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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Ich will zunächst von denen reden, die in The Secretary’s Office – in dem Bureau des Ministers – arbeiteten, in welchem das Bureau des Registrators und das der Anlehen eingeschlossen ist, oder die im Bureau des dritten Auditors, des Controleurs des Papiergeldes oder des Schatzmeisters angestellt waren. – Es waren dies alles Personen aus derselben Classe, aus welcher die männlichen Clerks genommen wurden, und in ihrer äußern Erscheinung, das heißt Kleidung und Benehmen, durchaus Damen. Die meisten von ihnen waren natürlich Mädchen, da verheirathete Frauen in Amerika das Arbeiten ihren Männern überlassen; allein unter ihnen waren auch manche ältere Damen, besonders Wittwen von Officieren. Eine dieser Damen war die Wittwe eines Gegencandidaten von Lincoln für die Präsidentschaft, und eine andere die eines Generals, der in der Schlacht bei Antietam fiel, woraus der Leser schon schließen kann, daß die Stellung der weiblichen Treasury-Clerks keineswegs eine irgendwie bedenkliche ist. Daß unter den Hunderten von weiblichen Angestellten in der Treasury so wenig Häßliche waren, liegt nicht darin, daß man sie ihrer Schönheit wegen anstellte, sondern hat seinen Grund in dem Umstand, daß es wenig häßliche Amerikanerinnen giebt. Ich rede hier von Vollblut-Amerikanerinnen, nicht von den nicht fernen Abkömmlingen deutscher oder irländischer Einwanderer, die noch gar häufig den keineswegs besonders schönen Typus mancher unserer oder irländischer Bauern in ihren Gesichtern zur Schau tragen. Die Amerikanerinnen sind die schönsten Frauen, die ich kenne, und wenn sie auch sehr schnell verblühen, so werden sie doch nie wirklich häßlich. – Ich habe doch in Amerika unendlich viel alte und junge Damen gesehen, aber ich weiß mich nicht eines einzigen wirklich häßlichen Gesichts zu erinnern und muß gestehen, daß ich, indem ich darüber nachdenke, selbst davon überrascht bin. Baltimore ist berühmt wegen seiner hübschen Mädchen, und mit Recht, wovon ich mich durch den Augenschein überzeugt habe. Dabei kleiden sich die jungen Damen sehr modisch, und da sie meist elegant und anmuthig in ihren Bewegungen sind, so müßte man kein Mann sein, wenn man bei ihrem Anblick nicht angenehm angeregt würde.

In den hohen und eleganten Hallen der Treasury ist immer ein reges Leben und es herrscht nicht die bedrückende, muffige Schwüle, die dem armen Unterthan bei uns, der in einem Bureau zu tun hat, den Athem versetzt. Jedermann geht ungenirt aus und ein, – denn es ist ein öffentliches Gebäude, welches dem Volke gehört und zu dessen Diensten erbaut wurde. Keine Schildwache steht vor der Thür, trotzdem daß Hunderte von Millionen in Gold und Silber, von dem Papiergelde gar nicht zu reden, in dem Gebäude enthalten sind. Die in den Corridors sich aufhaltenden Boten geben den Fragenden bereitwillig und artig jede verlangte Auskunft oder melden sie bei den Bureauchefs oder dem Minister an. Ist der letztere augenblicklich beschäftigt, so muß man natürlich warten; allein der Flur ist geheizt, wenn es kalt ist, und Sopha und Stühle stehen für die Wartenden bereit; man behandelt sie nicht wie Bettler, selbst wenn sie wirklich Supplicanten wären. Da überall geheizt ist, so stehen selbst im Winter die Thüren der verschiedenen Zimmer häufig offen und erlauben dem vorübergehenden Fremden, der keine Geschäfte darin hat, einen Einblick. Ein solcher Blick ist oft sehr erheiternd, und ich begreife, daß ein frisch angekommener Deutscher manchmal nicht weiß, wo ihm der Kopf steht. Hier in einem sehr elegant eingerichteten Zimmer sitzt ein schon alter, etwas eigenthümlich aussehender Herr, dessen gutmüthigem Gesichte man es durchaus nicht ansieht, welche ungeheure Arbeitslast und Verantwortlichkeit auf seinen Schultern ruht. Um ihn bewegen sich anmuthige weibliche Gestalten, die er mit väterlicher Vertraulichkeit behandelt. Es ist der würdige Schatzmeister der Republik, General Spinner, ein Deutscher, der, glaube ich, in oder in der Nähe von Frankfurt geboren wurde, aber trotzdem, daß er frühzeitig nach Amerika kam, sein Deutsch noch nicht ganz verlernt hat. Sein Ruhm ist es, daß, so lange er im Amte war, kein Fehler in den Rechnungen seines Departements vorkam, trotzdem daß während dieser Zeit die ungeheure Summe von dreißigtausend Millionen durch seine Hände ging.

