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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

zusammengestelltem Gewehr von den Preußen überrascht worden sind und ein vollständiges Zeltlager und das Gepäck einer ganzen Division und über tausend Gefangene in unsere Hände fielen. Während des ganzen Nachmittags zogen Männer und Frauen zu Fuß und zu Wagen mit Allem hinaus, was zur Labung und Linderung der Verwundeten dienen konnte, Jünglinge und Jungfrauen legten einen Heroismus an den Tag, der es verdient, mit goldenen Buchstaben in die Geschichte des deutschen Volkes eingeschrieben zu werden; ich will es heute unterlassen, Ihnen Scenen zu schildern, welche wohl die Schmerzensthränen in das Auge rufen, zugleich aber auch das Herz höher schlagen machen und die Gewißheit in unsere Seele rufen, daß ein solches Volk, daß das deutsche Volk nimmermehr zu Schanden werden wird!

Zwei Tage nach dem Kampfe habe ich das Schlachtfeld besucht – Gott, welch grauenhaftes Bild! Noch lagen Hunderte von Todten, Franzosen und Preußen, auf dem Plan, in der Bewaldung und dem Plateau der Spicherer Höhen; reihenweise lagen die Franzosen in den Bergeinschnitten, alle, alle in Stirn und Brust getroffen. Hier steckten sechs Zündnadelgewehre mit dem Bajonnet in dem Boden, sechs Helme, darunter der eines Officiers, lagen rundum und zeigten, wo die vierziger Braven den Tod und ihr Grab gefunden haben; dort drüben zeigen roh gearbeitete Kreuze an, daß an der Stelle siebzig Franzosen und einunddreißig Preußen gemeinsam ihre letzte Ruhestätte fanden, und so geht es fort und fort auch an beiden Seiten der Kaiserstraße entlang, die durch das Thal hin nach Forbach und Metz führt. Zerrissene und blutige französische Uniformen aller Waffengattungen, Tausende von Gewehren und Tornistern liegen zerstreut umher und schwarze Lachen zeigen, wo edles Menschenblut in Masse geflossen ist. Eine große Anzahl der längs zu beiden Seiten des Weges stehenden Bäume ist durch die Granaten zersplittert und die Aeste bedecken den sie umgebenden Raum. Hier und da hängt noch ein Feldkessel über der Vertiefung, die als Feuerheerd diente, und halbreife Kartoffeln zeugen von der Nahrung, mit welcher sich die Franzosen begnügen mußten. An einer andern Stelle graben Arbeiter weite Gräber für die zahlreich gefallenen Pferde und in dem sogenannten Molenthal birgt ein einziges Grab mehr als einhundertzwanzig gefallene Krieger. Vor diesem Riesengrab liegt der heldenmüthige General François und noch drei Officiere, für die man besondere Hügel gemacht hat. Einzelne Gräber sind auch schon mit Blumen und Strauchwerk geziert und ihre Inschriften nennen die Namen der Treuen, die hier den Heldentod fürs Vaterland gefunden haben. Sie mögen sanft ruhen im Mutterschooß der Erde – Gott aber möge die Thränen trocknen, die um die Gefallenen geweint werden, und Trost senden in die Herzen, die heute in Schmerz und Kummer schlagen; er möge Frieden bringen den Eltern, die vergeblich nach dem Liebling fragen, der erst vor wenigen Tagen noch frisch und froh in ihrer Mitte war, und möge ein Vater der Wittwen und Waisen sein, denen mit den gefallenen Kämpfern die einzige Stütze in’s Grab sank.



