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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

ja manche Ortschaften scheinen mehr der Tauben als der Menschen halber erbaut zu sein. Nur das untere Stockwerk des pyramidal aufgeführten, plattgedeckten Gebäudes bewohnt der Bauer; das obere, gewöhnlich weiß getünchte und sonst verzierte, gehört den Tauben an. Man baut hohe, kuppelförmige Thürme einzig und allein diesen Vögel wegen.

Die Taubenschläge Aegyptenlands sind gänzlich von den unsrigen verschieden und verdienen wohl, mit ein paar Worten beschrieben zu werden. Ihr Mauerwerk besteht nämlich nicht aus Ziegeln, sondern, von einer gewissen Höhe an, nur aus großen, eiförmigen Töpfen. Jeder Topf ist an dem nach außen gekehrten Ende, dem Boden, wenn man will, durchbrochen, das runde Loch in der Mitte jedoch nicht groß genug, um einer Taube Durchgang zu gewähren, und dient nur, um Licht und Luft durchzulassen. Von innen ist jeder Topf bequem zugänglich und giebt einem Neste Raum. Die Eingänge zu den Taubenhäusern sind ziemlich groß; der Stelle unserer Flugbretter hat man unter und neben ihnen Stöcke und Reisigbündel eingemauert.

Man gewahrt sehr bald, daß diese Taubenschläge im höchsten Grade geeignet sind, den Tauben alle Annehmlichkeiten eines Wohnsitzes zu bieten. Die Taubenthürme sind beständig von äußerst zahlreichen Flügen umschwärmt, und in manchen Gegenden werden die Haustauben geradezu zur Landplage: sie sind so gemein, daß der Fellah selbst den reisenden Sonntagsschützen auffordert, Jagd auf die Hausthiere zu machen, und sich weidlich freut, wenn ein Schuß erfolgreich war.

Kaum in geringerer Zahl bewohnt dieselbe Taube wild die eigneten Felsenufer des Nil. Namentlich in den Katarakten habe ich an den höheren Felsengallerien jedes Plätzchen von Tauben bewohnt gesehen und ungeheure Flüge von ihr wahrgenommen. Von Oberägypten an hört die Taubenzucht mehr und mehr auf; die wilden Schwärme bevölkern aber auch noch in Nubien zahlreich alle Felsenwände. Man trifft oft große Schwärme mitten in der Wüste an und fragt sich vergeblich, wie die arme Erde hier im Stande ist, den Massen genügende Nahrung zu bieten, zumal diese Nahrung ihnen noch durch zahlreiche Ketten verschiedener Flughühner nicht unwesentlich verkümmert wird. Die Taube bildet größere oder kleinere Siedelungen an den Kalkfelsen, welche steil zum Nile abfallen; man bemerkt sie auch im Hochgebirge von Habesch; man begegnet ihr zum Beispiel auf einem vereinzelt von der Ebene Mensa’s sich erhebenden Felsenblocke, welchen mit ihr der Felsenstärling, Klippschliefer und ein Stachelschwanz bewohnen; kurz, sie ist überall, wo sich ein Platz für sie findet, ständiger Bewohner des Landes. In Spanien traf ich sie zuerst in einer vom Wasser ausgewühlten Schlucht des trockenen „Campo“ bei Murcia, hielt sie aber damals nur für die verwilderte Haustaube, weil ich weiße und dunkle, gescheckte und röthliche Spielarten in dem Fluge beobachtete. Später begegnete ich ihr wieder in der Sierra Nevada, wo sie einige Felswände in dem niedlichen Bergthal des Jenil bevölkerte. Von Alexander von Homeyer wissen wir, daß sie auf den Balearen ebenfalls nicht selten ist und hier zu ihrer Brut- und bevorzugten Aufenthaltsstätte unterhöhlte Klippen wählt, welche von oben aus gar nicht, von unten her nur schwer zugänglich sind. In ähnlicher Weise lebt und brütet sie auch hier und da in Dalmatien, wie wir von tüchtigen und beobachtungsfähigen Jägern mitgetheilt wurde, so auch schon in Pola, der bekannten Flottenzeugstätte

Durchaus verschieden von allen Oertlichkeiten, wie ich sie bisher erwähnt, sind die Brutplätze des Vogels auf dem Karst und in einem großen Theile Istriens. Das ganze Gebirg ist bekannlich überaus reich an größern und kleinern Höhlen; ja, es will fast scheinen, als werde der Rücken nur getragen von einzelnen mächtigen Massen, gewissermaßen Pfeilern, welche durch hochgewölbte Höhlen von einander getrennt sind. Nicht wenige dieser Höhlen oder Foybas, wie die dortigen Slaven sie nennen, öffnen sich in höchst eigenthümlicher Weise: sie gleichen nämlich senkrecht von der Fläche des Gebirges eingetieften Schachten, welche sich nach unten hin erweitern und stollenartig in mehr oder minder wagerechten Höhlen unter der Decke des Gebirges fortlaufen. Einzelne dieser Foybas nehmen in sich die wenigen Gewässer auf, denen der überall durchsickernde Felsboden gestaltet hat, sich zu Bächen oder kleinen Flüßchen zu sammeln; bekannt ist, daß die Laibach in die Grotte von Adelsberg eintritt und sieben Meilen davon bei Oberlaibach erst wieder zu Tage kommt; minder bekannt, bei uns in Mitteldeutschland wenigstens, daß ein weit bedeutenderer Fluß, die Recca, mehrere Meilen nordöstlich von Triest sich in die Tiefe einer von ihr ausgewaschenen Höhle stürzt, einen großartigen und prachtvollen Wasserfall bildend, sich ebenfalls im Karst verliert, unterirdisch fortläuft und, wie man annimmt, erst in der Gegend von Monfalcone wieder zum Vorschein kommt. Die trichterförmige Oeffnung, welche durch die Recca bei ihrem Einfallen in’s Gebirge gebildet wird, soll, wie man mich versicherte, ein besonderer Lieblingswohnsitz unserer Tauben sein, wohl aus dem Grunde, weil er die beiden Anforderungen des Vogels, steile Felsenwandungen und Wasser, vollständig erfüllt. Aber die Felsentaube begnügt sich am Karst auch mit Foybas, wie ich sie vorher mit kurzen Worten zu schildern versuchte; ja es will scheinen, als wenn diese wasserlosen Felsenschachte hier geradezu die eigentlichen Wohnsitze des Vogels wären.

