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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Trotz des scharfen Forschens in seinem Tone lag doch auch etwas darin wie tiefe Genugthuung, sie verrieth unwillkürlich, daß der junge Amerikaner dies B. bei alledem gefürchtet hatte, verrieth, daß er Miß Forest, trotz der Seltsamkeit, über die ihm noch keine Aufklärung geworden, doch lieber hier sah, inmitten des Kriegsgewühls, all seinen Gefahren preisgegeben, als dort im sicheren Hause ihrer Verwandten.

Jane ward der Antwort überhoben, denn Atkins kehrte in diesem Augenblick bereits wieder zurück; Henry runzelte die Stirn, aber er schien nicht geneigt, die Sache in seiner Gegenwart zur Sprache zu bringen. Einige Minuten lang herrschte ein unbehagliches Schweigen in der kleinen Gruppe, die weiteren Fragen über das Woher und Wohin lagen so nahe, und doch scheute sich Jeder, damit fernere Erörterungen hervorzurufen. Atkins begann endlich das Gespräch mit einem anderen Thema.

„Und was sagen Sie denn zu den Ereignissen, Henry, seit wir Abschied von einander nahmen? Haben Sie je dergleichen für möglich gehalten?“

„Nein!“ lautete die kurze finstere Antwort. „Ich war auf das Gegentheil gefaßt.“

„Auch ich! Wir haben uns verrechnet, wie es scheint! Das ist das zahme, geduldige, unpraktische Volk von ‚Denkern‘! Aber, ich sagte es ja immer, in jedem dieser Deutschen steckt etwas von der Bärennatur, und die scheint jetzt bei dem ganzen Volke auf einmal durchgebrochen zu sein. Das ist ja kein Kampf mehr mit wechselndem Glück, niedergetreten, erdrückt wird Alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Ein heilloser Erfolg!“

„Wir sind noch nicht am Ende!“ sagte Henry kalt. „Die Söldnerheere sind geschlagen, aber die Republik ruft das Land zu den Waffen, jetzt steht Volk gegen Volk. Wir wollen doch sehen, ob der deutsche Bär nicht endlich seinen Meister finden wird!“

„Ich wollte, er fände ihn!“ grollte Atkins im vollsten Ingrimm. „Ich wollte, er würde über seinen Rhein zurückgejagt, damit ihm der Siegesrausch und der Siegesübermuth ein für alle Mal verginge, und er wieder so zahm und geduldig tanzen lernte, wie früher, wenn –“

Weiter kam der Amerikaner nicht in seinen frommen Wünschen für das künftige Wohl Deutschlands, denn Jane hatte sich plötzlich erhoben und stand hochaufgerichtet vor ihm, ihre Augen flammten auf den kleinen Mann nieder, als wollten sie ihn vernichten.

„Sie vergessen wohl ganz, Mr. Atkins, daß auch ich von deutschen Eltern stamme?“ fragte sie in schneidendem Ton.

Atkins stand da wie vom Donner gerührt. „Sie, Miß Jane?“ fragte er, seinen Ohren nicht trauend.

„Ja, ich! Und daß ich es nicht ertrage, von meinem Vaterlande in dieser Weise sprechen zu hören. Schmähen Sie allein, wenn Sie es jetzt noch wagen, sprechen Sie Ihre Hoffnungen zu Mr. Alison aus, er theilt ja Ihre Wünsche, aber zügeln Sie die Worte in meiner Gegenwart, ich dulde das nicht länger!“

Und mit einer Bewegung glühend edlen Zornes das Haupt zurückwerfend, drehte sie den beiden Männern den Rücken und verschwand in der Thür des Hauses.

„Was war das?“ fragte Henry nach einer secundenlangen Pause.

Atkins schien sich jetzt erst von der Bestürzung zu erholen, die die Scene in ihm hervorgerufen. „Das war wieder einmal der Vater! Mr. Forest, wie er leibt und lebt! Das war ganz sein Ton, sein Blick, mit dem er so herrisch Alles niederschlug! Ich habe nie dagegen aufkommen können, aber Sie, Henry, lassen Sie sich das bieten?“

Alison schwieg, seine Augen hatten mit einer wahrhaft verzehrenden Gluth an Jane gehangen, während der ganzen Zeit, als sie vor Atkins stand, sie hingen noch jetzt an dem Ort, wo sie verschwunden war, und es lag weit, weit mehr von Bewunderung als von Zorn in diesem Blick.

