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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Jung und Alt eilte hinaus, um diesen Leuten zu helfen, aber ohne Erfolg. Es war, als ob der letzte Tag für uns Alle gekommen, als ob die Luft in Flammen sei und Alles in sich verschlingen wollte. Wo die Bäume den Flammen keine Nahrung boten, brannte der Erdboden, zuweilen einen bis zwei Fuß tief.

Glücklicherweise für Green-Bay legte sich der Wind, ehe die Flammen es erreicht hatten; die Berichte aber, welche uns am Montag erreichten, waren so entsetzlich, daß sie einer jeden Wiedergabe spotten. Viele Leute, die bei uns ankamen, glaubten nicht anders, als daß irgend etwas Uebernatürliches über sie gekommen sein müsse, und wollten nicht einsehen, wie die Flammen allein in so kurzer Zeit Alles verzehren konnten, so daß auch kein Haus, Scheune, Kirche, Baum und in der That Nichts stehen geblieben sei. Der Verlust an Menschenleben und Eigenthum ist großartig. Ueber tausend Menschen fanden in fast einer Stunde ihren Tod in den unerbittlichen Flammen. Viele zwar wurden vom Rauche erstickt, aber auch sehr viele wurden lebendig gebraten, ehe der Tod ihren Qualen ein Ende machte. Viele Hunderte liegen an ihren Brandwunden darnieder und viele davon erliegen täglich denselben. Ueber tausend Häuser, Kirchen, Mühlen wurden ein Raub der Flammen, und außerdem ist der Verlust an Korn, Heu, Ackerbaugeräthschaften etc. großartig. Der Schaden wird auf ungefähr zehn Millionen Dollars berechnet. Beinahe fünftausend Menschen irren obdachlos umher, noch vor einer Woche sorgenfrei und zufrieden in ihren Wohnungen lebend und jetzt nicht wissend, wo sie Nahrungsmittel und Obdach finden sollen. Leute, die noch vor einer Woche über Tausende zu verfügen hatten, sind jetzt Bettler. Worte reichen nicht hin, einen Begriff von dem Schaden zu geben, den das Feuer in dieser Gegend angerichtet hat. Das Holz, von dem fast ganz Nord-Wisconsin seinen Lebensunterhalt sucht, ist abgebrannt, und es ist wenig Aussicht, daß es je wieder wachsen wird, da das Feuer sogar die Wurzeln der Bäume in der Erde vernichtet hat.

Ganze Städte und Dörfer am Ost- und Westufer der Green-Bay sind total zerstört, so daß auch nicht ein Haus stehen geblieben ist.

Am Ostufer verbrannte die Stadt Brussels, ungefähr zweihundert Familien obdachlos hinter sich lassend. Die Dörfer Rosiere und Messiere existirten am Montag Morgen nicht mehr, während den Tag zuvor noch hundertachtzig Häuser dort standen und über zweihundert Familien in diesen wohnten. In einer kleinen Ansiedelung verbrannten neun von zehn Familien und außerdem eine Familie von vier Deutschen, welche todt im Keller aufgefunden wurden. In dem Dorfe Forestville verbrannten achtzig Häuser und vierzig Menschen, welche meistens vom Rauche erstickten, ehe das Feuer sie erreichte.

In dem Orte Redriver verbrannten fast alle Häuser, Kirchen und Mühlen, und es irren dort über achthundert Personen obdachlos umher. Der Verlust an Menschenleben war im Verhältniß zu anderen Plätzen nur sehr gering, denn nur neun Personen verbrannten und nur sehr wenige erhielten ernstliche Brandwunden. Einer der am schwersten Verwundeten hatte mitten im Walde gewohnt und war, als er die Flammen herannahen sah, zu Pferde gestiegen, um denselben zu entgehen. Das Feuer jedoch lief schneller als sein Pferd, und es blieb ihm nichts übrig, als herunterzuspringen und sich flach auf den Erdboden zu legen. Sein Hinterkopf und Rücken sind sehr verbrannt, doch ist Aussicht, daß er am Leben erhalten wird.

In dem Dorfe New-Franken ist kein Haus oder sonst ein Zeichen der ehemaligen Existenz aufzufinden. Obgleich die Einwohner dieses Platzes fast von jeder Gelegenheit abgeschnitten waren, ihr Leben zu retten, so ging doch kein Menschenleben verloren. Der Platz ist ganz von Bäumen eingeschlossen, und als er ringsum in Flammen stand, gelang es sämmtlichen Bewohnern, sich durch das Feuer nach einer großen Wiese durchzuschlagen, wo sie über einen Tag verweilten, bis ihnen Hülfe und Lebensmittel von Green-Bay zugeschickt wurde.

