Felde solche Kleinigkeiten wie Wochentag und Monatsdatum nur schwer weiß, so war es für mich eine wahre Entdeckung, als ich zufällig im Laufe des Tages erfuhr, daß wir heute den 10. November hätten, und allmählich kam mir denn auch die Erinnerung daran, daß der heutige Tag der Geburtstag Luther’s und Schiller’s sei, und mit ihr der Wunsch, diesem Tage auch seine Weihe zu geben. Aber wie? Mannigfache Schwierigkeiten stellten sich der Ausführung entgegen, und nur das erleichterte sie, daß hier, wo wir in Reserve, also in verhältnißmäßiger Ruhe lagen, die Mannschaft schon längst den Wunsch geäußert hatte, einmal eine Abendunterhaltung zu veranstalten. Mit zwei früheren Einjährigen, die als Unterofficiere bei der Compagnie waren, einigte ich mich dahin, daß einem ernsten, dem Andenken der großen Todten gewidmeten Theil ein heiterer und diesem ein „Tanzvergnügen“ folgen solle.

Am wenigsten Sorge machte uns der zweite Theil, denn ein paar Spaßvögel der Compagnie, die auch in der schlimmsten Zeit ihre gute Laune nicht verloren, erklärten sich gern bereit, ihre Schnurren an dem Abende zum Besten zu geben; zum Tanzvergnügen, das ja nun einmal „ohne den Damen“ undenkbar war, schufen wir uns, da im ganzen Dorfe außer den Soldaten kein Mensch war, die schöneren Hälften, indem wir die eine Hälfte der Tanzlustigen mit Papierstreifen verzierten, und schließlich stellten wir für den ersten Theil das Programm so auf, daß zum Anfang und Ende ein Lied gesungen werden solle, dazwischen eine Festrede und Declamation von einem oder zwei Schiller’schen Gedichten.

Unsere „Einjährigen“ hatten fest zugesagt, jeder ein Schiller’sches Gedicht zu declamiren, als sie aber nach einem halben Stündchen Beide erklärt hatten, daß sie nur noch einige Bruchstücke wüßten, da war das verehrliche Festcomité in großen Nöthen, und wir hätten wohl zur Schillerfeier ein Gedicht Schiller’s entbehren müssen, wenn uns nicht die Volksschule gerettet hätte.

Denn als die Noth am größten war, trat mein Putzer, ein sehr intelligenter Mann und mir der liebste, beste Camerad, mit stolz bescheidener Miene auf mich zu, und erklärte mir, er könne die „Bürgschaft“ wohl hersagen, wenn ihm auch einige Verse fehlten. Mit der freudigsten Ueberraschung hörte ich diese Mittheilung, die uns eins der nothwendigsten Bestandtheile unseres Festes sichern sollte. Aber war es wirklich möglich? sollte der einfache Handwerker, der vor zwölf Jahren die Schule verlassen hatte, wirklich so fest das Schiller’sche Gedicht sich eingeprägt haben? Aber als

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