In der Weißenburger Gartenlaube. Professor Thumann begleitet die Einsendung der heutigen Illustration mit folgenden Worten: Am Morgen des Fünften fuhren wir mit einem steifen und deshalb von Requisitionsfuhren verschonten Pferde aus Weißenburg zu und erreichten bald das Städtchen Zabern, in dem ungefähr zweihundert Verwundete verpflegt wurden, zu denen immer noch neue Abtheilungen eintrafen. Auf dem weiteren Wege nach Weißenburg wiederholte sich in jedem Dorfe und auf der Straße das traurige Bild „Verwundete transportirt“. Aber schon hier drängte sich die Bemerkung auf, daß jeder der braven Unglücklichen nicht nur den Feind, sondern auch sich zu besiegen verstand, denn von Keinem war eine Klage, ein Jammern zu hören. Ernst und ergeben trug Jeder sein Loos, ja Mancher gab unsern Gruß mit humoristischer Bemerkung zurück. Auf der letzten Höhe vor Weißenburg angekommen, befanden wir uns auf dem Gefechtsterrain. Rechts und links todte Pferde, die Straße mit Fuhrwerk und die Felder mit campirenden Truppentheilen bedeckt. Bald, dicht am Wege, zeigte sich die erste Leiche – ein baierischer Jäger – und diesem ersten mir vor Augen tretenden Helden hat meine Empfindung reichen Tribut gezahlt; allen anderen, die nach ihm kamen, galt, was ich hier mein volles, noch nicht abgestumpftes Herz habe sprechen lassen, und mit einem „Vaterunser“ so innig, wie vielleicht nie zuvor, habe ich Abschied von diesem Ersten genommen.

Ueber das Gefecht selbst, seine Disposition und seinen Verlauf sind inzwischen so viele detaillirte Berichte gekommen, daß ich mich damit nicht abgeben darf, und so fahre ich einfach in der Schilderung der persönlich erhaltenen Eindrücke fort. Kurz vor der Stadt lagen, gemischt mit Baiern, die ersten Turcos, dicht umstanden von eben erst eingerückten baierischen Soldaten. Vor dem Thorwärter- oder Zollhause, dicht am Eingange in die Festung lagen drei dieser „Träger der Civilisation“ neben einander. Das Häuschen war von fünf Turcos besetzt gewesen, welche, gedeckt, auf verwundete baierische Jäger schossen, die zu der in die Stadt dringenden Colonne gehört hatten und hier gefallen waren. Nach anderen Berichten sollen sich die Turcos noch weiterer Grausamkeiten schuldig gemacht haben. Kaum aber hatte man auf deutscher Seite dieses bestialische Treiben bemerkt; so wurde das Häuschen im Sturm genommen und die Turcos niedergemacht. Zu ihnen gehörten eben die, welche ich hier sah. Obgleich östlich von der Stadt auf dem weiten Angriffsfelde der Preußen diese Truppengattung massenhaft zu finden war, habe ich vorgezogen, Ihnen die Gruppe am Zollhause mitzutheilen, weil dabei zugleich aus der Localität erkannt werden kann, daß die Stadt mit vollkommenen Festungsmauern, Wallgräben etc. versehen ist. An einem reizenden Platze, in einer schattigen Veranda, umrankt von wildem Weine, lagen die Menschen, die bestimmt waren, die Gräuel des Krieges wilder Völkerstämme in unser Land zu tragen. Den ganzen Tag über waren sie Gegenstand der Neugierde, und so mancher ankommende Soldat, der keine Zeit hatte sich im Felde umzusehen, bekam hier schon Gelegenheit, die Vogelscheuche des französischen Heeres zu erblicken. Deutschland hat inzwischen eine gute Anzahl derselben zu näherer Besichtigung erhalten, und da der Ausspruch eines schlesischen Soldaten: „die Kerle sind zahm, sie fressen aus der Hand“ nicht allgemeine Gültigkeit haben dürfte, so ist es erfreulich zu wissen, daß seit der Schlacht bei Wörth nicht gar viel von dem wilden Gesindel übrig ist, um unsere Lazarethe und Gefangenen-Stationen weiter zu füllen und zu beunruhigen.



Die Deutschen Amerikas in der Kriegsfrage. Die schamlose Kriegserklärung des übermüthigen corsischen Abenteurers gegen Preußen ist wie eine Bombe unter die Deutschen Amerikas gefallen und hat überall bei ihnen den wildesten Enthusiasmus, den glühendsten Patriotismus für die alte Heimath entzündet. Aus allen größeren Städten der Union bringt uns der Telegraph Nachricht von Massenversammlungen der Deutschen, die ihren patriotischen Gefühlen Luft machen wollen, und durch Wort und That zeigen, daß sie in der Fremde das alte Vaterland nicht vergessen haben. Ohne Ausnahme wird dieser Krieg nicht als ein speciell gegen Preußen gerichteter, sondern als ein nationaler, als ein französischer Raubzug gegen Deutschland angesehen.

