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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

keineswegs den Beifall des Grafen, im Gegentheil, er ärgerte sich, daß er sich von diesem Mädchen hatte imponiren lassen. Und dann – weshalb haßte sie ihn? Hermann verstand sich besser auf’s Beobachten, als sein leidenschaftlicher Freund, er wußte sehr wohl, daß es nicht Furcht oder Schrecken, daß es ganz entschieden Haß gewesen, der bei Nennung seines Namens aus ihrem Auge flammte, ein glühender energischer Haß, wie er ihn noch nie in dem Antlitz eines Weibes gesehen. Welchen Grund hatte sie, ihn zu hassen?

„Bah, ich kann es mir denken, Eugen wird ihr in seinen Briefen verrathen haben, daß ich es bin, der stets gegen diese Verbindung eifert, und Mademoiselle Walter sieht jetzt in mir das feindliche Element, das ihrem Glücke droht, und beehrt mich demgemäß mit ihrem Hasse. Schade um die energische Empfindung, die an einen so kleinlichen Beweggrund verschwendet wird!“ Die Lippen des Grafen kräuselten sich verächtlich, in der übelsten Laune stieg er auf, nahm seinem Kutscher die Zügel aus der Hand und fuhr im schärfsten Trabe davon. Es lag ein finsterer, trotziger Ausdruck auf seinem Gesicht, während er die Pferde zum vollsten Jagen antrieb; als aber am Ausgange des Dorfes zwei alte Frauen, die auf dem Wege standen, dem herrschaftlichen Wagen heiligst ausweichen wollten, sahen sie zu ihrem großen Erstaunen, daß derselbe seitwärts lenkte und in ziemlicher Entfernung an ihnen vorüberflog.




Es war Abend geworden, aber die Schwüle des Tages hatte noch nicht nachgelassen, im Westen drohte es gewitterschwer und die Landleute eilten vom Felde heimzukommen. Ohne Ahnung des herannahenden Unwetters, das der Wald für jetzt noch ihren Blicken entzog, ging Gertrud Walter den Fußweg entlang, der zum Schlosse führte. Sie sah noch ernster und nachdenklicher aus als heute Mittag, Eugen’s ganzes Wesen war ihr so seltsam verändert und verstört erschienen. Er hatte es nicht vermocht, seine sichtbare Unruhe und Aufregung zu verbergen, hatte auf keine ihrer Fragen Rede stehen wollen und sich nach kaum einer Viertelstunde von ihr losgerissen, unter dem Vorgeben, daß seine Gegenwart auf dem Schlosse dringend nothwendig sei. Betreten war Gertrud allerdings über dies Benehmen, aber von einem Argwohn kam auch nicht die leiseste Spur in ihre Seele, sie glaubte vollkommen der Erklärung ihres Verlobten, daß er eine ernste Unannehmlichkeit gehabt, die ihn so tief verstimmte, und erwartete mit Ungeduld die verabredete Zusammenkunft heute Abend, in der er versprochen hatte, ihr Alles zu entdecken. Sie wollte Theil haben an seinem Unglück, wollte rathen, trösten, helfen so weit es in ihrer Macht stand – freilich ahnte sie nicht im Entferntesten, welche Entdeckung ihrer wartete.

Es war die Stunde seines Kommens; sie war ihm entgegengegangen und stand jetzt wartend auf der Hälfte des Weges. Weiter zu gehen wagte sie nicht, denn man sah von hier aus durch eine Lichtung des Waldes bereits das Schloß, wohin, wie Eugen sagte, ihn ein Auftrag geführt, mit dessen Ausführung er eben beschäftigt war. Das junge Mädchen setzte sich auf einen Baumstamm nieder und ließ die gefalteten Hände in den Schooß sinken. Sie sah in diesem Augenblicke noch ganz und gar kindlich aus und ihr Gesicht trug: trotz der Sorge, die darauf lag, doch den Ausdruck des vollsten innigsten Vertrauens, als sie so in die Ferne blickte. Aber plötzlich änderte sich dieser Ausdruck; ihr Blick hatte das Schloß gestreift, das aus den Tannenwipfeln links herübersah, und damit schien irgend eine andere finstere Erinnerung heraufzusteigen. Es legte sich wie ein Schatten auf die jugendlichen Züge, die Lippen preßten sich heftig aufeinander, die verschlungenen Finger lösten sich, sie strich hastig einige Male mit der Hand über die Stirn, als wolle sie einen quälenden Gedanken verscheuchen, und blickte dann angestrengt nach jener Richtung, von der Eugen kommen mußte.

