Seite:Die Gartenlaube (1870) 516.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


auf ihren Mienen – Melusinens Züge waren ganz ungewöhnlich bleich; der Vicomte trug sein Taschentuch in der Hand, womit er sich ein Mal über das andere über die Stirn fuhr – er ließ sich, während die Uebrigen zu dem Schreibtische des Grafen Ulrich vortraten, auf einen Stuhl neben der Eingangsthür niederfallen.

Der Richter setzte sich in den Stuhl Ulrich’s und winkte seinem Schreiber.

„Setzen Sie sich und schreiben Sie, Herr Actuar!“ sagte er dabei. „Die übrigen Zeugen sollen im Saale bleiben, bis ich sie vorrufen lasse,“ fügte er, zu Joseph gewendet, hinzu. „Auch der Reitknecht soll sich nicht entfernen – Mademoiselle de la Tour, die Protokoll-Aufnahme, zu der ich schreiten muß, wird lange Zeit in Anspruch nehmen und Ihre Gegenwart ist dabei nicht erforderlich; wenn Sie also wünschen, sich zurückziehen zu dürfen …“

„Ich wünsche bleiben zu dürfen, Herr Richter,“ versetzte Melusine mit bewegter Stimme; „ich habe Ihnen nachher eine Erklärung abzugeben, wenigstens meinem Vater bei einer solchen beizustehen.“

„Wie Sie wünschen, Mademoiselle; nehmen Sie Platz unterdeß. Herr Actuar, schreiben Sie Datum und Eingang der Verhandlung.“

Der Actuar war eben beschäftigt, auf einem gebrochenen Bogen, der oben an der Spitze die gedruckten Worte „Großherzogthum Berg, Departement der Ruhr, Canton W.“ zeigte, die gewöhnliche Eingangsformel protokollarischer Aufnahmen niederzuschreiben, als sämmtliche Anwesende, wie auf’s Aeußerste betroffen, auf und in die Höhe fuhren und ein erschrockenes Ah! von allen Lippen tönte.

Der Gegenstand dieser Ueberraschung war Niemand anders als Graf Ulrich Maurach selbst, der im höchsten Grade erstaunt über den Vorgang in seinem Wohnzimmer, dessen Zeuge er war, sich erhoben und sich rasch in seine Kleider geworfen hatte und jetzt, noch beschäftigt, seinen grünen Jagd- und Morgenrock über die Schultern zu ziehen, auf der Schwelle des Schlafgemachs erschien.

Bei der ungeheuren Ueberraschung, welche sein Erscheinen hervorrief, mußte sich eine ähnliche und nicht minder große in seinen Zügen spiegeln. Er stand wenigstens einen Augenblick verstummt da, blickte auf die tiefer erbleichende Melusine, dann in das Gesicht des mit offenem Munde ihn anglotzenden Richters und rief endlich aus: „Meine Herrschaften, der Besuch, mit dem Sie mich so früh beehren, würde mir erfreulicher sein, wäre er weniger räthselhaft! Was führt Sie her, was ist geschehen, was bedeutet dies Alles?“

„Ah … und das erriethen, das wüßten Sie nicht?“ rief der Richter aus.

„In der That nicht, was Sie veranlaßte, hier eine Verhandlung in meinem Zimmer vorzunehmen … ohne nur die Güte zu haben, sich vorher bei mir erkundigen zu lassen, inwiefern mir dies genehm ist oder nicht! Feder, Tinte und Papier wird sich auch unten in der Schreibstube meines Rentmeisters finden …“

„Wir haben nicht mit Ihrem Rentmeister zu thun, sondern mit Ihnen, Herr Graf,“ versetzte der Richter, der jetzt ganz den Aplomb wiedergefunden hatte, den er für die Bethätigung seiner obrigkeitlichen Würde selbst seinem Gerichtsherrn gegenüber geboten erachtete – denn noch war Graf Ulrich sein Gerichtsherr, die Regierung Murat’s hatte bis heute erst die Administration des Landes neugebildet, die Jurisdictionsverhältnisse waren bestehen geblieben.

„Wenn das ist,“ fiel Graf Ulrich ein, „dann muß ich bitten, daß Sie Ihre Verhandlung mit mir mit einer Erklärung beginnen und zwar mit einer unumwundenen, was Sie herführte!“

„Uns führt her,“ versetzte der Richter, „das, was in der verflossenen Nacht auf Schloß Maurach geschehen ist; die Pflicht der Obrigkeit, die Absicht, den Verbrecher zu entdecken, der eine solche blutige Schandthat beging …“

Graf Ulrich sah auf, als habe er nicht recht begriffen. Er sah von Einem zum Andern. Der Richter, der diesen Blick mit zusammengezogenen Brauen beobachtete, hätte ihn abgespiegelt oder in irgend einer Weise festgehalten auf seinem noch weißen Protokollbogen fixiren mögen. … Melusine unterdeß begegnete diesem Blicke mit zornigem Aufflammen der Augen; sie rief, Ulrich einen Schritt näher tretend, aus: „Man hält Sie für den Mörder, Graf Ulrich!“

„Mörder? Mich? Wessen? Wessen Mörder?“

„Der armen Frau, der Frau Wehrangel, Herr Graf,“ sagte mit schwerer Betonung der Richter.

