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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

„Nein, wir haben es nicht gethan,“ fiel, sich wendend, jetzt heftig Melusine ein; „aber noch weniger hat es der Graf gethan, der gar kein eigentliches Interesse bei ihrem Tode hatte. Denn ich bin vollständig überzeugt, daß er längst die eigentliche Lage der Dinge begriffen hatte, daß er sehr gut wußte, wie nach dem Erbrechte der Ermordeten nicht sein. sondern unser Erbrecht folgte … er müßte sehr einfältig und kurzsichtig sein, wenn er, nachdem wir seine Gedanken so wiederholt darauf gelenkt, nicht darüber nachgedacht hätte und zu dieser sehr naheliegenden Entdeckung gekommen wäre …“

„Er hat das durch nichts verrathen!“ rief der Vicomte aus.

„O doch, doch – er hat es mir verraten. Er hat Worte zu mir gesprochen, deren Bedeutung ich erst jetzt ganz verstehe. Er hat mir einen Heirathsantrag gemacht.“

„Dir einen Heiratsantrag?“

„Ja, gestern!“

„In der That? Den Du zurückwiesest natürlich …“

„Natürlich!“

„Aber dann liegt ja sein Plan ganz offen da – er hat die erste Erbin ermorden, die zweite heiraten wollen …“

„Nein, nein!“ rief Melusine zornig aus, „das Erste ist nicht wahr, nur das Zweite. Diese Frau Wehrangel hatte ihm Aufklärungen über ihr Recht gegeben, aber zugleich auch die Bürgschaft, daß sie ihr Recht nie werde wider ihn geltend machen, wie sie es bisher nicht wider ihn geltend gemacht hatte und sich unter einem ganz fremden Namen hier barg … mir aber hat er in seinem tollen Uebermuthe alsdann seine Hand geboten, um so auch der zweiten Prätendentin sicher zu sein und sie unschädlich zu machen …“

Melusine sprach diese Worte mit unsäglicher Bitterkeit.

„Aber dann,“ sagte der Vicomte, „begreife ich weder diesen Mord, noch das Geständniß des Grafen Maurach; dann begreife ich weder, wo er die Nacht war, noch wie die Papiere der Ermordeten in seinem Besitz gefunden werden konnten.“

„Wenn die Frau Wehrangel so sehr in Zwist und Hader mit dem Manne lebte, mit dem sie getraut war, daß sie sich von ihm geschieden hatte, daß sie unter einem angenommenen Namen fern von ihm hier wohnte – so liegt es nahe genug, zu denken, daß dieser Mann sie ermordet hat. Ein Fremder, der nach uns sich erkundigt hat, ist hier gestern aufgetaucht. Wer war es anders als dieser Mann? Hat nicht der Graf seinen Namen genannt, gestern noch, und nach ihm gefragt? …“

„Aber Du sahst doch, daß der alte Geistliche, der Pastor Demeritus, nicht im Entferntesten daran dachte, daß dieser Mann, sein Bruder, der Mörder sein könne, daß er vollaus von der Schuld des Grafen überzeugt war.“

„Ich sollte gesehen haben, was dieser Mann dachte, was sich hinter diesen verschmitzten Zügen für Vorsätze und Absichten bargen? Ich denke, es wäre sehr schwer, das zu sehen! Gerade weil er seinen Bruder für den Schuldigen hält, mag er desto eifriger darauf aus sein, den Grafen für den Schuldigen gelten zu machen. Und kurz und mit einem Worte, Vater: Graf Ulrich ist völlig unschuldig an der That, völlig, und er, er bekennt sich dazu, nur um uns, um mich zu höhnen, um uns seine Verachtung zu zeigen …“

„Melusine!“ rief hier der Vicomte, „aber das ist ja eine wahnsinnige Idee – das ist ja ganz absurd, ganz toll … der Graf sollte einen Mord eingestehen; er sollte mit der furchtbaren Schwere des Verdachts, der ihn belastet, sein Spiel treiben, indem er geradezu bekennt – er sollte sich verhaften lassen, er sollte der Gefahr, verurtheilt zu werden, hingerichtet zu werden, trotzen, und das Alles nur, um uns zu höhnen, aus wildem Uebermuth, in der Leidenschaft der Verachtung?“

„Eben in dieser Leidenschaft, in der Leidenschaft der Verachtung,“ entgegnete Melusine, „das ist der rechte Ausdruck! Und die Leidenschaft ist eben zu Allem fähig, und es ist nichts als Tücke, als Trotz, als Rachsucht gegen uns, was ihn so handeln läßt!“

Der Vicomte sah seine Tochter einen Augenblick ganz verwirrt und verloren an. Plötzlich sagte er mit einer ganz eigenen Betonung seiner Stimme:

„Ma foi, wenn es Rachsucht ist, so hat sie, scheint es, zum richtigen Mittel gegriffen!“

„Was willst Du sagen?“

„Daß Du in der That durch die Reden des Grafen merkwürdig aus dem Geleise geschleudert bist, mein Kind!“

„Nun ja, das bin ich!“ erwiderte Melusine bestimmt und rund heraus. „Dieser Mensch besitzt die Kunst, mich aus allen Geleisen zu schleudern. Er versteht es, mir die ganze Seele um und um zu wenden. Erst durch seinen Uebermuth. Ich bitte Dich, Vater, was gab ihm das Recht zu diesem Uebermuth uns gegenüber – zu diesem Wesen, das fortwährend sagte: ‚ich achte Dich nicht genug, nur etwas zu unterdrücken, was mir durch den Kopf fährt, etwas zu verschweigen, was mich Dir im übelsten Lichte zeigt?‘ Was gab ihm[WS 1] den Muth, mir seine schlechten und tollen Jugendstreiche zu gestehen, und endlich gar um meine Hand zu werben, als sei ich ein verlassenes Geschöpf, ein charakterloses, subalternes Wesen, so ein Stück Vagabundin wohl gar, das Gott danken müsse, wenn ein so hoher, erlauchter Herr sich zu mir herablasse? Aber derselbe Hochmuth, der mich so grenzenlos verletzt hat, hat ihm jetzt sein Benehmen eingegeben. Er sagt uns: ‚Ihr seid elende Menschen. Ihr seid unter falscher Vorspiegelung hierher gekommen, um mein Vertrauen zu mißbrauchen. Ihr kommt als Schlangen, die sich an meiner Brust nähren wollten. Ihr mit Eurem Recht wolltet mich verdrängen, verderben. Und jetzt frohlockt Ihr, daß Ihr mich als einen Mörder ausschreien könnt. So werde ich rasch beseitigt, wird Euch aller Kampf mit mir erspart, wird mein Mund stumm; meine Hand, die ich wider Euch erheben könnte, sehr bald kraftlos gemacht. Ihr wißt recht gut, daß ich nicht der Mörder bin. Aber Ihr wollt, daß ich es sei! Wohl denn, gut, ich bin es. Ich bin der Mörder, ja, ja, hundert Mal ja! Ich bin zu stolz, gegen Euch nur ein Wort darüber zu verlieren. Ich bin zu stolz, mit Euch zu streiten, gegen Euch mich zu rechtfertigen! Und wenn ich nicht zu stolz wäre, nicht zu groß, nicht zu adeligen Sinnes, um mit Euch darüber zu streiten, was könnte es mir helfen, mich zu rechtfertigen, Leuten gegenüber, die mich in ihrer erbärmlichen und gemeinen Habsucht nun einmal schuldig sehen wollen?‘“

(Fortsetzung folgt.)




Im Lager unserer Heere.

Von A. von Corvin.
Erster Brief.
Frankfurt a. M., Anfang August 1870.

Ihr mir nach Coblenz gesandter Brief mit Ihren Instructionen in Bezug auf meine Correspondenz für die Gartenlaube ist noch nicht in meinen Händen; da Sie indessen schleunigst Nachricht zu haben wünschen, so schreibe ich Ihnen augenblicklich, was ich seit meiner Abreise von London sah und beobachtete, was aber der Natur der Sache nach nicht viel sein kann, da der Krieg eigentlich noch nicht begonnen hat, wenn auch schon kleine Vorpostengefechte stattfanden und sogar schon eine kleine Anzahl von Verwundeten hier eingebracht wurde. Ich gehe jedoch morgen nach der baierischen Pfalz, und es ist sehr wahrscheinlich, daß mein nächster Brief reichhaltiger sein und interessantere Schilderungen bringen wird. Vorbereitend, wie alle bis jetzt stattgehabten Bewegungen, kann auch nur dieser erste Brief sein.

Die Aufregung, welche in London durch die Nachricht von dem sich so plötzlich zusammenziehenden Kriegsunwetter hervorgebracht wurde, war eine ungewöhnlich große, nicht nur an der Börse, sondern auch unter dem Publicum. Die Zeitungen erschienen täglich in mehreren Auflagen, und man sah überall auf der Straße Menschen, die eifrig lasen. Man wollte jedoch nicht recht an den Krieg glauben, und als die Nachricht kam, daß der Prinz von Hohenzollern auf seine Candidatschaft zum spanischen Throne verzichtet hatte, glaubte man den Frieden vollständig außer Frage. Sogar der Redacteur der „Times“ schrieb mir an jenem Morgen: „Die heutigen Nachrichten lauten so friedlich, daß ich es nicht für nöthig halte, Anordnungen in Bezug auf Kriegscorrespondenz

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ibm
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_532.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)