„Ich dachte, Mr. Forest haßte sein Vaterland,“ fragte er endlich langsam, „und er erzog auch die Tochter in diesem Haß?“

„O ja, er schmollte mit dem geliebten Deutschland sein Lebelang, und in der Todesstunde klammerte er sich an die Erinnerung, wie ein Verzweifelter. Wir lernen dies Volk doch niemals auskennen, Henry! Ich bin zwanzig Jahre lang im Hause der Forests gewesen, habe Leid und Freude mit ihnen getheilt, habe ihre geheimsten Angelegenheiten gekannt, und doch hat immer und ewig eins zwischen uns gelegen, dies Eine, was die bittersten Erfahrungen, der energischste Wille, was eine zwanzigjährige Gewohnheit bei dem Vater nicht bannen konnte, und was jetzt bei der Tochter, auf die das Alles vererbt ward, deren Erziehung durch und durch amerikanisch war, sich doch endlich Bahn bricht, – das deutsche Blut!“ –

Sie wurden unterbrochen, in der Dorfgasse erschien jetzt der erwartete Officier, von einem Soldaten begleitet. Henry ging ihm einige Schritte entgegen und grüßte artig; sein ganzes schlechtes Französisch zusammennehmend, begann er seine Beschwerde anzubringen, aber schon nach den ersten raschen Worten sprach er langsamer, stockte dann, begann von Neuem, stockte wieder, und schwieg endlich ganz, das Auge starr und unverwandt auf das Gesicht des Officiers gerichtet.

Auch dieser war gleich im ersten Moment befremdet einen Schritt zurückgetreten, inzwischen aber hatte sich auch Mr. Atkins genähert, der jetzt mit einem Ausdruck halb der Verwunderung und halb des Entsetzens rief: „Mr. Fernow!“

Henry zuckte zusammen, der Ausruf gab ihm die immer noch bezweifelte Gewißheit, wessen Augen es waren, die unter dem Helme ihm entgegenleuchteten. Jeder Blutstropfen wich aus dem Antlitz des jungen Amerikaners, mit einem einzigen Blick umfaßte er die ganze Erscheinung des vor ihm stehenden Officiers, ein zweiter flog nach dem Hause zurück, wo Jane jetzt weilte. Er schien etwas zu begreifen, ein wildes, halbunterdrücktes „Ah!“ entfuhr seinen Lippen, dann biß er die Zähne zusammen und schwieg.

Atkins hatte inzwischen den Lieutenant Fernow begrüßt, und dieser wendete sich jetzt mit ruhiger Artigkeit zu den beiden Herren.

„Ich bedaure, daß gerade ich es sein muß, der Ihnen eine Unannehmlichkeit ankündigt, aber die gewünschte Fortsetzung Ihrer Reise ist eine Unmöglichkeit. Es darf Niemand passiren, die Posten haben strengen Befehl, Jeden zurückzuweisen, wer es auch sei.“

„Aber, Mr. Fernow, so nehmen Sie doch Vernunft an!“ rief Atkins ärgerlich. „Wir müssen durchaus vorwärts, und Sie kennen ja uns, oder doch wenigstens mich genug, um nöthigenfalls dafür Bürgschaft leisten zu können, daß wir keine Spione sind.“

„Es handelt sich nicht darum, sondern um die Unmöglichkeit einer Ausnahme von der einmal gegebenen Ordre.“

„Aber unsere Legitimationen –“

„Nützen in diesem Falle nichts! Es thut mir leid, Mr. Atkins aber die Pässe sind gesperrt, und es darf Niemand vom Civil von dieser Seite her in’s Gebirge. Möglich, daß dieser Befehl morgen schon aufgehoben wird, da wir Verstärkung erwarten, für heute aber besteht er noch in seiner vollen Kraft.“

Atkins warf ihm einen Blick zu, in dem sich der Aerger über die erhaltene Zurückweisung mit einer Art starrer Verwunderung mischte.

„Nun, dann haben Sie wenigstens die Güte, Mr. Fernow, uns mitzutheilen, wo wir, Ihrer hohen Bestimmung gemäß, die Nacht über bleiben sollen. Zurück können wir nicht, sämmtliche Ortschaften, die wir passirten, sind mit Truppen überfüllt, vorwärts dürfen wir nicht, hier im Dorfe ist auch schwerlich auf ein Unterkommen zu rechnen. Sollen wir vielleicht im Wagen campiren?“

„Das wird nicht nöthig sein! Sie sind – allein?“

Es sollte wohl keine Frage in den Worten liegen, die Antwort war ja selbstverständlich, dennoch lag ein vielleicht unbewußtes Zögern darin.

Atkins wollte antworten, aber Henry, der jetzt zum ersten Male wieder sprach, schnitt ihm die Erwiderung ab, ohne sich an seinen verwunderten Blick zu kehren. Er hatte seinen Entschluß gefaßt.

„Ja!“ sagte er mit der größten Bestimmtheit.

„Dann glaube ich Ihnen die Gastfreundschaft meiner Cameraden verbürgen zu können. Wir haben Raum genug im Schlosse, und unsere Bekanntschaft,“ hier glitt ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht, „schürt Sie ja vor jedem etwaigen Verdachte. Entschuldigen Sie mich nur einen Augenblick.“

Er trat zu dem in der Nähe stehenden Posten und wechselte einige Worte mit ihm.

„Und das nannte sich früher Professor der Universität B.!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_342.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)