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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Sie haben lange geschlafen, Herr Baron; fühlen Sie sich etwas erleichtert?“

„Ein wenig,“ lispelte der Patient, „ich habe wieder angenehm geträumt.“

„Von Ihrer Frau? Sie nannten deren Namen!“

„Von meiner Pauline, ja. Ich sah sie leibhaftig an mein Bett treten, sie weinte und flüsterte: ‚Adolph!‘“

„Wenn dieser Traum nun zur Wahrheit würde?“ fragte forschend der Arzt.

„Eher würde ich glauben,“ erwiderte der Kranke mit schmerzlichem Lächeln, „daß ein Engel vom hohen Himmel zu mir herniederstiege!“

Länger hielt sich die tief ergriffene Gattin nicht. „Adolph!“ rief sie mit vor Thränen erstickter Stimme und sank vor seinem Bett auf die Kniee.

Wir wollen die Scene des Wiedersehens hier nicht weiter ausmalen. Der Arzt hatte zu wehren, zu trösten und zu beruhigen; es gelang ihm namentlich durch das Argument, daß der Krieg noch viele Tausend Unglücklichere gemacht, die Ruhe und selbst die Heiterkeit bei der jungen Frau wieder herzustellen.

„Darf denn mein Mann etwas genießen?“ fragte sie den Arzt. „Ich habe eine Kiste mit comprimirtem Gemüse mitgebracht.“ Sie seufzte unwillkürlich bei Erwähnung dieser ominösen Vegetarianerkost.

„Jetzt nur Kaffee!“ lallte der Kranke. „Kaffee! Kaffee! nichts weiter!“

„O, in diesem Artikel bin ich Meisterin!“ rief sie, jetzt wieder ganz heiter geworden. „Du sollst so duftigen Mokka haben, wie Du ihn jemals gemeinschaftlich mit mir bei Hiller getrunken hast!“

Der Arzt ließ sogleich eine Kaffeemaschine kommen, und in einer Viertelstunde dampfte der Mokka aus den Tassen. Der Kranke hat von diesem Kaffee – wie Frau Lucca mit großer Genugthuung selbst erzählt – fünf Tassen von ihr sich einflößen lassen; so groß war das Bedürfniß seines Magens nach Nahrung.

Ihre nächste Sorge war die Beschaffung einiger luftiger Zimmer und weicher Betten, sowohl für den Kranken als für sich und ihr Kammermädchen. Der Arzt sagte ihr, daß in ganz Pont à Mousson nur noch ein Haus bekannt sei, wo Zimmer und Betten vorhanden wären; der Besitzer desselben, ein französischer Beamter, behaupte aber, es sei bei ihm selber Alles krank und er halte sein Haus vor Jedermann verschlossen.

Hier erhob sich die Lucca mit ihrer alten Energie. „Was?“ rief sie, der Franzos’ will’s besser haben als mein Mann. Da müßte ich keinen Paß vom Grafen Eulenburg besitzen!“ Und nach Schirm und Hut greifend, wandte sie sich der Thür zu.

„Adolph, Du sollst bald besser quartiert werden; mit dem Franzosen werd’ ich a mal ein gutes Wort Deutsch reden. Verlaß Dich auf mich!“

Danach stürmte sie hinaus, dem bezeichneten Hause zu. Nach langem heftigem Läuten wurde ihr endlich geöffnet. Ein dürrer Mann in einem großgeblümten Schlafrocke und eine Zipfelmütze auf dem Kopfe trat ihr entgegen.

„Monsieur,“ redete sie ihn sofort an, „ich verlange von ihnen zwei luftige Zimmer und drei reinliche und möglichst weiche Betten! … Ah! Sie verstehen nicht deutsch! Bon! très bien! da werde ich ihnen zeigen, daß ich mein Schulgeld für den französischen Unterricht aach nicht vernascht habe.“ Darauf machte sie ihm im reinsten Französisch, nach dem leicht faßlichen System von Toussaint-Langenscheidt, begreiflich, daß sie für Zimmer und Betten bezahlen werde, ganz nach seinem Verlangen; sollte er, der Franzose, jedoch sich auch ihr gegenüber „dickköpfig“ zu verhalten gesonnen sein, so werde sie ihn mit seiner ganzen französisch parlirenden Mischpoche an die frische Luft auf das Schleunigste befördern lassen. Zum Beweise, welche Macht ihr gegeben, zeigte sie dem Buntbeblümten mit der Zipfelmütze die französische Seite ihres vom Minister Grafen Eulenburg erhaltenen Passes. Das wirkte drastisch. Der Franzose zog sofort die straffen Segel ein und stellte zwei der schönsten Zimmer nebst drei sauber überzogenen und gut gestopften Daunenbetten der gefährlichen Dame zur Verfügung. Er verlangte dafür allerdings eine enorme Summe, sie wurde ihm aber von der Frau Lucca, ohne Feilschen, in blinkenden Friedrichsd’or gleich baar ausgezahlt, was ihm zu imponiren schien.

Der Umzug des Kranken, wie der Einzug seiner sehr gesunden Frau mit ihrer Kammerjungfer und dem comprimirten Gemüse fand noch an demselben Abend statt.

