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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Gedankenwelt in ihren Briefen jetzt zu Tage liegt in dem ihr gewidmeten Gedenkbuche, welchen Professor Waitz neuerdings herausgegeben hat (Karoline, 2 Bde. Leipzig, Hirzel 1871).

Karoline erscheint in ihrem Leben und in ihren Briefen keineswegs als das empfehlenswerthe Ideal einer deutschen Hausfrau; wenigstens ist es nicht diese Charaktereigenschaft, durch welche sie Ansprüche auf den Antheil der Nachwelt erheben kann. Auch nicht allein ein sinniges und freudiges Mitleben mit den geistigen Bestrebungen des Gatten, wie es viele deutsche Gelehrten- und Dichterfrauen charakterisirt, machte sie zur willkommenen Lebensgenossin bedeutender Männer; nein, sie selbst war eine anregende, schöpferische Natur voll genialer Offenbarungen, aber zugleich von rastloser Unbefriedigung, mit dem Trachten nach den höchsten Lebensgenüssen, mit einer beweglichen, wechselnden Empfindung; sie war eine Art von weiblichem Faust, eine jener Faustinen, welche, bei seltener geistiger Begabung und ebenso seltener geistiger Bildung doch im Grunde dämonische Naturen sind und über jedes errungene Lebensziel wieder hinausstreben. Ihre Sympathieen steigern sich zu hingebender Gluth der Leidenschaft, ihre Antipathien zu scharfer, ja vernichtender Kritik. So verfallen sie aber auch selbst dem verschiedenartigsten Urtheil, von dem Entzücken über ihre hinreißende Liebenswürdigkeit bis zur Verdammung ihrer intriguanten Bosheit. In so entgegengesetzter Beleuchtung erschien auch Karoline den Zeitgenossen und selbst für eine spätere Zeit wird es nicht leicht sein, für so glänzende Vorzüge und Fehler die rechte Mitte der Beurtheilung zu finden. Es kam dazu; daß ein ungewöhnliches und vielfach trauriges Lebensgeschick den originellen Geist dieser Frau lange Zeit auch äußerlich nicht zur Ruhe kommen ließ. Es gab eine Epoche, wo sie als eine verfehmte Abenteurerin aus vielen gesellschaftlichen Kreisen ausgeschlossen blieb, bis sie als die Gattin eines namhaften Aesthetikers und Kritikers und später als die Frau eines berühmten Philosophen ihre volle Geltung in der Gesellschaft wiedergewann.

Karoline war geboren in Göttingen den 2. September 1763, als die Tochter des bekannten Professors der Theologie, Michaelis, der auch eine mehrbändige „Moral“ verfaßt hat. Wir wissen nicht, ob sich Karoline mit dem Studium dieser „Moral“ in ihrer Jugend befaßt hat; keineswegs hat sie ihr späteres Leben nach den Paragraphen derselben eingerichtet. Deutsche Professorstöchter erhalten oft eine gelehrte Erziehung; von manchen wird berichtet, daß sie der lateinischen und griechischen Sprache mächtig waren; mindestens giebt ihnen das Echo der väterlichen Empfangssalons und Studirstuben allerlei gelehrte Stichwörter mit auf den Weg, welche sie in der Bewegung der Geister einigermaßen heimisch machen. Freilich läßt diese Regel auch sehr auffallende Ausnahmen zu. Karolinens Freundin war Therese, die Tochter des berühmten Alterthumsforschers Heyne, in Göttingen, welche zuerst an den Mainzer Clubbisten Forster, dann an Huber verheirathet war. Als diese, durch die Noth des Lebens gezwungen, sich der Schriftstellerei zuwendete, fand es sich, daß sie mit der deutschen Grammatik und Orthographie auf einem sehr gespannten Fuße lebte, und es bedurfte erst längerer Studien und der helfenden und bessernden Hand des Gatten, um Therese Huber in den Kreis der deutschen Schriftstellerinnen einzuführen.

Karolinens Erziehung hatte ihr indeß diesen Conflict mit der deutschen Sprache erspart; schon ihre Jugendbriefe zeigen eine vollkommene Beherrschung derselben, welche durch kleine orthographische Licenzen nicht in Frage gestellt wird. In diesen Briefen des jungen Mädchens ist der religiöse Geist des väterlichen Hauses unverkennbar; er spricht sich mit wohlthuender Innigkeit aus neben einer heitern Schalkhaftigkeit und dem Gefühl geistiger Ueberlegenheit wie es sich in der Neigung zum „Bemuttern“, ihrer Schwester gegenüber, lange Jahre hindurch kundthat. Karolinens Liebenswürdigkeit gewann das Herz des Bergmedicus Böhmer in Clausthal; uns sind noch die dithyrambischen Ergüsse aufbewahrt, in denen der glückliche Bräutigam seinen für einen praktischen Arzt etwas überschwenglichen Liebesrausch ausjubelte. Ihm wurde auch bald, im Jahre 1784 den 15. Juni, die Hand der Geliebten zu Theil; sie folgte ihm nach Clausthal, in die Harzer Bergidylle, die sie mit Heine’schen Farben schildert.