Jetzt erschallten auch wirklich Tritte von dorther. Gertrud sprang empor, aber es waren die Tritte zweier Personen. Das junge Mädchen stand unentschlossen, ob sie vorwärts eilen oder warten solle; da drang eine scharfe klare Stimme zu ihr herüber und machte sofort jedem Zögern ein Ende. Sie erbleichte; Eugen in dieser Begleitung treffen? Nun und nimmermehr. In der nächsten Minute war sie hinter ein dichtes Gebüsch getreten, das sie den Blicken der Kommenden völlig entzog.

„Ich habe den ganzen Nachmittag vergeblich eine Minute des Alleinseins mit Dir gesucht,“ sagte die Stimme Eugen’s, „aber Du schienst absichtlich auszuweichen und Antonie ließ mich nicht einen Augenblick von ihrer Seite. Du mußt mich jetzt hören, Hermann, ich bedarf Deines Rathes, Deines Beistandes.“

„Wozu?“

Die beiden jungen Männer waren inzwischen aus dem Walde hervorgekommen, und der Graf blieb unmittelbar vor dem Gebüsch stehen.

„Wozu?“ wiederholte er noch einmal.

Eugen sah ihn an, etwas betreten über den eisigen Ton „Du fragst mich noch? Du weißt es ja, daß Gertrud hier ist, und kannst Dich in meine peinvolle, entsetzliche Lage hineindenken.“

„Willst Du mir nicht vor allen Dingen sagen, wie Deine ehemalige Braut hierher gekommen ist?“

„Durch den unseligsten Zufall von der Welt! Ihr Vormund will Verwandte in A. besuchen und hat sie dorthin mitgenommen. Sie müssen unser Dorf passiren, und Gertrud, die natürlich meinen jetzigen Aufenthalt kennt, bestimmt den Oheim, einen Tag anzuhalten, um mir eine, wie sie meint, frohe Ueberraschung zu bereiten. Ich dachte in die Erde zu sinken, als ich heute Mittag die Nachricht ihres Hierseins erhielt!“

„So?“ Die eigenthümliche Kälte in dem Tone des Grafen bildete einen scharfen Contrast gegen die leidenschaftliche Heftigkeit Eugen’s. „Das ist allerdings ein sehr peinlicher Zufall! Und was gedenkst Du nun zu thun?“

Der junge Mann fuhr mit der Hand über die Stirn. „Ich weiß es nicht!“ sagte er gepreßt. „Ich gab einen wahrscheinlichen Vorwand meiner Verstimmung an und riß mich so schnell wie möglich los, um ihr nicht Rede stehen zu müssen; aber sie erwartet mich heute Abend, sie wird mit Fragen, mit Bitten in mich dringen. – Rathe mir, Hermann, was soll ich thun?“

Der Graf setzte sich auf den Baumstamm nieder, den Rücken gegen das Gebüsch gekehrt; er gab seine kühle abweisende Haltung nicht eine Minute auf. „Etwas, was Dir nicht leicht werden wird, aber nichtsdestoweniger geschehen muß – ihr die Wahrheit sagen.“

„Unmöglich! Das kann ich nicht!“

„Eugen!“

„Ich kann nicht!“ wiederholte Eugen leidenschaftlich: „Alles Andere, nur ihr nicht unter die Augen treten mit einem solchen Geständniß. Das vermag ich nicht!“

„Du scheinst diese Augen sehr zu fürchten. Doch gleichviel, wenn Du das Geständniß nicht wagst, was dann?“

Eugen schlug die Augen nieder. „Ich wollte,“ sagte er nach einer Pause stockend, „ich wollte ihr für jetzt noch gar nichts entdecken. Sie reist heute Abend wieder ab und ich gehe bereits in der nächsten Woche mit Dir nach Italien. Von dort aus wollte ich allmählich ein Verhältniß lösen –“

„Allmählich ein Verhältniß lösen – nun weiter, ich warte auf den Schluß.“

(Fortsetzung folgt.)




Webervögel im Berliner Aquarium.
Von Brehm.

Bei meiner ersten Ankunft in Ost-Sudahn waren der kurze Frühling und Sommer, welchen die afrikanische Regenzeit zaubermächtig über das Land bringt, bereits vorüber, die Waldungen größtentheils entlaubt, die Graswälder der Steppe dürr geworden, die Zug- und Wandervögel verschwunden, nach Norden, nach Süden geflogen. Ihre Merkmale aber hatten diejenigen, welche während der Regenzeit brüten, zurückgelassen. Auf den meisten Bäumen sah man Nester, hier mächtige, aus Dornen zusammengeschichtete Haufen, dort kleine, wie zusammengewehete Grasbüschel, an der einen Stelle festgegründete Horste, an der anderen korbähnliche,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_760.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)