„Siehst Du, Adolph,“ sagte die Gattin zu ihrem im weichen Bette aufrecht sitzenden Gemahl mit einem gewissen Stolze, „diese Wohlthat wäre Dir vielleicht nicht zu Theil geworden, wenn ich nicht ein Bischen Französisch verstanden hätte.“

Zehn volle Tage pflegte sie den Kranken mit treuer Hingebung; trotz der schrecklichen, durch das Eitern der Wunde hervorgerufenen Miasmen wich sie nicht von seinem Bett.

Die Kammerjungfer kochte und dämpfte jeden Tag eine vom Arzt bestimmte Portion des comprimirten Gemüses, das aber nur in sehr flüssigem Zustande von dem Patienten genossen werden konnte, dabei besserte sich sein Zustand mit jedem Tage.

Frau Lucca hatte ihren Gatten in einer ruhigen Stunde um die näheren Umstände seiner Verwundung gefragt; doch da ihm das Sprechen sauer wurde, verwies er sie an einen Unterofficier, Namens Walter, der ihm in der Schlacht vor Metz zur Seite gestanden und die Details seiner (von Rhaden’s) Verwundungsgeschichte genauer kennen müsse, als der Verwundete selbst. Dieser Unterofficier lag, am Bein verwundet, in dem von Rhaden verlassenen Lazareth.

Als der Kranke eines Tages eingeschlummert war, ließ Frau Lucca den Unterofficier Walter, der mit Hülfe eines Stockes schon wieder gehen konnte, zu sich bitten, und der wackere Krieger kam dieser Bitte auch bereitwilligst nach.

Wir geben die Geschichte der Verwundung des Lieutenant v. Rhaden, wie sie der Unterofficier Walter der Frau Lucca persönlich mitgetheilt hat.

„Am fünfzehnten August,“ so begann er seine Erzählung, „brachen die Franzosen von Metz auf, um auf der Straße nach Verdün durchzukommen; den Kaiser und seinen hoffnungsvollen Erben hatten sie wohlverpackt in der Mitte. Es wollte aber mit dem Vormarsch der Franzosen nicht so rasch gehen, wie sie wohl gedacht hatten, weil die Deutschen sie von allen Seiten bedrohten. Der Kaiser mußte auch zu seiner Escorte kein rechtes Vertrauen haben, denn er machte sich am Sechszehnten früh, auf einem Umwege nach Chalons, schleunigst auf die Strümpfe. Das war auch sein Glück, denn gegen Mittag desselben Tages brachten wir die Bazaine’schen bei Mars la Tour zum Stehen. Die feindliche Armee hatte zwei Dörfer, ein Vorwerk und die daran gelegenen Höhen besetzt.

‚Jagt die Kerls von den Höhen hinunter!‘ schrie der General von Stülpnagel. Das gelang nach schwerem Kampfe. Die Franzosen wurden von den Höhen und auch aus den Dörfern Vionville und Flavigny vertrieben und die Unseren setzten sich darin fest. Um ein Uhr hatte aber der Feind mit Infanterie und Artillerie das Gehölz St. Arnould besetzt und richtete von da aus ein mörderisches Feuer auf die Brandenburger, daß diese fielen, wie die Mücken im Rauch. Um drei ein halb Uhr erschien der Prinz Friedrich Karl auf dem Kampfplatze und ritt unsere Reihen entlang; die Granaten und Chassepotkugeln schlugen um ihn und seine Suite ein, so daß viele Mannschaften in seiner Nähe verwundet wurden. Der Prinz übernahm bei seinem Erscheinen den Oberbefehl. Bis vier Uhr währte der Artilleriekampf, nun aber hieß es: ‚Bajonnete zur Attaque! – Marsch! Marsch!‘ – Darauf hatten wir nur gewartet. ‚Hurrah!‘ schrie es aus tausend und aber tausend Kehlen, und mit gefälltem Bajonnet ging es los auf die unverschämten Rothhosen. Ach, gnädige Frau, war das ein Schießen, Schlagen und Stechen! Da konnte man wohl mit Schiller sagen: ‚Ein Schlachten war’s, nicht eine Schlacht zu nennen‘.

Der Lieutenant von Rhaden, ihr Herr Gemahl, war mit hochgeschwungenem Degen, nicht achtend der Kugeln, die, wie Schloßen in einem Hagelsturm auf uns niederfielen, in erster Reihe zu sehen, immer feuerte er uns an: ‚Nicht weichen, meine Braven! Das Gehölz müssen wir vor Dunkelwerden haben!‘ Ich hatte so recht meine Freude an der imposanten Heldengestalt; da plötzlich hält der Herr Lieutenant, mitten im Vordringen, ein, die Hand mit dem Degen senkt sich, er blickt starr nach einer Richtung und scheint das mörderische Treiben rings um sich her gar nicht mehr zu bemerken. Mir ahnte gleich nichts Gutes. Rasch eilte ich zu ihm und sah nun, wie ihm das Blut unter’m linken Auge über die Wange floß.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_303.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)