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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


wäre, wenn er nicht den kühnen Entschluß gefaßt hätte, sich mit einem Manne der Industrie zu verbünden, um, wenn auch nicht ein eigenes Haus, doch eine stattliche, der Berliner Künstlergesellschaft würdige Herberge zu begründen.

In der That gehörte Muth zu dem Wagniß, welches den Verein zur Zahlung von dreitausend Thalern Jahresmiethe verpflichtete. Die Künstler mußten, um diese Summe zu erschwingen, aus dem Reiche des Idealen hinabsteigen in das praktische Leben, aus harmloser Beschaulichkeit in das sorgenvolle Getriebe geschäftlicher Speculation. Sie haben sich – wie wir gleich hier bemerken wollen – als tüchtige Praktiker bewährt: durch die Zulassung außerordentlicher, dem Künstlerstande nicht angehöriger Mitglieder haben sie ihre Einnahmen erhöht, durch die Eröffnung einer permanenten Kunstausstellung ein erträgliches, mit den Kunsthändlern erfolgreich und zum Vortheile der Kunst concurrirendes Geschäft begründet. Trotz des bösen Kriegsjahres kann der Finanzminister des Künstlerstaates, der berühmte Marinemaler H. Eschke, sich rühmen, daß er nicht bloß ohne Deficit, ohne Anleihen und Steuererhöhungen durchgekommen sei, sondern daß er noch einen Ueberschuß erzielt und den Credit des Vereins beträchtlich erhöht habe.

Das Geber’sche Industriegebäude, in welchem sich die neue Künstlerherberge befindet, ist bereits in Nr. 18 des vorigen Jahrgangs[WS 1] der Gartenlaube abgebildet. Die Façade des Prachtbaues läßt nicht erkennen, daß diese Mauern einst zur Caserne gedient haben und daß – lediglich durch kunstvolle Bauflickarbeit – die düstere Wohnung des Kriegsgottes Mars in einen lichten Tempel der kunstschützenden Minerva umgewandelt worden ist; nur die seltsamen Festungsthürmchen, welche in die großen, einst dem Exercitium geweihten Höfe niederschauen, erinnern an die frühere Bestimmung des Gebäudes.

Ein weites Portal und eine breite Treppe führen in das „Geschäftslocal“, das im Vorderhause befindlich und durch das Schild „Permanente Ausstellung des Vereins Berliner Künstler“ bezeichnet ist. An einen kleinen, mit den Bureauzimmern in Verbindung stehenden und hauptsächlich für Aquarelle und Handzeichnungen bestimmten Vorsaal schließt sich die große, von Oberlicht erhellte Ausstellungshalle. Die eigentliche „Herberge“ ist nur während der Geschäftsstunden auf bequemem Wege zu erreichen; des Abends müssen wir über den Hof und durch eines jener seltsamen Thürmchen schreiten, und die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zur Herberge führt. Haben wir aber die richtige Thür gefunden, dann merken wir auf den ersten Blick, daß wir die Stätte betreten, da die Söhne der Musen sich nach vollbrachtem Tagewerk lagern zu süßer Rast, um sich zu stärken zu neuem Schaffen durch die Spenden der Ceres und des Bacchus, und um die Herzen zu erfreuen an Bild und Rede, Spiel und Gesang. Von den Wänden rings grüßen uns, Kopf an Kopf gereiht, freundliche Künstlergesichter, denn es ist Vereinsgesetz, daß männiglich sein Conterfei auf die Leinwand werfen und zum Schmucke der Herberge aufhängen lasse. Da sehen wir vor uns in üppiger Lockenfülle und bestrahlt von der Morgensonne der Jugend gar manchen Künstler, der heute als würdiges akademisches Haupt in silbernem Mondenschein einherwandelt; da haftet unser Auge schmerzlich an manchem lieben Genossen, der, ach schon seit langer Zeit dem Künstlerkreise entrissen ist; da sagen uns die frischen Lorbeerkränze unter den Portraits von Brücke und Hagen von neuem Leid, das den Verein betroffen, und der vertrocknete Todtenkranz unter dem Bilde von Eduard Hildebrandt verkündet uns, daß der berühmte Weltumsegler und Beherrscher des Lichts seine letzte größte Reise in das Reich des ewigen Lichts schon vor Jahren angetreten hat. Doch fort mit trüben Gedanken und hinein in die lustige Tafelrunde, an der wir, wenn wir just Glück haben, den Meistersingern des Vereins, Schwarz und Naumann lauschen können, wie sie uns schnaderhüpflig betheuern: „Aber so Zwei wie wir Zwei, die find’t man nit bald,“ und wie sie alle Vorwürfe von wegen der Rauf- und andern Boldigkeit abwehren mit der Versicherung: „denn wir sind ja zwei ord’ntliche Leut’.“