In einem andern Zimmer im ersten Stock sitzt ein magerer alter Herr mit einem guten Gesicht. Es ist Oberst Graham, der Registrator der Treasury. Vor ihm liegt ein dickes Paket Bonds, unter welche er seinen Namen zu schreiben hat. Hinter ihm und zu seiner Rechten und Linken stehen einige wunderschöne und elegante junge Mädchen, die weiter nichts zu thun haben, als den unterschriebenen Bogen wegzunehmen, Löschpapier auf den Namen zu drücken und den fertigen Bond zu weiterer Beförderung zu übermitteln. Die Grazie, welche die jungen Damen in ihre Bewegungen legen, ist wundervoll, und das Ganze bildet ein reizendes Bildchen, welches ich unendlich oft, aber stets mit Vergnügen betrachtete.

In anderen Sälen sitzen eine große Anzahl junger Damen, alle eifrig damit beschäftigt, Pakete von Banknoten zu zählen. In der Mitte an einem erhöhten Pult thront der männliche Clerk – meistens ein älterer Herr – welcher die Aufsicht über das Zimmer hat. Trotz aller Galanterie versteht er keinen Spaß, und die jungen Damen fürchten ihn wie das Feuer. Diese Strenge ist nothwendig, denn die Amerikanerinnen sind sehr lebhaft und nicht sehr blöde, giebt man ihnen den kleinen Finger, so nehmen sie leicht die ganze Hand. Es fehlte keineswegs an Versuchen von Seiten der weiblichen Beamten, Alles nach ihrem Belieben einzurichten, zum Beispiel früh oder spät oder auch gar nicht zu kommen; allein man sah bald ein, daß das Geschäft dabei nicht bestehen konnte, und war gezwungen, strenge Regeln zu geben, deren wiederholte Verletzung sofortige Entlassung zur Folge hatte.

Wenn man mich nun fragt, was meine aufrichtige Meinung über diese Frauenarbeit ist, so nehme ich gar keinen Anstand zu sagen, daß diese Maßregel eine ganz vernünftige und zweckmäßige ist. Ich bekleidete selbst zwei Jahre lang eine Stelle in der Treasury und zwar meistens im Bureau der Anlehen, wo Herren und Damen gleichzeitig beschäftigt waren. Ich hatte viele Monate lang meinen Platz zwischen zwei hübschen jungen Mädchen von achtzehn bis zwanzig Jahren, und in demselben Bureau saßen noch zehn bis zwölf andere, mit denen ich hin und wieder geschäftlich zu verkehren hatte. Einige dieser Damen waren in derselben Weise wie die männlichen Clerks beschäftigt, und ich muß gestehen, daß sie ihre Arbeit mit ebensoviel Geschick und mit mehr Fleiß verrichteten. Die größere Hälfte dieser Damen war jedoch damit beschäftigt, die täglich einlaufenden Noten – die sich manchmal auf sechs bis sieben Millionen Dollars beliefen – nach der Reihenfolge der Nummern zu ordnen, was das Eintragen in die Bücher erleichterte.

Die Gegenwart der Damen hatte nach meiner Meinung eher einen guten Einfluß auf den Ton der mit ihnen zusammen beschäftigten männlichen Beamten und erhielt sie andererseits in angenehmer Laune.

Für manche Beschäftigungen sind die Finger der Damen jedenfalls besser geeignet als die der Männer, namentlich für das Zählen der Banknoten, besonders der „fractional currency“ – der kleinen Noten von fünf, zehn, fünfundzwanzig und fünfzig Centimes, wie auch der sehr schmalen Coupons, zum Beispiel der 7. 30 Noten. Sie erwerben darin eine wundervolle Fertigkeit, und da sie – was mir bei dem schmutzigen Zustande der Noten sehr ungerecht schien – für das Durchlassen einer falschen Note zu stehen hatten, so paßten sie sehr auf und erwarben eine außerordentliche Fertigkeit im Erkennen von „Counterfeits“.

Die Zahl der weiblichen Clerks belief sich auf einige Hundert. Früher erhielten sie nur von fünfzig bis fünfundsiebenzig Dollars monatlich; allein später wurde der Gehalt bis auf fünfundsiebenzig und hundert Dollars erhöht.

Es ist wohl natürlich, daß eine Menge hübscher, munterer, junger Mädchen nicht viele Stunden des Tages mit meist jungen Männern zusammen sein oder sich beständig in den Gängen und auf dem Wege zur Treasury begegnen können, ohne daß sich hin und wieder Liebesintriguen anspinnen; allein ich habe nie gesehen, daß dies die Arbeit wesentlich gestört hätte oder daß in der Treasury irgend etwas Unpassendes vorgekommen wäre. Junge Männer und junge Mädchen wollen heirathen und bleiben oft einzeln, weil sie eben keine Gelegenheit haben, Bekanntschaften zu machen; ich betrachte es durchaus als keinen Fehler, daß die Treasury dazu Veranlassung giebt.

Ob die Vorgesetzten, welche den jungen Damen die Plätze verschaffen, immer ganz unparteiisch verfahren und nur die Geschicklichkeit oder das geschäftliche Verdienst berücksichtigen, brauche ich wohl gar nicht zu beantworten. Diese Herren sind eben Männer und haben ihre Schwächen wie andere Leute. Verdankt doch auch bei uns in Deutschland mancher junge Mann seinen Platz weniger seinen Kenntnissen, als der Fürsprache irgend welcher günstig gesinnten „Adelheid“.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_366.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)