Wer im alte Vaterlande noch geglaubt hat, daß die ausgewanderten Deutschen sich wenig um Deutschland bekümmern, sich veramerikanisiren und den allmächtigen Dollar als ihren Abgott betrachten, dem möchte ich wünschen, einer dieser Massenversammlungen beizuwohnen, den begeisterten Reden zuzuhören und zu sehen, wie das Geld mit vollen Händen zum Besten der verwundeten Krieger, welche ihr Leben für Deutschlands Ehre und Größe in die Schanze schlagen, der Wittwen und Waisen der Gefallenen freudig hergegeben wird; er würde gewiß bald seinen Irrthum gewahr werden und einsehen, daß die Ausgewanderten für Deutschland, dem ihre Begeisterung heute in seiner ganzen Gesammtheit gilt, nicht verloren sind.

Einen großartigen Beweis davon lieferte die Massenversammlung der hiesigen Deutschen, welche in den letzten Tagen des Juli in dem geräumigen Locale der alten Turnhalle abgehalten wurde. Von den in San Francisco wohnenden mehr als fünfundzwanzigtausend Deutschen hatten die zahlreich Anwesenden das Haus dicht gefüllt, und es herrschte daselbst während des Abends ein Enthusiasmus für Deutschland, wie ich in Amerika Aehnliches nie gesehen habe. Es war der Geist aus den Befreiungskriegen von 1813, der alle Herzen gefangen hielt und welcher diesmal nicht allein durch Deutschland, sondern über den Erdball schreitet. Begeisterte Reden wurden gehalten; patriotische Lieder gesungen; Depeschen vom Kriegsschauplatz vorgelesen und eine Adresse an König Wilhelm, den Führer des deutschen Heeres, per Telegraph abgesandt.

Zuletzt beschloß man, ein Comité zu ernennen, welches sogleich mit der Sammlung von Beiträgen zur Verpflegung der Verwundeten, Wittwen und Waisen in Deutschland beginnen und alle deutschen Vereine und alle von der gerechten Sache Deutschlands überzeugten Einwohner Californiens, ohne Rücksicht auf Nationalität, zur Bildung von Zweigvereinen auffordern solle. Beim Aufbruch der Versammlung wurden von den Anwesenden, trotz der hier gegenwärtig herrschenden allgemeinen Geschäftsstockung, auf der Stelle über eintausend Dollars in Gold, und zwar jeden Monat während der Dauer des Krieges dieselbe Summe zu zahlen gezeichnet, und sechshundertundfünfzig Dollars in Gold in freiwllligen Beiträgen an der Thür eingenommen. Dieses ist aber kaum ein Anfang zu nennen und die eigentliche Sammlung wird erst in einigen Tagen beginnen. Viele tausend Dollars werden von Californien nach der alten Heimath gesandt werden, um dort das durch den Krieg hervorgebrachte Elend zu lindern. Die kleineren Städte Californiens werden gewiß nicht hinter San Francisco zurückbleiben, wenn es heißt, für Deutschlands Größe und Ehre, die uns Alle in der Fremde an’s Herz gewachsen ist, ein Scherflein hinzulegen.

Heute kann ich Ihnen zu meiner großen Freude melden, daß bereits fünfundzwanzigtausend Dollars gesammelt sind und zur Absendung nach Deutschland bereit liegen.

San Francisco, Ende Juli 1870.

Theodor Kirchhoff.

Auch von anderen Freunden der Gartenlaube gehen uns ausführliche Berichte zu, welche den allgemeinen Enthusiasmus, der in Amerika für die deutsche Sache herrscht, bestätigen. Wir können dieselben natürlich hier nicht alle zum Abdruck bringen, sondern entnehmen nur noch einem gleichfalls aus San Francisco kommendem Berichte zur Heiterkeit unserer Leser folgende Notiz. Ein blutdürstiger Franzose setzte fünfhundert Dollars für den Soldaten aus, der die erste deutsche Fahne erobern würde. Er glaubte Großes gethan zu haben. Flugs aber thaten sich ein paar Deutsche zusammen und setzten in den Zeitungen von San Francisco gleichfalls einen Preis aus – aber „nur zehn Dollars, und diese für ein ganzes Dutzend französische Fahnen“.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_588.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)