„Was … die Frau ist ermordet … die Frau Wehrangel ermordet? Und ich … ich soll das gethan haben?“

Der Ausruf Ulrich’s hatte etwas von so unverstellter und offenbarer Ueberraschung und ungeheucheltem Erschrecken, daß Niemand im ersten Augenblick die Anklage zu wiederholen wagte. … Der Richter, ihn groß ansehend, versetzte nur: „Die Frau Wehrangel ist diesen Morgen in ihrem Zimmer in ihren Nachtkleidern ermordet gefunden. Es sind ihr drei Wunden mit einem Dolchmesser beigebracht, eine letale in den Hals, eine zweite in den Oberarm und eine dritte ebenfalls tödtliche in die Brust …“

Graf Ulrich sah, während der Richter dies sagte, ihn noch mit demselben Blicke der Bestürzung an; dann aber drückte sich auf seinen Mienen ein auffallender Zorn aus und mit flammenden Blicken rief er aus: „Und weil dies Schreckliche geschehen, in meinem Hause geschehen, kommen Sie, um nun ohne Weiteres hier in meinem Zimmer wider mich als den Mörder zu instrumentiren?“

(Fortsetzung folgt.)




Unsere Gegner.
Zuaven. – Turcos. – Zephire. – Spahis. – Chasseurs d’Afrique.

Allgemein war, gleich nach dem Eintreffen der französischen Kriegserklärung, die Nachricht diesseits verbreitet, daß die berühmten, oder richtiger berüchtigten, afrikanischen Truppen den Krieg zuerst über die deutsche Grenze zu tragen bestimmt seien. Schon in der letzten Woche des Juli bestätigte sich denn auch dieselbe, da preußische Vorposten mit Turcos in Plänkeleien geriethen, bei denen es die letzteren vorzogen, den Rückzug zu nehmen.

Es wird dem Leser daher gewiß genehm sein, diese mit Unrecht vielgefürchteten, ziemlich irregulären Soldatenhaufen näher kennen zu lernen, wie der Schreiber dieser Zeilen zu wiederholten Malen sie und ihre Exercitien auf der großen place d’armes im Fort de Vincennes und namentlich im Lager von Chalons aufmerksam beobachtet hat. Er urtheilt vom rein objectiven Standpunkte aus, wozu er um so mehr sich verpflichtet fühlt, als zum ersten Male der deutsche, speciell der norddeutsche und preußische Soldat, einigen der französischen Armee ausschließlich eigenen Waffengattungen gegenübersteht, die nach und nach ad hoc geschaffen wurden und alle ihre eigenthümliche, wesentlich von anderen bekannten angenommenen verschiedene Kampfesweise haben. Den ungeübten deutschen Krieger werden diese anfangs verblüffen, ihm auch wohl imponiren; für seinen erfahrenen Cameraden wird sie sich schnell als taktischer Humbug, als Uniforms-Arlequinade entpuppen.

Unter den obigen Special-Typen steht der Zuave unbedingt obenan. Sein ursprünglicher Stamm geht sicher weit in die wenig bekannte Geschichte Nordafrikas zurück. Gewiß ist, daß man schon seit länger als einem Jahrhundert einen District der späteren Provinz Constantine kannte, Zuavia genannt, dessen männliche Bewohner von Alters her den Berberfürsten, ähnlich wie die für Frankreich, Neapel und den Papst geworbenen Schweizer, als gemiethete Leibwache dienten. Ob sie den bereits im siebenten Jahrhundert eingewanderten Arabern oder den etwas später auftretenden Mauren entstammen, läßt sich, beim Mangel jeglichen historischen Anhaltepunktes, sehr schwer feststellen; wahrscheinlich sind die ursprünglichen Zuaven eine Mischlingsrace.

Als nach fast dreiwöchentlichem Kampfe General Bourmont 1830 Algier und die Casba (Citadelle) mit Sturm nahm, leistete gerade jene Miethstruppe den heftigsten Widerstand. Marschall Clauzel, der Bourmont bald ersetzte, ein erfahrener Degen aus der alt-napoleonischen Schule, die er von unten auf durchgemacht, erkannte sofort, was er an den waffengeübten zuavischen Söldlingen hatte, und brachte sie durch gute Löhnung und sonstige äußerliche Begünstigungen schnell auf französische Seite. So bildeten die Zuaven recht eigentlich den Stamm der eingeborenen Truppen. Es dauerte jedoch nicht allzulange, so setzte man ihre

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 516. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_516.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)