An jedem Dienstage, wenn die ernsten Berathungen geschlossen, entfaltet die heitere Kunst der Töne ihre Schwingen und bald ist es das lustige Jodlerpaar, bald ein nur von Menschenstimmen executirter Leierkasten, bald ein sinniges Quartett, oder das Kartoffel-Puppenkomödienspiel des höheren Blödsinns, an dem sich die Künstler ergötzen. Der Humor, der hier zur Geltung kommt, hat Nichts von der kaustischen Schärfe des Berliner Witzes, desto mehr aber von der Frische und Naivetät süddeutscher Harmlosigkeit. Die Possenspiele, die dann und wann verübt werden auf den Festen des Vereines, tragen zumeist diesen süddeutschen Charakter, die Musik aber, die hier in Vocal- und Streichquartetten geübt wird, ist von universellem, künstlerischem Werthe. Es ist eigenthümlich, daß viele Mitglieder der Künstlerschaft ebenso tüchtige Meister im Reiche der Töne als in dem der Farben sind. Carl Becker, der große Virtuos der Farbentöne, beherrscht mit gleicher Meisterschaft die Töne der Geige, Theuerkauff, Anton Werner und Begas illustriren mit ihren Instrumenten die Werke Mozart’s und Beethoven’s, wie sie mit Stift, Pinsel und Meißel die Weltgeschichte illustriren, Paul Meyerheim und Gustav Heil sind als vielsaitige Talente bewährt, Hertel, Bennewitz von Löthen, Amberg und Feckert, die Landschafts- und Genrezeichner par excellence, würden dem Quartette jedes Hoftheaters zur Zierde gereichen, und Wilhelm Scholz, der Zeichner des „Kladderadatsch“, eifert mit contrapünktlicher Gewissenhaftigkeit den großen Vorbildern der Tonwelt nach.

Da wir einmal Namen zu nennen begonnen haben, so wollen wir erwähnen, daß über theils höchst- und hochberühmte, theils bekannte oder nach Berühmtheit strebende Männer das Mitglieder-Verzeichniß des Vereins folgenden Aufschluß giebt: die Welt der Farben ist vertreten durch „Schwarz“, „Weiß“, „Grün“ und „Pinkert“, die der Töne durch den ausgezeichneten „Blaser“ aus Köln und einen selbst im Orient bekannten „Fiedler“. Der Verein erfreut sich des Beistandes der biblischen Männer „Lucae“, „Thomas“, „Jonas“, „Simon“, „Simson“, „Michaelis“ und „Jacob“, aber trotzdem gehören zu ihm noch zwei „Heyden“. Er hat einen „Magnus“ und seinen kleinen „George“. Es herrschen in ihm „Schnee“, „Schauer“ und „Brausewetter“; aber es ist gut dafür gesorgt, daß der „Winter“ zu „Ende“ gehe, jeder „Vogel“ im Lenz seinen „Baum“ und auch „Körner“ finde. Gegen jeden „Dorn“ und „Hader“ ist hier „Heil“ und in allen Nöthen ein „Nothnagel“ zu finden. Von auswärtigen Völkerschaften sind repräsentirt „Grönland“ und die Stadt der „Römer“, von nachbarlichen und heimischen der „Pohle“, „Westphal“, „Hesse“, „Sachs“, „Friedländer“ und „Meißner“, und von den Städten sind vertreten: „Worms“, „Jüterbogk“, „Henneberg“ und „Lüben“. Der Verein hat zwar zwei Männer „Vollgold“ zu Ehrenmitgliedern, aber er besitzt doch nur einen „Schilling“.

Der Verein hat einen „Kaiser“, einen „Printz“ und einen „Marschall“, in seinem Schilde führt er als Wappengethiere den „Schwan“, den „Storch“, den „Geier“, den „Steinbock“ und drei Wölfe, von denen ein „Wolf“ immer größer ist als der andere. Seine Devise ist „Bleibtreu“. Der Künstlerstaat hat gar berühmte Bürger und „Burger“, drei „Richter“, einen „Kaufmann“ und einen „Kunde“, einen „Fläschner“, einen „Pfannenschmidt“, einen „Fischer“, einen „Seemann“, einige „Weber“, „Becker“ und „Kretschmer“, zwei „Müller“, aber (was für Berlin schier merkwürdig) keinen Schultze. Für die Hungrigen ist stets ein „Koch“ und für die Durstigen ein „Seidel“ da. Und der Durst ist manchmal groß unter den von Meister Steffeck beherrschten munteren Gesellen, zumal wenn Quartal, d. h. eine Generalversammlung auf der Herberge angesetzt ist. Dann hat Herr Weiß, der Herbergsvater und Verwalter der Bundeslade, genannt „Sparbüchse des eisernen Fonds“, alle Hände voll zu thun, damit den Künstlern auch kunstgerecht die Bowle gebrauet werde, denn: „Zu gutem Werk ein guter Trunk macht Meister und Gesellen jung.“

Die Spruchweisheit, welche in dem Getäfel der Decke geschrieben steht, enthält manche gute Lehr und Fürbitt. Sie spricht dem Künstler Muth zu durch die Worte:

Hast du ein Bild im Geist erschaut –
Nur frisch der eignen Kraft vertraut!
Zur Wahrheit wird dem Traumgesicht,
Und sieh: dein Bild, es lebt und spricht!

In einem andern Sprüchlein heißt es:

Gott gab dem Lehm einst Lebenshauch.
Versucht es nur – ihr könnt es auch!

Und in einem dritten:

Ob ihr mit Meißel oder Pinsel schafft –
Wie klein das Werkzeug, wie groß die Kraft!

Wer schaut – so fragt der Herbergsdichter –

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Nr. 8
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_351.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)