Der schlimmste Bericht von der Ostseite der Bai kommt aus einem Orte, genannt Williamsonville. Mein Bruder ist nicht weit von dort Geschäftsführer in einer Mühle, welche merkwürdiger Weise von den Flammen verschont blieb, und schickte mir folgenden Bericht:

„Am Sonntag Abend umringten uns die Flammen so nahe, daß es mir und unseren Leuten nur durch Aufbieten aller Kräfte gelang, unsere Mühle sowie den ganzen Ort vor der gänzlichen Zerstörung durch Feuer zu retten. Männer, Frauen und Kinder schleppten fortwährend Wasser heran, um den Boden feucht zu halten, und einige Männer waren fortwährend beschäftigt, Wasser auf die Mühle und umliegenden Häuser zu spritzen, damit dieselben von den dicht regnenden Funken nicht Feuer fingen. Es gelang uns auch, unsern Platz zu retten; aber schlimmer erging es unseren Nachbarn. Am nächsten Morgen kamen hier zwei Leute von Williamsonville an, welche die traurige Botschaft brachten, daß der ganze Ort und alle Einwohner, sie und ungefähr zehn schwer Verwundete ausgenommen, ein Raub der Flammen wurden.

Sofort machten sich fünfundzwanzig von uns auf den Weg, um mit Aexten sich durch die noch brennenden Bäume durchzuschlagen. Nach ungefähr fünf Stunden erreichten wir endlich die Stelle, wo einst Williamsonville stand. Der Anblick, der sich uns bot, ist nicht zu beschreiben. Auf einer Stelle von ungefähr zehn Quadratfuß fanden wir neunundzwanzig Todte. Alle waren schrecklich entstellt und einige so verkohlt, daß sie nicht mehr zu erkennen waren. Der ganze Platz war mit verbrannten Körpern besäet und in kurzer Zeit hatten wir neunundfünfzig Leichen an einer Stelle zusammengebracht. Wir fanden den Leichnam einer Frau mit einem Kinde fest in ihren Armen und legten beide in dieser Lage in einen Sarg, vereint im Tode, wie im Leben.

Von sechs Menschen, welche in einem Baume Rettung gesucht hatten, waren vier verbrannt und zwei noch am Leben, jedoch verwundet. In einem andern Baume fanden wir einen Vater mit seinem Kinde, letzteres noch am Leben. Einige hatten versucht, durch den brennenden Wald nach einem freien Platze zu gelangen, waren jedoch fast Alle verbrannt. – Wir schafften siebenundvierzig Särge herbei und legten die Leichname hinein, Mutter und Kind, Vater und Sohn zusammen. Wir scharrten alsdann die Todten an demselben Platze ein, wo das Unglück geschah, und bezeichneten die Plätze durch kleine mit den Namen der Unglücklichen beschriebene Bretter, die wir auf die Gräber steckten. Ich habe noch nie etwas Schauerlicheres gesehen und hoffe auch nicht, je wieder bei einer ähnlichen Scene zugegen zu sein. Wir nahmen die Verwundeten mit uns und kehrten zu unserer Mühle zurück.“

Die Berichte vom Westufer der Bay sind noch schrecklicher als die obigen. Von all den Verheerungen, welche das Feuer angerichtet hat, ist kein Platz so entsetzlich mitgenommen als Peshtigo – entsetzlich wegen des Verlustes von Menschenleben und Zerstörung von Eigenthum. Viele Einwohner (darunter über zweihundert Deutsche) büßten ihr Leben ein und die Arbeit und die Ersparnisse vieler, vieler Jahre wurden in einer Stunde zerstört.

Das Feuer wurde ungefähr um neun Uhr zwei bis drei englische Meilen entfernt gesehen und Niemand dachte daran, daß Peshtigo in irgend welcher Gefahr sei. Kurz darauf aber erhob sich ein ziemlich starker Wind, welcher bald in einen Orcan und Wirbelwind ausartete. Nur ein dumpfes Brüllen, fernem Donnerrollen ähnlich, war der Vorbote des Orcans und mit ihm des Feuers. Leute von Peshtigo erzählten mir, wie sie nicht anders glaubten, als daß das Feuer vom Himmel gestürzt sei, so schnell sei es gekommen und habe den ganzen Ort als Opfer gefordert. Peshtigo ist an einem kleinen Flusse, dem Peshtigo-River, gelegen, welcher den einzigen Zufluchtsort für alle Einwohner bot, ungefähr fünfzehnhundert an der Zahl. An Retten des Eigentums war gar nicht zu denken. Mütter schrieen nach ihren Kindern, die sie in der Verwirrung verloren hatten, Männer nach ihren Frauen, Kinder nach ihren Eltern und zuletzt eilte Alles, um dem Feuertode entgehen und den Fluß zu erreichen. Der dichte Rauch aber und die heiße Luft erstickte Hunderte, ehe sie sich ins Wasser retten konnten. In dem Flusse lagen zahlreiche Baumstämme, welche in der Sägemühle verschnitten werden sollten, an diesen hielten sich viele, da der Fluß an einigen Stellen sehr tief ist, um so dem Tode durch Wasser zu entgehen. Aber auch diese letzte Hoffnung wurde vereitelt, denn viele Baumstämme fingen Feuer und so blieb Hunderten nur die Wahl, zu verbrennen oder zu ertrinken. Dabei zwangen heiße Luft und die dichten Funken die Leute, fast fortwährend ihren Kopf unter Wasser zu halten, und erlaubten ihnen nur dann und wann Luft zu schöpfen. Die Gluth dauerte von zehn bis drei Uhr, daß demnach Alle an fünf Stunden im Wasser zuzubringen gezwungen waren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_784.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)