Es war etwas einsam hier, keine Studenten, keine Professoren, keine Literaten und Ritter des Geistes; die Thätigkeit des vielbeschäftigten Arztes gönnte ihm nicht Zeit genug, am häuslichen Herde auszuruhen; mitten in dem Schooße eines durch die Geburt mehrerer Kinder befestigten Familienglückes weht uns bereits ein leises Ungenügen, theils in einsamer Klage, theils in satirischer Schilderung der Umgebung entgegen.

In den einsamen Winterstimmungen des öden Clausthal tröstet sie sich nun mit ihrer Tochter:

„Mit Trauer seh’ ich den Schnee, die Scheidewand zwischen mir und der Welt; es ist so ganz wieder das Gefühl vom vorigen Winter; so entblätterten sich die Bäume, so schwärzten sich die Tannen und der Wind rauschte an meinem einsamen Zimmer, die Wolken wallten in tausend Gestalten über uns hin – ich lebte nicht in der Gegenwart, sondern in der Hoffnung des Frühlings und dessen, was er bringen würde – das war der einzige Unterschied. Jetzt hab’ ich mein Kind, jetzt genießt ich des Guts, auf das ich harrte, und welch ein Kind! Meine Auguste ist ein reizendes Geschöpf!“

Trostreich war für sie der aufgeschlossene Sinn für die kleinen Beschäftigungen und Freuden des Lebens, über den sie sich in so geistvoller Weise ausspricht:

„Wir wären elend, wenn nicht aus Kleinigkeiten unsere Glückseligkeit zusammengesetzt wäre, deren Summe eitel ist, aber die in Einzelnen doch fähig sind, uns ganz zu beschäftigen. Denn aus jener Stimmung, wo die Seele in sich zurückkehren zu wollen und im Begriff schien, ihre Tiefen und unser Wesen zu ergründen, ruft uns doch so leicht das Mindeste zurück, eine Stimme, ein schneller Blick, der auf ein Band fällt, auf ein Etwas – und das leitet uns wie ein Blitz zurück auf die Gegenwart, auf Annehmlichkeit und Abwechslung des Lebens. Geschmack und Freude daran leben auf. Es ist so – weiter weiß ich nichts davon. Gestern hab’ ich tractirt, und da war mir der Braten wichtiger wie Himmel und Erde.“

Trotz dieses Reichthums ihrer innern Welt konnte sie den Eindruck nicht verwinden, den die Verlassenheit Clausthals stets in ihrer Seele erneuerte, aus dessen Freudelosigkeit sie aber bald durch einen schmerzlichen Trauerfall erlöst werden sollte. Am 4. Februar 1788 starb Böhmer und der nachgeborene Sohn folgte ihm bald im Tode nach. Ohne feste Heimstätte begab sich Karoline zunächst nach Göttingen, dann nach Marburg zu ihrem Bruder, welcher Professor an der dortigen Universität war. Hier verlor sie ihre jüngere Tochter Therese. Im Frühjahr 1792 faßte sie den für sie so verhängnißvollen Entschluß, nach Mainz überzusiedeln, wo eine befreundete Professorstochter aus Göttingen, Therese Heyne, als Gattin des Weltumseglers Forster lebte.

Forster war eine sanguinische Natur; seine Begeisterung für die Ideale der Menschheit machte ihn zum Parteigänger der französischen Republikaner, und Karoline, die sich als Hausgenossin bald ganz in die Familie einlebte, gab sich den gleichen Gesinnungen mit Begeisterung hin. Dies geistige Band vereinigte sie mit Forster, dessen Schwächen sie wohl erkannte, dessen schwankende Stimmungen die ausdauernde Geduld schwesterlicher Freundschaft verlangten. Ob sie im heißen Sturm und Drang ihrer Sympathieen über das Gefühl der Freundschaft noch hinausging, ist aus ihren Briefen nicht zu ersehen – aber daß sie auf die Ehe Forster’s mit Theresen wie Scheidewasser gewirkt, darüber dürfte wohl kein Zweifel sein. Wenn auch Therese aus andern Gründen sich in ihrer Häuslichkeit unbehaglich fühlte, seitdem die Mainzer Republikaner, Bürger und Bauern, dieselbe überschwemmten und der geistig gebildete Kreis ihres frühern Umgangs durch die Zeitverhältnisse auseinandergesprengt war; wenn auch ihre Neigung für Huber nur des äußern Anlasses bedurfte, um sich vor aller Welt als die mächtigere zu offenbaren; wenn auch die bedrohliche Lage der Stadt Mainz eine Trennung von Weib und Kind für Forster fast gebieterisch zu heischen schien – immer bleibt es fraglich, ob die rasche und entschiedene Trennung der Gatten ohne den Einfluß dieser geistreichen und liebenswürdigen Frau stattgefunden hätte, der auf ein schwankendes Gemüth wie dasjenige Forster’s bald ein unbezwinglicher werden mußte. Die Thatsache steht fest, daß Therese sich von Forster trennte, daß aber Karoline trotz aller drohenden Gefahren bei ihm ausharrte und den schwer Erkrankten geduldig pflegte bis zu seiner Abreise nach Paris, wo nicht lange darauf der geistig bedeutende, aber undeutsch gesinnte Mann seinen Leiden erlag. Ueber die sittliche und politische Bedenklichkeit dieses Samariterthums machte sich Karoline kein Hehl; aber sie glaubte sich um die Meinung der Welt nicht bekümmern zu dürfen.

Nachdem der Führer der Mainzer Clubbisten, Forster, nach

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