Nach den mir gewordenen Beschreibungen landeskundiger Jäger und Beobachter, insbesondere des Stabsarztes Dr. Kudlich, welcher nicht blos ein eifriger Jäger, sondern auch ein tüchtiger Beobachter ist, öffnen sich die Mündungen dieser Schachte meist in der Tiefe einer jener kleinen, kesselförmigen Einsenkungen, welche, wie bereits bemerkt, inmitten des mehr oder minder ebenen Gebirgsrückens liegen. Bei einzelnen wird diese Oeffnung aber auch nicht einmal durch einen solchen Vorkessel vermittelt, sondern es steht der Wanderer oder Jäger urplötzlich vor einem dunkeln Schlunde, welcher in gefahrdrohender Weise zu ihm heraufgähnt und in der That auch schon manchen Unglücksfall verschuldet hat. Da, wo sich ein Kessel findet, sind die Wandungen desselben meist von Gestrüpp und einem Gewirr von Schlingpflanzen begrünt und übersponnen, von denen einzelne ihre Ranken in die dunkle Tiefe hinabhängen lassen; dieses Gestrüpp dient dem Kundigen als Merkmal und Warnung vor der jählings sich öffnenden Tiefe, weil alle unten geschlossenen Kessel von den spärlichen Bewohnern des Karstes urbar gemacht und zu gartenartigen Feldern, bezüglich terrassenförmig übereinander angelegten Beeten umgewandelt worden sind. Bei mehreren der berühmtesten Taubenhöhlen übersteigt der äußere Umfang des Kessels nicht fünfzig Fuß, und die Oeffnung des Schachtes selbst hat kaum mehr als zwanzig Fuß im Durchmesser. In sehr geringer Tiefe aber weitet sich der Schacht glockenförmig wieder aus, und weiter unten steht er mit Seitenhöhlen in Verbindung. Der enge Schacht ist der einzige Ein- und Ausgang, welchen die Vögel benützen müssen; die ausgehöhlten Felswände in der Tiefe gewähren ihnen vollkommen, sichere, weil so gut als unzugängliche, Wohnsitze und Niststätten.

Das Ungewöhnliche dieser Brutstätten der Taube, das Leben dieses Vogels unter der Erde, welches bekanntlich nur noch im Guacharo seines Gleichen hat, veranlaßt und lockt die Jäger Triests und der Umgegend, alljährlich an diesen Foybas ein sogenanntes Taubenschießen abzuhalten. Nach den mir gewordenen Schilderungen zu urtheilen, muß diese Jagd, so geringfügig das Ergebniß auch scheinen, so wenig werthvoll die Beute sein mag, etwas überaus Anziehendes haben.

Lange vor Tagesanbruch begeben sich die Jäger an Ort und Stelle, geleitet oder richtiger geführt von ortskundigen Bauern. An der Foyba angekommen, umkreist die Jagdgesellschaft den Rand des Kessels, und Jeder nimmt nun seinen Stand, so gut als möglich gedeckt durch Felsblöcke oder Gestrüpp.

Noch ist es still in der Tiefe, kaum ein Laut hörbar auf dem im ersten Lichte des Morgens dämmernden Gebirgsrücken. Im Osten kündet das Roth den kommenden Tag, und so schwarz auch die Tiefe von unten heraufgähnt, dieser Schimmer wird, wenn auch nicht bemerkt, so doch empfunden. Ein Tauber läßt sich rucksend vernehmen, ein zweiter antwortet, und dumpf und verworren klingt von unten herauf der Jedermann bekannte Liebes- und Paarungsgesang unserer Vögel: das abwechselnd bald wie „Maruku“, bald wie „Murkuku Ru Ru“ klingende eigentliche Rucksen und das sogenannte Heulen oder Seufzen, wie wir dasselbe von dem Abkömmling der Felsentaube, unserm Feldflüchter, vernehmen können. Allgemeiner und vernehmlicher wird dieser Morgengesang, zugleich aber auch verworrener; denn in der weiten Höhle prallen die Klangwellen von allen Seiten wieder zurück, und dieser Widerhall erzeugt mit den eigentlichen Lauten im Verein ein unbeschreibliches Getön, vergleichbar fern rollendem Donner. „Flap, flap, flap“ erschallt es dazwischen – ein Tauber hat seinen Schlafsitz verlassen und ist einer höher gelegenen Stelle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_751.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)